Dieser Artikel erschien zuerst in der eGovernment Computing am 09.06.2020
Die Verwaltung von elektronischen Akten und Papierdokumenten stellt öffentliche Verwaltungen vor Herausforderungen – welche Tools können diese am besten bewältigen?
Nicht erst seitdem das Schlagwort „Digitalisierung“ die Tagesnachrichten erreicht hat, nimmt die Bedeutung einer strukturierten und revisionssicheren Verwaltung und Aufbewahrung von elektronischen Akten und Dokumenten stetig zu. Neben einer Vielzahl an gesetzlichen Vorgaben, z. B. die E-Government-Gesetze von Bund und Ländern oder das Onlinezugangsgesetz, aus denen sich im Kontext der Digitalisierung konkrete Anforderungen an die Verwaltung elektronischer Akten und Dokumente ergeben, entstehen im Verwaltungsalltag Herausforderungen auch da, wo die „führende“ und vollständige Akte nicht mehr ausschließlich in Papierform vorliegt.
Viele Dokumente werden elektronisch „geboren“ oder gelangen in dieser Form zur Verwaltung. Dies verändert die Probleme und Herausforderungen, die bei der Sachbearbeitung entstehen, z. B.:
- Es ist aufwändig die führende „Papier“-Akte vollständig zu halten: Relevante Informationen entstehen zum Teil elektronisch oder kommen per E-Mail an und müssen ggf. ausgedruckt werden, falls die führende Akte eine Papierakte ist.
- Es gibt nicht nur ein Ablagesystem: Neben der Papierakte ist eine Vielfalt an weiteren Ablagesystemen entstanden: Netzlaufwerke, E-Mail-Postfächer mit persönlichen Ablagestrukturen, elektronische Dokumente in verschiedenen Fachsystemen, Portalen, Wikis usw. Um zu einem Sachverhalt vollumfänglich Auskunft geben zu können, ist oft die Recherche in mehreren, verschiedenen (Ablage-)Systemen notwendig.
- Fehlen einheitlicher Ablagestrukturen: Gerade bei den dateisystembasierten Netzlaufwerken, aber auch in moderneren Cloud-Tools wie z. B. DropBox oder OneDrive, fehlen oft einheitliche oder beherrschbare Ablagestrukturen. Dies führt zu Wildwuchs, ungewollten Doppelablagen in unterschiedlichen Verzeichnissen und längerem Zeitaufwand bei der gezielten Suche nach Informationen.
- Keine ausreichenden Schutzmechanismen: Sowohl aus regulatorischer Sicht als auch im Kontext der Zusammenarbeit an Dokumenten fehlen in vielen Ablagesystemen (z. B. den Netzlaufwerken) Schutz- und Protokollfunktionen, um ungewollte Manipulationen zu verhindern bzw. diese mindestens nachvollziehbar zu machen. Die Verwaltung von Aufbewahrungsfristen, Versionen oder der Freigabehistorie muss manuell erfolgen.
Hinzu kommen oft noch die Probleme, die sich durch das Medium Papier (und dessen Aufbewahrung in Papierarchiven) ergeben, z. B.:
- Es ist kein gleichzeitiger Zugriff auf eine Akte möglich.
- Arbeit aus dem Homeoffice („Telearbeit“), die gerade, bedingt durch das Corona-Virus, aktuell und vielleicht auch dauerhaft einen hohen Stellenwert hat, ist nicht einfach möglich, weil Akten von dort aus nicht vollständig und ad hoc zugreifbar sind.
- Es existiert kein ausreichender Schutz vor Veränderung oder Verlust.
- Der Zugriff auf Akten in Archiven erfordert wiederkehrend hohe Aufwände. Gleiches gilt auch für die Bereinigung von Archiven und den Aussonderungsprozess.
- Der physische Transport und die Verteilung von Papier – zum Teil zwischen unterschiedlichen Standorten – bedingt neben Zeit auch Transport- und/oder Versandkosten.
- Sowohl in den Büroräumen als auch in den Archiven müssen relevante Flächen für Aktenschränke und (de-)zentrale Archive vorgehalten werden.
Die Nachfrage für Archiv- und DMS-Projekte ist u. a. aus den zuvor genannten Gründen derzeit in nahezu allen Branchen nach wie vor (sehr) hoch. Es gibt jedoch branchenspezifische Unterschiede in den Projekten, die auch im Vergleich zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor deutlich werden und sich z. B. in besonderen Anforderungen und Rahmenbedingungen im öffentlichen Bereich zeigen.
Ein signifikanter Unterschied ist das Erfordernis, die Auswahl gemäß den gültigen Vorschriften des Vergaberechts durchzuführen. Um eine passende Lösung auswählen zu können, müssen die funktionalen Anforderungen besonders ausführlich beschrieben und in der Bewertung gewichtet werden, damit die Lösung später tatsächlich auch die spezifischen Anforderungen erfüllt. Diese können von Projekt zu Projekt – auch innerhalb des gleichen Einsatzfeldes – sehr unterschiedlich sein. Ein „Nachjustieren“ der Bewertungskriterien (im Sinne eines Dazulernens im Laufe des Projekts) ist in Vergabeprojekten nur sehr begrenzt und in geringem Umfang möglich. Gleichzeitig unterscheiden sich aber die DMS-Lösungen am Markt: Signifikante Unterschiede gibt es dabei nicht nur – wie oft von potentiellen DMS-Kunden vermutet – in den tieferen Funktionsausprägungen, sondern bereits bei Basisfunktionen (z. B. Versionierung, Dokumentenvorschau, Suchfunktionen, Akten-Funktionen, Office-Integration u.v.m.), die von Kunden manchmal als „Standard“ erwartet werden. Ein solcher DMS-Standard, der einen Standardfunktionsumfang definieren würde, existiert jedoch nicht.
Neben typischen und branchenübergreifenden DMS-Funktionsanforderungen kommen im öffentlichen Bereich regelmäßig besondere Anforderungen vor, z. B.
- E-Akten: In diesem Bereich weisen die am Markt verfügbaren DMS-Lösungen ohnehin sehr große Unterschiede auf. Im öffentlichen Bereich gibt es jedoch Besonderheiten, die in den anderen Branchen nur sehr selten gefordert werden: Akten müssen sich mindestens teilweise in vordefinierbaren Aktenplänen organisieren lassen, ein Export von vollständigen Akten muss für Gerichtsverfahren oder über definierte Schnittstellen an Archive möglich sein. Neben Sachakten existieren i. d. R. immer auch Fallakten, die häufig durch führende Fachanwendungen erzeugt werden.
- Fachverfahren: Häufig existiert eine Vielzahl an Fachanwendungen pro Verwaltung, von denen mehrere mit dem DMS integriert werden sollen. Die Mehrzahl der Fachverfahren unterstützt noch keine Standardschnittstellen (z. B. auf Basis von Web-Services). Nur verhältnismäßig wenige DMS-Anbieter aus der D.A.CH-Region verfügen über einige, bereits realisierte Schnittstellen zu manchen Fachverfahren.
- Workflows: Neben Freigabe- oder Rechnungsprüfungsworkflows, die auch in anderen Branchen vorkommen, gibt es im öffentlichen Bereich besondere Workflow-Ausprägungen, z. B. bei der Mitzeichnung oder im Rahmen der Postverteilung.
- Regulatorische Vorgaben: Diverse Gesetze und regulatorische Rahmenbedingungen sind besonders im öffentlichen Umfeld relevant: E-Government-Gesetze von Bund und Ländern, TR ESOR (Signaturen, Nachsignatur), TR RESISCAN (Ersetzendes Scannen), Archivgesetz oder EIDAS-Verordnung sind nur Beispiele für Vorgaben, die auch auf DMS-Projekte Auswirkungen haben.
SharePoint vs. DMS
Immer wieder kommt in Vergabeprojekten die Frage auf, ob nicht SharePoint als DMS zum Einsatz kommen kann, z. B. weil SharePoint (u. a. im Rahmen von Office 365) bereits vorhanden ist. Auch andere Apps, wie Teams oder OneDrive Business, die SharePoint verwenden, kommen immer häufiger zum Einsatz und erfahren spätestens seit der Corona-Krise einen Boom. Im kommunalen Umfeld taucht die Frage, ob SharePoint ein geeignetes DMS sein könnte, überwiegend in den größeren Verwaltungen auf. Dabei ist es sinnvoll, wie auch bei jeder anderen Lösung, einen genauen Blick auf den Standard-Funktionsumfang von SharePoint zu werfen, immer vor dem Hintergrund der eigenen, relevanten DMS-Anforderungen. Im Gegensatz zu vielen DMS-Anbietern, die ihre Lösung als Komplettpaket aus einer Hand anbieten, stellt Microsoft mit SharePoint eher einen „Werkzeugkasten“ bereit: Mit diesem kann man zwar durchaus eine DMS-Lösung bauen, muss dafür jedoch regelmäßig entweder eigene Erweiterungen programmieren oder auf fertige Add-ons oder Apps von Drittherstellern zurückgreifen. Zwar ist auch bei klassischen DMS-Anbietern nicht jede Komponente (z. B. Suchmaschine oder OCR-Texterkennung) selbst entwickelt, jedoch sind diese häufig so tief integriert, dass zum einen keine separate Installation erforderlich ist und zum anderen Support, Wartung und Softwarepflege aus einer Hand geliefert werden.
Nach mehreren Produktgenerationen (die erste Version kam 1999, damals noch unter dem Namen Tahoe, auf den Markt) weist SharePoint auch heute noch signifikante Defizite im Vergleich zum Standardfunktionsumfang moderner DMS-Lösungen auf. Die Einschränkungen zeigen sich dabei in fast allen Bereichen, die für Dokumenten Management Systeme relevant sind. Beispielhaft sollen hier einige dieser Bereiche mit exemplarischen Einschränkungen genannt werden:
Erfassung von Dokumenten aus beliebigen Quellen
Dokumente gelangen heute auf vielfältigen Wegen in ein DMS: über zentrale und lokale Scanner, über Multifunktionsgeräte, per Smartphone oder Tablet, aus Fachanwendungen, Portalen, Office-Anwendungen, E-Mail-Umgebungen (neben Outlook oder Notes sind hier auch De-Mail und das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach EGVP zu berücksichtigen) oder Netzlaufwerken.
Bereits bei der Übernahme von mehreren Dokumenten in einem Zug (z. B. „Multi-File-Upload“ bei der Übernahme von Bestandsdokumenten durch Anwender per Drag&Drop oder Dialogfunktion aus dem Windows Explorer) bietet SharePoint keinen mit den DMS-Lösungen vergleichbaren Funktionsumfang an, um in einem Arbeitsgang mehrere Dokumente in einem Zug zu übernehmen und diese gleichzeitig mit System- und Fachattributen versehen zu können. Zwar können Bibliotheken per WebDAV in den Explorer eingebunden werden, allerdings werden über diesen Weg beim Kopieren von Dokumenten keine Attribute abgefragt. Die Dokumente werden so praktisch „unter dem Türschlitz“ ins System geschoben, sind aber für andere nicht sichtbar, bis alle Pflichtattribute in separaten Arbeitsschritten ergänzt wurden.
Eine integrierte Scanlösung für mittlere bis große Volumina findet man bei SharePoint nicht. Entsprechende Komponenten erlauben in anderen DMS-Lösungen oft sehr arbeitsteilige Erfassungsprozesse und sind direkt in Datenbank und Anwendungsschicht integriert.
Keine echte Dokumenten-ID
Moderne DMS-Lösungen verwalten Dokumente anhand von eindeutigen IDs. Nur wenige Systeme, zu denen auch SharePoint gehört, basieren immer noch auf der Verwaltung anhand von Dateinamen und Ablageorten. Microsoft hat zwar vor einiger Zeit nachgebessert, so dass man mittlerweile eine Dokumenten-ID nachkonfigurieren kann, jedoch kann man diese nicht als „echte“ Dok-ID betrachten, da im Hintergrund immer noch die Dateinamen verwendet werden, die Dokumenten ID sogar zurückgesetzt werden kann und auch nur innerhalb einer Website Collection (und nicht systemweit) eindeutig ist. In SharePoint 2019 (Modern Interface) ist die Spalte sogar durch die Anwender editierbar. In der Praxis ergeben sich durch die fehlende Dok-ID als eindeutiges Dokumentenmerkmal mehrere Einschränkungen, z. B. darf ein Datei- oder Ordnername nur einmal pro Ordner vorkommen. Zudem greift bei verschachtelten Ordnerstrukturen eine URL-Längenbeschränkungen von 260 Zeichen (bei SharePoint Online wurde sie zumindest auf 400 Zeichen erweitert). Auch das Verknüpfen von Dokumenten oder Akten wird zu einer Herausforderung: Statt einer einfachen Drag & Drop-Operation, wie sie in vielen DMS-Lösungen möglich ist, kann eine Verknüpfung in SharePoint z. B. durch das Kopieren des Zugriffs-Links (URL) in die Zwischenablage erfolgen, der dann am Zielort in ein neues Link-Objekt eingefügt werden muss, sofern sich das Dokument nicht in den zuletzt verwendeten Objekten befindet. Wird das Dokument am ursprünglichen Ort entfernt oder ändern sich Bestandteile des Links (z.B. Domainname oder Pfade der Site-Struktur), so verwaist der Link und führt zu einer Fehlermeldung. Dies geschieht in der Praxis sehr schnell, wenn die SharePoint-Ordnerstruktur gleichzeitig der fachlichen Ablagestruktur entspricht. In anderen DMS-Lösungen können Fachstrukturen auch unabhängig von einer hierarchischen Ordnerablage abgebildet werden. Diese ermöglichen dann auch komplexere Ablageszenarien wie z.B. Mehrfachverknüpfungen: Das Löschen an einem Ablageort A führt dann nur zum Löschen der Referenz A auf das referenzierte und per Dok-ID eindeutig identifizierbare Dokument, so dass der Zugriff über die Verknüpfung von Ablageort B weiterhin möglich ist.
Bedienbarkeit der Clients
Neben den bereits zuvor genannten Einschränkungen durch das Fehlen einer echten Dokumenten-ID stoßen SharePoint-Anwender auch bei anderen, alltäglichen Dateioperationen im SharePoint-Client auf Schwierigkeiten, die selbst im Filesystem noch ohne Probleme möglich waren: So ist z.B. das Verschieben von Ordnern oder Dokumenten nicht so intuitiv wie in modernen DMS-Lösungen, bei denen die Aktenstruktur visuell (hierarchisch) dargestellt wird oder zwischen zwei geöffneten Akten per Drag&Drop verschoben werden kann. Solche Drag&Drop-Operationen sind z.B. nur innerhalb eines Browser-Fensters möglich. Mitunter können Dokumente ohne weiteres gar nicht in andere Bibliotheken verschoben werden, wenn dort abweichende Attribuierungs- oder Versionierungseinstellungen vorgenommen wurden. Letztgenannter Punkt ist jedoch auch bei DMS-Lösungen relevant. Solche Praxisprobleme lassen sich nur durch eine sorgfältige Feinkonzeption und Implementierung vermeiden, bei der auch die Limitierungen der gewählten Lösung (z. B. SharePoint) berücksichtigt werden.
Aber auch bei der Integration birgt der SharePoint-Client Fallstricke: Obwohl Browser-Clients immer moderner und funktionaler und insbesondere von der IT (u. a. aufgrund geringerer Installations- / Verteilungsaufwände) favorisiert werden, bringen sie immer noch eine Reihe an Einschränkungen mit sich, z. B.:
- Häufig fehlen Funktionen (z. B. Scanintegrationen) gegenüber den funktionaleren Rich-Clients.
- Die (bidirektionale) Integration ist nicht oder nur auf Umwegen möglich, wenn z. B. eine DLL- oder EXE-Datei eines Fachverfahrens aufgerufen werden muss.
- Die reine Tastaturbedienung ist häufig nicht möglich oder zumindest nicht praxistauglich.
- Für den Dauereinsatz auf Tablets und Smartphones ist der Browser-Client nicht geeignet. Die SharePoint-App schafft hier bedingt Abhilfe, allerdings wird man in der Praxis nicht mit dieser einen App auskommen, sondern weitere Apps benötigen, z.B. die Power Automate App, Power Apps für Formulare, OneDrive for Business App für Offline-Funktionalitäten oder diverse Microsoft Office Apps für den Zugriff auf Dokumente. Setzt man 3rd-Party-Add-ons (z. B. zur Ergänzung einer Aktenfunktionalität) ein, so können die Erweiterungen i. d. R. nicht vollständig durch die Apps genutzt werden.
Dokumentenverwaltung
Neben Versionierung, Check-out und Check-in und der Differenzierung von Entwürfen und freigegebenen Dokumenten unterliegen auch Akten im Verwaltungskontext einem definierten Lebenszyklus, der in Abbildung 1 visualisiert ist. Elektronische Akten müssen dauerhaft, auch außerhalb der behördlichen Systemumgebung, in der sie ursprünglich entstanden sind, archiviert werden können und verfügbar bleiben.
Abbildung 1: Lebenszyklus elektronischer Akten im Verwaltungskontext
Der Lebenszyklus einer elektronischen Akte gliedert sich lt. des Organisationskonzepts elektronische Verwaltungsarbeit in folgende Phasen:
- Phase I: Neuanlage und Bearbeitung (von Akten, Vorgängen, Dokumenten)
- Phase II: zdA-Verfügung und Aufbewahrung
- Phase III: Bewertung und Aussonderung oder Vernichtung
Typische Anforderungen, die sich dadurch an die DMS-Lösung stellen, sind z. B.
- Automatische Übernahme von archivierungsrelevanten Attributen (u. a. Aufbewahrungsfristen) aus dem Aktenplan
- Möglichkeit zur Pflege von Aussonderungsarten (bewerten, archivieren, vernichten)
- Unterstützung von zdA-Verfügungen für Vorgänge / Akten
- Unterstützung von Legal Holds (verlängern / anhalten der Aufbewahrungsfrist im Klagefall)
- Formatkonvertierung für Übergabe an Archiv (z. B. nach PDF/A)
- Bereitstellung Metadaten gemäß XDOMEA2-Spezifikation (XML-basierter Datenaustauschstandard für Meta- und Primärdaten)
- Verschieben von Archivbeständen
- Erneuerung von elektronischen Signaturen
- Aussonderungsfunktionen für Dokumente und Metadaten.
Eine Standardunterstützung dieses Lebenszyklus, die von einigen DMS-Herstellen mit Produktcharakter umgesetzt wurde, fehlt bei SharePoint. Das zdA-Setzen („zu den Akten“) oder das Wiederbeleben solcher Akten muss samt erforderlicher Protokollierung in SharePoint-Projekten erst programmiert werden und ist kein Standard. Auch für den Bewertungs- und Aussonderungsprozess ist eine funktionale Unterstützung erforderlich, die im Standard von SharePoint nicht vorhanden ist.
Aktenfunktionen
Werkzeuge zur Modellierung von Akten fehlen in SharePoint bis heute, genauso wie die Möglichkeit, typische E-Akten anzulegen, die über sehr einfache Mappen hinausgehen. Dabei werden gerade im öffentlichen Umfeld nicht nur „normale“ E-Akten (wie z. B. Personal-, Einkaufs- , Bau- oder Vertragsakten) benötigt, wie sie auch in anderen Branchen regelmäßig zum Einsatz kommen, sondern es kommen über diese hinaus häufig (konfigurierbare, hierarchische) Aktenpläne zum Einsatz, mit deren Hilfe die Akten verwaltungsweit organisiert werden. Diesen liegt fast immer eine feste Systematik (Akte – Vorgang – Dokument) zugrunde, wobei es für jede Ebene eigene, unterschiedliche Attributsets (Aktendeckel, Vorgangsdeckel, Dokumentattribute) geben kann. Klassische DMS-Lösungen bieten hier teilweise, neben der Möglichkeit individuelle Aktenpläne zu definieren, auch den Import von Standardaktenplänen an (z. B. KGST-, Boorberg- oder Bayerischen Aktenplan etc.). Dabei handelt es sich nicht nur um einfache Ordnungsstrukturen oder Attributwerte: Auch Zugriffsrechte, Aufbewahrungsfristen oder Registervorlagen für eine standardisierte Aktenführung sind oft mit dem Aktenplan verknüpft. Neben dem Lebenszyklus der Akten (s. o.), inkl. zdA-Setzung oder Aussonderung, müssen sich auch vollständige Akten exportieren oder ausdrucken lassen. Manche DMS-Lösungen bieten hier u. a. Werkzeuge im Standard an, mit denen sämtliche Dokumente und Informationen einer Akte in eine paginierte PDF-Datei mit einem entsprechend generierten Deckblatt und Inhaltsverzeichnis z. B. zur Weitergabe an ein Gericht exportiert werden können.
Dokumentenanzeige
Viele moderne DMS-Lösungen verfügen über Multiformat-Viewer, mit denen auch über Dokumentgrenzen und Dateiformate hinweg schnell durch eine E-Akte „geblättert“ werden kann, ohne dass verschiedene Anwendungen gestartet werden müssen. Neben Archivformaten wie PDF oder (Single- / )Multipage TIFFs können diese zum Teil auch eine große Palette an nativen Formaten anzeigen, die in öffentlichen Verwaltungen zum Einsatz kommen, z. B. alte und neue Office-Formate (neben Microsoft-Produkten kommen z. B. auch OpenDocument-Formate zum Einsatz), E-Mails, XRechnungs-, ZUGFeRD- oder EDI-Datensätze und andere. Darüber hinaus werden oft Werkzeuge für visuelle Annotationen (Hervorhebungen, Schwärzungen etc.) benötigt.
Integration mit Fachverfahren
Besonders die Vielzahl an Fachverfahren spielt bei DMS-Projekten in öffentlichen Verwaltungen eine Rolle. Es muss nicht nur geprüft und bewertet werden, für welche Fachverfahren eine Integration mit dem DMS sinnvoll oder erforderlich ist, sondern auch auf welche Art und Weise diese sinnvoll an das DMS angebunden werden können, z.B.
- Erzeugen die Fachanwendungen Output, der in der Akte abgelegt werden muss?
- Sind so erzeugte Dokumente auch aus dem DMS, also ohne „Umweg“ über das Fachverfahren zugreifbar?
- Gelangen Dokumente auch direkt in die Akte (z. B. Posteingang) und sind diese dennoch über das Fachverfahren recherchierbar? (Frühes Erfassen)
- Können Dokumente im Fachverfahren registriert und später automatisiert, z. B. per Barcode zugeordnet werden? (Spätes Erfassen)
Letztlich geht es oft nicht nur um eine reine Archivierung von Dokumenten, sondern es müssen auch Fachdaten ausgetauscht werden. Nicht selten werden aber z. B. moderne Web-Service-Schnittstellen noch nicht von den Fachverfahren unterstützt. Tiefe Integrationen gibt es nur von wenigen DMS-Anbietern, was letztlich auch damit zusammenhängt, dass es sich bei den Fachverfahren der öffentlichen Hand typischerweise nicht um weltweit verbreitete Anwendungen, sondern oft nur um national verfügbare und relevante Produkte handelt. Die Verfügbarkeit der Schnittstellen hängt somit auch davon ab, ob der Hersteller (oder ein Partner) diesen regionalen Markt adressiert und in der Lage ist eine Release-gepflegte Schnittstelle anbieten zu können.
Wird keine tiefe Integration angestrebt, hilft oft eine generische Integration, z. B. in Form eines virtuellen DMS-Druckers, mit dem aus den Fachanwendungen direkt als PDF in das DMS gedruckt und attribuiert werden kann. Dabei beschneidet man allerdings auch die möglichen Szenarien (s. o.) auf einfache Output-Szenarien (Archivierung).
Für SharePoint fehlen sowohl tiefe Fachverfahrensintegrationen als auch generische Schnittstellen in der erforderlichen Ausprägung. Die oft noch benötigten Client-Aufrufe, die lokal zwischen DMS-Rich-Client und Fachanwendungsclient stattfinden, lassen sich nicht oder nur über Umwege mit individueller Programmierung in Browser-Clients wie bei SharePoint integrieren.
Suchfunktionen
Eine besonders flexible Suche, die ein gezieltes und schnelles Finden von Dokumenten ermöglicht, hat sowohl für Sachbearbeiter als auch Knowledge-Worker eine große Bedeutung. Neben einer Volltextsuche, wie sie u. a. auch SharePoint mitbringt und die besonders für Knowledge-Worker relevant ist, wird auch eine flexible und leistungsstarke Attributsuche benötigt. Moderne DMS-Lösungen bieten hier sogar für Anwender mit entsprechender Berechtigung an, eigene Suchmasken zu definieren und anzuwenden oder sogar für das eigene Team zur Verfügung zu stellen. SharePoint nutzt zwar ebenfalls Attribute („Spalten“), jedoch sind dazu nicht automatisch auch Suchmasken verfügbar. Dass Attribute überhaupt gezielt durchsucht werden können, erfordert administrativen Konfigurationsaufwand pro Attribut. Gleiches gilt für das Erstellen von Suchformularen, die in manchen modernen DMS-Lösungen sogar automatisch erzeugt werden können.
Workflow und Postkorb
In der Historie von SharePoint waren verschiedene Ansätze bzw. Generationen der Standard-Workflows in der Praxis nicht einsetzbar, wenn es entweder darum ging, komplexe Prozesse zu modellieren oder anders herum auch sehr einfache Routingmöglichkeiten beim Einsatz elektronischer Individual- oder Gruppenpostkörbe (nicht E-Mail-Postfächer) zu verwenden. In der Vergangenheit kamen daher in den meisten SharePoint-Projekten die Workflow-Engines von Drittanbietern zum Einsatz. Auch im Bereich Post- / Arbeitskörbe bietet SharePoint im Standard bei Weitem nicht das, was in vielen DMS-Lösungen Standard ist: z. B. Gruppenpostkörbe mit der Möglichkeit, Arbeit zuzuweisen, zu holen oder zu delegieren, zu priorisieren oder den Arbeitsvorrat des Teams nach unterschiedlichen Kriterien (z. T. auch hierarchisch nach mehreren) zu filtern. Einfache Funktionen wie z. B. das Exportieren von Trefferlisten – egal ob im Workflow- oder Aktenkontext – in die Zwischenablage oder in ein Tabellenformat (z. B. CVS, Excel) fehlen. Konkrete Anwendungsszenarien, wie die Postverteilung oder Mitzeichnungs- / Verfügungsprozesse, die im kommunalen Umfeld Bestandteil fast aller DMS-Projekte und in manchen DMS-Lösungen bereits integriert sind, müssen dann erst projektindividuell konfiguriert oder programmiert werden.
Fazit
SharePoint, OneDrive Business oder auch andere Collaboration-Lösungen bieten zwar auch einfache Dokumenten Management-Funktionen an, können jedoch im Standardumfang (genau wie manche DMS-Lösungen auch) nicht die Anforderungen erfüllen, die in öffentlichen Verwaltungen hinsichtlich der elektronischen Aktenführung oder anderer zuvor dargestellter Funktionsbereiche existieren. Dafür haben solche Tools ihre Stärken im Collaboration-Bereich, in dem DMS-Lösungen nur vereinzelt Basisfunktionen bereitstellen.
In der letzten DMS-Marktübersicht (2018) von Zöller und Partner werden über 60 solcher Lösungen dargestellt. Jedoch eignet sich nicht jede Lösung gleichermaßen auch für den Einsatz in öffentlichen Verwaltungen.
Die Auswahl einer weniger geeigneten DMS-Lösung führt zwangsläufig zu unerwarteten und höheren Kosten, längeren Implementierungszeiträumen und leider nicht selten auch zu einer mangelnden Anwenderakzeptanz. Aufgrund der Einschränkungen, die u. a. durch das Vergaberecht definiert werden, ist von Beginn des Auswahlprojektes an, über die Feinkonzeption bis hin zur Implementierung, eine strukturierte und sorgfältige Vorgehensweise unerlässlich.
Neben der sorgfältigen Anforderungsanalyse und einem strukturierten Vorgehen im Auswahl- bzw. Vergabeverfahren spielen in den Einführungsprojekten erfahrungsgemäß sogar überwiegend organisatorische Themen neben der technischen Implementierung und den strategischen Fragen (z. B. Abgrenzung von Fachverfahren, DMS- und Collaboration-Lösungen) eine wichtige Rolle.
Der Standard-Funktionsumfang von DMS-Lösungen, die Verwaltungen adressieren, ist bei SharePoint nicht im Standard vorhanden und würde Programmierung oder den Einsatz (zum Teil mehrerer) Drittanbieter-Komponenten erfordern, von denen man u.a. beim Support, aber auch bei Releasewechseln abhängig ist. Häufig führt dies bereits im Zuge der Einführung, aber auch im laufenden Betrieb zu unerwarteten Mehraufwänden. Mit der Auswahl einer geeigneten Lösung wird daher der Grundstein für ein erfolgreiches DMS-Projekt gelegt.