Elektronische Archivsysteme – heute Bestandteil jeder modernen ECM-Lösung – gab es schon in den 80er Jahren. Die damaligen Systeme waren teuer und hatten wenig Funktionalität. Im Prinzip handelte es sich um hochskalierbare Bibliotheken für archivische Dokumente. Bei Großunternehmen, die sich das leisten konnten – vor allem Banken und Versicherungen, wenige Handels- und Telekommunikationskonzerne und einige große Behörden – kamen diese Archiv-Repositories als Teil der Anwendungslandschaft zum Einsatz, hoch integriert in die eigenen, häufig Host-basierten Anwendungen. Dies führte zu der paradoxen Situation, dass mit dem Aufkommen moderner ECM-Lösungen mit deutlich besserem Funktionsumfang diese Lösungen dennoch weiter betrieben werden mussten, weil eine Migration wegen der tiefen Integration in die eigenen Host-Anwendungen zu aufwendig war. Daher laufen einige dieser Archiv-Dinosaurier heute noch, und die Hersteller verdienen viel Geld an den Software-Wartungsgebühren für nicht mehr weiterentwickelte Software mit dünner und veralteter Funktionalität. Zum Preis der jährlichen Wartungsgebühren können mittlerweile moderne Komplettlösungen (natürlich inkl. der Archivfunktionalität) gekauft werden. Dazu kommt das Problem, dass die Know-How-Träger der alten Lösungen immer seltener werden, falls sie überhaupt noch verfügbar sind. Junge Mitarbeiter sind hingegen nur schwer zu motivieren, veraltete Anwendungen und Systeme zu übernehmen und dauerhaft zu betreiben, da sie befürchten müssen, mit dieser Aufgabe auf Dauer auf einem Abstellgleis zu landen. Anwender solcher Altsysteme sollten daher eine Exit-Strategie vorbereiten, bevor Support nur noch aus „betreutem Wohnen“ verfügbar ist.
Veraltete Archivinseln
Viele dieser Altlösungen laufen als Archivinseln. Die Anwender haben häufig andere, modernere ECM-Lösungen mit oder ohne Archivfunktion in anderen Bereichen und Einsatzfeldern implementiert. Eine Erweiterung der Alt-Archive in umfassendere ECM-Lösungen oder eine Integration ist in der Regel technisch gar nicht möglich: Die wesentlichen Gründe sind veraltete Architekturen, proprietäre Komponenten und der Mangel an modernen Schnittstellen, wie z.B. RESTful API oder S3-Speicheranbindung. Ein weiterer wesentlicher Grund, warum diese Archivinseln nicht für weitergehende DMS-Aufgaben verwendet werden können, ist das grundsätzliche Fehlen wichtiger Kernfunktionen wie beispielsweise Aktenbildung, Versionierung, Dokumenten-Workflows, Rendition-Services und viele mehr.
Mangelnde Produktpflege und Weiterentwicklung
Reine Archivsysteme lassen sich seit Jahren kaum noch an Neukunden verkaufen. Daher begrenzen die Hersteller die Produktpflege auf die Aufrechterhaltung der Lauffähigkeit inkl. der notwendigen Sicherheits-Patches, und neue, moderne Funktionen und Schnittstellen werden trotz der hohen Softwarepflegegebühren eher selten nachgereicht.
Kosten
Alt-Archive machen immer noch das, wofür sie angeschafft wurden: Ablage und Recherche von Millionen oder Milliarden Dokumenten. Dafür erzwingen sie aber häufig eine nicht mehr zeitgemäße IT-Infrastruktur. So sind viele Altarchive z.B. auf Host-Umgebungen implementiert, wo sie nicht nur teuren Speicher, sondern ebenso teure MIPS-Kapazitäten verbrauchen. Generell erfordern Alt-Archive den Betrieb einer kompletten, zusätzlichen IT-Infrastruktur nebst Speicher, da sie sich diese Komponenten nicht mit modernen DMS-/ECM-Lösungen teilen können.
Exit-Strategie
Moderne ECM-Lösungen beinhalten häufig eine skalierbare Archivfunktionalität, sodass ein Anwender darüber nachdenken sollte, bei neuen ECM-Lösungen gleich ein Produkt auszuwählen, das auch als zukünftige Archivplattform geeignet ist.
Die notwendigen Schritte eines Migrationsprojekts sind in folgender Grafik dargestellt:
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Abbildung: Schritte eine Migrationsprojektes
Die einzelnen Schritte beinhalten folgende Aufgaben:
Quelle: Zöller & Partner Migrationscheckliste
Welche Hilfen gibt es?
- Hilfe kommt aus unterschiedlichen Bereichen und für unterschiedliche Aspekte des Migrationsprojektes:
Branchenspezialisierte Fachberater besitzen häufig Analysewerkzeuge und Checklisten zur Durchführung der Kosten-/Nutzenanalyse und für die weiteren „Check“-Arbeitsschritte aus bereits durchgeführten Migrationsprojekten. Auch helfen sie bei der Festlegung der Migrationsstrategie, der SLAs sowie der Dienstleister-Auswahl. Nicht zuletzt kann der Fachberater die Erstellung der Verfahrensdokumentation übernehmen. - Die Hersteller der Altsystem-Umgebungen bieten häufig Werkzeuge für den Export der Altdaten. Doch hier ist Vorsicht geboten, denn vielfach bieten diese Werkzeuge nur begrenzte Export-Möglichkeiten, und man muss prüfen, welche Objekte, Attribute, Parameter, Skripte etc. damit migriert werden können
- Die Hersteller moderner ECM-Umgebungen bieten wiederum unterschiedliche Import-Werkzeuge, die meistens mit Massen-Dateien und Steuerdateien zur Indexierung umgehen können, nicht aber mit Hersteller-spezifischen Lösungen wie Verkettungen von Single-Page-TIFF-Dokumenten, proprietären Annotationen oder Druck-Spool-Dateien.
- Spezialisierte Migrationsdienstleister besitzen häufig Erfahrung und Werkzeuge für die Durchführung der Migration. Sie setzen in der Regel dort auf, wo bereits alle fachlichen „Mängel“ ermittelt und behoben wurden. Teilweise bieten sie allerdings auch Werkzeuge, die technische Migrationsvoraussetzungen prüfen, bevor die Migration selbst startet.
Mit Hilfe einer Voranalyse kann einerseits die Wirtschaftlichkeit und andererseits die Komplexität des Unterfangens ermittelt werden, bevor die eigentliche Migration durchgeführt wird. Neben der eigentlichen Migration der Daten, die häufig zudem mit einer Formatkonvertierung der Dokumente einhergeht, ist auch die Protokollierung und abschließende Verfahrensdokumentation unerlässlich.
Fazit
Der dauerhafte Weiterbetrieb von Alt-Archiven ist häufig teuer und insbesondere dann unwirtschaftlich, wenn quasi nebenan ein modernes DMS/ECM implementiert ist, das die Alt-Archivdaten potenziell aufnehmen und verwalten kann. Hinzu kommt das Risiko, dass das Know-How personengebunden ist und nicht mehr zur Verfügung steht.
Die Migration von Alt-Archiven ist ein komplexes Unterfangen und es sind viele organisatorische, fachliche und technische Hürden zu meistern. Den Betrieb von Alt-Archiven nur aus Angst vor den Migrationsherausforderungen weiterzuführen, ist jedoch häufig wirtschaftlich nicht anzuraten, da viele Alt-Archive hohe Kosten verursachen, die nur deshalb akzeptiert werden, weil das immer schon so war.