Die Identifizierung der Prozesse, für die sich eine Digitalisierung am meisten lohnt, sollte der Anfang eines Projektes sein. Sind die Prozesskosten alleine ausschlaggebend und wie kann das Einsparpotenzial ermittelt werden? Sobald Organisationen entschieden haben, die Digitalisierung von Geschäftsprozessen voranzutreiben, geht die Suche los: Mit welchem Prozess soll konkret gestaltet werden, wie kann die Einführung am effektivsten durchgeführt werden?
Bei der Priorisierung der möglichen Geschäftsprozesse sollten einige Vorüberlegungen vorgenommen werden:
- Welche Geschäftsprozesse eignen sich besser und welche weniger gut für eine Digitalisierung?
- In welchem Umfang sollten die Geschäftsprozesse automatisiert werden? Welche Prozessschritte können aus technischer oder wirtschaftlicher Sicht nicht automatisiert werden?
- Welche Abhängigkeiten bestehen zwischen unterschiedlichen Prozessen, so dass die Digitalisierung des Prozesses B möglicherweise erst dann sinnvoll erscheint, wenn zuvor der Geschäftsprozess A digitalisiert wurde?
Bewährt hat sich das Vorgehen, zunächst solche Prozesse zu digitalisieren, die klare Ablaufregeln kennen und deren hohe Bedeutung für die Organisation anerkannt ist. Ein „Klassiker“ ist zum Beispiel die elektronische Eingangsrechnungsverarbeitung, für die es zwischenzeitlich zahlreiche „Standardlösungen“ am Markt gibt. Prozesse wie die Eingangsrechnungsverarbeitung (ERV) eignen sich, da sie einerseits arbeitsteilig erfolgen und hierdurch in der herkömmlichen Bearbeitung lange Transportzeiten bestehen, die durch die Digitalisierung fast vollständig entfallen. Auch sind die im Prozess benötigten Daten, hier die Buchungsdaten, sowohl im Vorfeld klar zu benennen als auch im Prozessablauf eindeutig zu ermitteln. Der wirtschaftliche Nutzen bei ERV-Lösungen entsteht in mehrfacher Hinsicht, zum Beispiel durch Einsparungen in der Datenerfassung bei automatischer Beleglesung sowie durch das Entfallen von Mehrfach-Buchungsdateneingaben bei automatischer Übermittlung der Buchungsdaten aus der Prozesslösung in die Buchhaltungssoftware.
Prozesse, die jedoch eine besonders hohe Komplexität aufweisen, viele Verzweigungen benötigen und in vielen unterschiedlichen Anwendungsumgebungen ablaufen, erfordern häufig einen besonders erhöhten Einrichtungs- und Pflegeaufwand, was die Wirtschaftlichkeit der Umsetzung senkt und die Automation im Extremfall sogar unwirtschaftlich machen kann. Auch spielt die Prozessablaufhäufigkeit bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung eine große Rolle, denn die möglichen Einsparungen sind in der Regel mit der Anzahl der Prozessdurchläufe zu multiplizieren, um die Gesamteinsparungen zu ermitteln – die Einrichtungs- und Pflegekosten hingegen sind von der Prozesshäufigkeit in der Regel unabhängig.
Neben wirtschaftlichen Aspekten sollten allerdings auch Compliance- oder Qualitätsaspekte bei der Prozessauswahl berücksichtigt werden: Durch die Automation der Geschäftsprozesssteuerung, stellen Organisationen sicher, dass die Prozesse nur noch den festgelegten Abläufen folgen können. Die endgültige Reihenfolge ist somit sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus qualitativen Aspekten vorzunehmen.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Bitkom-Veröffentlichung von 2018 „Herausforderungen bei der Digitalisierung von Geschäftsprozessen meistern. Hinweise und Hilfestellungen von Experten“