Immer mehr Unternehmen entscheiden sich dafür, Dokumente bereits unmittelbar nach dem Posteingang elektronisch statt papierhaft in Umlauf zu bringen, um die Vorteile schnellerer, zeit- und standortunabhängiger Abläufe nutzen zu können. Auf der organisatorischen und auf der technischen Seite ergeben sich allerdings durch dieses „frühe Scannen“ einige besondere Herausforderungen, die es zu meistern gilt.
So einfach es zunächst klingt, Dokumente in den elektronischen Umlauf zu bringen, so kompliziert gestaltet sich dieser Prozess in der Praxis. Die Herausforderungen liegen sowohl in der zeitgerechten Zuleitung der Post nach dem Posteingang zur Scanstelle (Postlogistik), als auch in der eigentlichen Scanverarbeitung sowie in der anschließenden Verteilung in die Sachbearbeitung und Zuordnung der elektronischen Arbeitsaufträge.
Herausforderungen in der Postzuleitung
Beginnen wir vorne, d.h. bei der Postzuleitung in die Scanstelle: Damit die Verarbeitung bereits vor der eigentlichen Sachbearbeitung möglich ist, muss der scanrelevante Posteingang zunächst in die Scanstelle gelangen. Hierbei ergibt sich die erste Schwierigkeit, denn selbst wenn das Unternehmen von heute auf morgen ganzheitliches Scannen einführen würde, gibt es immer noch ausreichend Post (persönlich adressiert, Personalpost, Fehlzustellungen etc.), die bereits vor dem Scannen auszusortieren ist. In der Regel wird das frühe Scannen jedoch prozessweise eingeführt, und zu Beginn der Einführung ist möglicherweise nur ein Bruchteil der Poststücke an die Scanstelle zu leiten.
Hierfür werden typischerweise zunächst in der Poststelle alle Posteingänge gesichtet und zugeordnet, und Eingangskorbinhalte der betroffenen Empfängerabteilungen werden an die Scanstelle geleitet. Dieses Vorgehen ist dann praktikabel, wenn Poststelle und Scanstelle geographisch nahe beieinander liegen. Liegt die Scanstelle jedoch nicht in der Nähe, da sie an einem anderen Standort oder sogar extern betrieben wird, ergibt sich bereits im Posteingang ein potenzieller Zeitverzug, den nicht alle Fachabteilungen tragen können – schließlich soll das frühe Scannen ja einen früheren Vorgangsabschluss ermöglichen als die herkömmliche Bearbeitung.
Die Deutsche Post AG bietet einige Zusatzdienstleistungen an, die in diesen Situationen helfen können, z.B. die Postumleitung oder die Expresszustellung, die für Weiterleitungen nutzbar wären. Ab einer bestimmten Unternehmensgröße bzw. Posteingangsmenge kann sich auch die Einrichtung einer kostenpflichtigen Großkunden-Postleitzahl bei der Deutschen Post lohnen, bei der sich sämtliche Eingangspost, die an diese Großkunden-PLZ adressiert ist, ohne Zeitverzug an eine vom Kunden bestimmbare Alternativadresse umleiten lässt.
In vielen Organisation fallen weitere Papierunterlagen an, die nicht per Post zugestellt werden, wie z.B. Lieferschein-Quittierungen, die vom eigenen Personal mitgebracht oder Formularunterlagen, die vom Kunden direkt in der Geschäftsstelle abgegeben werden. Viele dieser Unterlagen erfordern eine zeitnahe Bearbeitung, der ein vorheriges Scannen möglicherweise im Wege steht, falls zunächst Postwege zum (externen) Scandienst anfallen. In manchen Fällen sind dann das Scannen vor Ort oder eine DMS-Faxzustellung die einzigen Möglichkeiten der zeitnahen Zustellung zur Sachbearbeitung. Damit die Originalunterlage einheitlich zu den zentral gescannten Unterlagen behandelt, also aufbewahrt, zwischengelagert und vernichtet werden kann, ist häufig dennoch ein Versand des bereits gescannten bzw. gefaxten Dokuments zur zentralen Lagerstelle notwendig.
Herausforderungen in der Scanverarbeitung
In der Scanstelle selbst ergeben sich weitere Herausforderungen, die für die frühe Bearbeitung spezifisch sind. So gilt es zunächst, den Bearbeitungsumfang festzulegen. Falls nicht bereits in vorgelagerten Poststellen geschehen, muss in der Scanstelle darüber entschieden werden, welche Unterlagen überhaupt gescannt werden sollen. Bei manchen Unterlagen ist dies bereits vor dem Öffnen des Umschlags erkenntlich, z.B. bei persönlich adressierter Post oder solchen, die an bestimmte „Ausschlussempfänger“, wie z.B. die Personalabteilung gesendet werden. Beim Öffnen der Post muss in diesen Fällen ein wachsames Auge auf die Dokumente geworfen werden, was den Zeitaufwand für die Tätigkeit des Öffnens deutlich erhöht.
Apropos Briefumschläge: Während Umschläge in der Regel nicht gescannt werden, lautet eine ergänzende Regel vielfach, dass Umschläge von Einschreiben wiederum doch gescannt werden sollen. Auch diesbezüglich muss die Papiervorbereitung zum Scannen besondere Sorgfalt walten lassen. Technisch stellen Briefumschläge viele Scangeräte vor besondere Herausforderungen, da sie vielfach als scheinbarer Doppeleinzug erkannt und in einigen Fällen aufgrund der abweichenden Blattgröße vom Scannerdurchzug nicht erfasst werden.
In vielen Organisationen müssen einige Poststücke körperlich in der Sachbearbeitung bearbeitet werden, auch wenn sie bereits gescannt sind – dies gilt insbesondere für „fremde“ Formulare, wie z.B. Heil- und Kostenpläne, die von Krankenkassen zu bearbeiten sind. Für solche Unterlagen ist entweder eine Logistik zu entwickeln, die das gescannte Papier nach dem Scanvorgang in Postumlauf bringt (und gleichzeitig dafür sorgt, dass das gescannte Abbild nicht elektronisch in Umlauf gelangt, weil hierdurch sonst die Gefahr der Mehrfachbearbeitung entsteht, da das gescannte Abbild unmittelbar den Empfänger erreicht und das Papier erst zeitverzögert eintrifft) oder die Sachbearbeitung bedient sich des elektronisch zugestellten Abbildes, druckt dieses aus und führt die notwendige Papierbearbeitung durch.
Weitere Herausforderungen ergeben sich durch die Zusendung von Gegenständen: Liegen einer Postsendung Gegenstände bei, so ist exakt zu klären, wie mit diesen zu verfahren ist. Die Weitergabe an eine zentrale Gegenstand-Verwaltung, die sich um die Weitergabe kümmert oder Zuteilung an denjenigen Sachbearbeiter, der das beiliegende Anschreiben elektronisch erhält, sind nur zwei von vielen Verfahrensweisen, die sich in der Praxis etabliert haben. Bei der Planung zu berücksichtigen ist auf jeden Fall, dass das gescannte Begleitschreiben unmittelbar nach dem Scanvorgang in die Sachbearbeitung gelangt, während der Gegenstand erst nach körperlichem Transport und damit zeitlich verzögert ankommen kann. In einigen Kundeninstallationen werden Gegenstände im DMS über ein „Vertreterdokument“ dokumentiert. Das Vertreterdokument ist hierbei ein Formular, das in der Scanstelle ausgefüllt wird, wobei vor allem eine Bezeichnung des Gegenstandes erfolgt, und gemeinsam mit dem Anschreiben eingescannt wird.
Aber auch Postsendungen ohne beiliegende Gegenstände können in der Poststelle Herausforderungen verursachen: Sobald sich in einem einzigen Umschlag mehrere Blätter befinden, stellt sich unmittelbar die Frage nach der fachlich zutreffenden Dokumententrennung. Aus Sicht der Postkorbbearbeitung ist es häufig notwendig, den „Kuvertzusammenhang“ zu bewahren, indem alle Seiten eines Umschlags logisch geklammert werden– aus Sicht einer möglichst flexiblen Recherchierbarkeit gescannter Unterlagen sollte jedoch eine möglichst exakte, d.h. getrennte Einzelablage erfolgen: Der einem Antrag beiliegende Studentenausweis soll beispielsweise innerhalb der Kundenakte separat recherchierbar sein, da dem Anschreiben „von außen“ sonst nicht erkennbar ist, dass der Studentenausweis als Folgeseite beiliegt.
Herausforderungen in der fachlichen Zuordnung
Im Rahmen der Scanverarbeitung sind Dokumente bereits fachlich zuzuordnen, wobei zwei grundlegende Zuordnungsarten typisch und in nahezu allen DMS-Lösungen anzutreffen sind: Die Zuordnung des Dokuments zu einer Dokumentenklasse sowie die Zuordnung zu einem Kernindex, in der Regel einem Partner (Lieferanten, Kunden, Mieter etc.). Beide Zuordnungen erfordern die inhaltliche Analyse des Dokuments. Während bei vielen Dokumenten für die Klassifizierung eindeutige Kriterien auffindbar sind, wie z.B. auf dem Dokument ablesbare, „eigene“ Formularkennungen, gestaltet sich die Klassifizierung für frei formulierte Dokumente und „fremde“ Formulare erheblich schwieriger. Bei diesen Dokumenten besteht häufig die Notwendigkeit, das Dokument anzulesen, um eine fachliche Dokumentenklassenzuordnung vornehmen zu können. Je granularer die Dokumentenklassenstruktur gestaltet ist, umso schwieriger ist es, die fachliche Zuordnung vorzunehmen, da für die Indexierung eine hohe fachliche Kompetenz über alle am Verfahren angeschlossenen Fachabteilungen benötigt wird.
Bei einigen Unternehmen umfassen die Dokumentenklassenstrukturen mehrere hundert Einträge; eine 100% zutreffende Zuordnung aller Dokumente ist in solchen Umgebungen fachlich kaum leistbar – zudem gibt es immer wieder Dokumente, die nicht eindeutig einer Klasse zugeordnet werden können oder sogar korrekter Weise mehreren Klassen zuzuordnen sind, da sie mehrere Vorgänge (z.B. Adressänderung und Tarifwechsel) enthalten.
Die Gestaltung des passenden Klassifizierungsrahmens, der gleichzeitig die Recherchierbarkeit der Unterlagen wesentlich beeinflusst, ist für den Projekterfolg von zentraler Bedeutung. Dies gilt für DMS-Projekte generell; für Umgebungen, in denen früh gescannt wird, muss überdies berücksichtigt werden, dass das Zuordnen der korrekten Dokumentenklasse aus Gründen der Arbeitsteilung zumeist in der Scanstelle und zwar dort am sogenannten Indexierplatz erfolgt und nicht in der Sachbearbeitung selbst. Daher hat es sich bewährt, bei der Gestaltung des Klassifizierungsrahmens auf Erfahrungen vergleichbarer Kundenumgebungen zurückzugreifen und hierdurch den besten Kompromiss aus exakter Auffindbarkeit und einfacher Klassifizierung zu ermitteln.
Die Ermittlung des Geschäftspartners stellt Scanstellen vielfach ebenfalls vor Herausforderungen, denn längst nicht auf allen Dokumenten ist der Geschäftspartner auf einfache Weise zu erkennen. Einige Schreiben enthalten mehrere Firmenadressen, insbesondere wenn sie aus Konzerngesellschaften stammen. Auch bei Schreiben, die nicht vom Geschäftspartner selbst, sondern von einem Vertreter (z.B. einem Inkasso-Partner) gesendet werden, kann es schwierig oder zumindest aufwendig werden, den Geschäftspartner zu ermitteln.
Herausforderung: Zustellung zum richtigen Empfänger
Nach Durchführung der Scan- und Indexiertätigkeit steht die nächste Herausforderung an: Die Zustellung des Dokuments zum richtigen Empfänger. In vielen Organisationen bestimmt die Kombination aus Geschäftspartner und Dokumentenklasse den zugeordneten Sachbearbeiter. Allerdings sind diese scheinbar einfachen, klaren Zuordnungen in vielen Kundenumgebungen plötzlich doch nicht so klar, wie es zunächst erscheint: Der zugeordnete Sachbearbeiter kann aus verschiedenen Gründen nicht verfügbar, der Vorgang aus verschiedensten Gründen doch einem anderen Sachbearbeiter fachlich zugeordnet sein, z.B. wenn zum selben Geschäftspartner bereits ein offener Vorgang abläuft, der von einem anderen Sachbearbeiter bearbeitet wird.
Auch sollen vornehmlich alle Dokumente eines Briefumschlags dem gleichen Sachbearbeiter zur Verfügung gestellt werden, damit er alle enthaltenen Informationen erhält. Eine automatische Lastverteilroutine muss hier entsprechende Intelligenz walten lassen.
Die folgende Grafik fasst die Herausforderungen der frühen Scanverarbeitung nochmals zusammen:
Alle vorgenannten Herausforderungen werden im Rahmen der späten Archivierung, also der Scanverarbeitung NACH der Sachbearbeitung, quasi automatisch gelöst: Sachbearbeiter geben in solchen Umfeldern die Dokumententrennungen bzw. Dokumentenzusammenhalte klar vor und teilen der Scanstelle über handschriftliche Aufschriften oder andere etablierte Verfahren mit, welche Dokumentenklasse und welcher Geschäftspartner im Rahmen der Scanverarbeitung zuzuordnen sind.
Bei immer mehr Unternehmen kommen im Rahmen der späten Archivierung Barcodeaufkleber zum Einsatz, die klare und einfache Dokumententrennungen ermöglichen und durch Hinterlegen der Fachattribute in einer Datenbank eine besonders schmale Scan-Erfassungstätigkeit ermöglichen.
Allerdings bietet die späte Scanverarbeitung nicht die Möglichkeiten der frühen Ablage: Die Dokumente müssen körperlich von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter transportiert werden, was Zeit kostet und erst im Anschluss an die Sachbearbeitung ist es allen weiteren zugriffsberechtigten Anwendern möglich, das Dokument einzusehen.
Größtmöglichen Nutzen aus frühem Scannen ziehen
Der Nutzen der frühen Scanverarbeitung liegt einerseits darin, den Verarbeitungsprozess deutlich zu beschleunigen, da Transportzeiten im Anschluss an das Scannen praktisch entfallen. Zudem ermöglicht die elektronische Verteilung der Eingangspost die Steuerung der Vorgänge über Workflow-Systeme, die einerseits für eine gleichmäßige Lastverteilung sorgen können und andererseits durch die maschinelle Steuerung eine hohe Gleichartigkeit und Planbarkeit im Vorgangsablauf garantieren. Den größten Nutzen der elektronischen Steuerung von Arbeitsprozessen erzielen daher solche Organisationsbereiche, die eine stark verteilte Bearbeitung des einzelnen Prozesses aufweisen.
Weitere Nutznießer der frühen Scanverarbeitung können sich in solchen Umgebungen finden, die viele gleichartige Dokumente verarbeiten müssen. In diesen Umgebungen lassen sich dann über automatisierte Klassifizierungs- und Schlüsselermittlungsverfahren sowie durch automatische Datenauslesung sonst anfallende manuellen Dateneingaben sowohl für die Dokumentenklassifizierung als auch für die Fachdatenerfassung einsparen und im Idealfall kann hier für einzelne Dokumentenarten eine sogenannte „Dunkelverarbeitung“ etabliert werden, d.h. die vollautomatische Vorgangsbearbeitung ohne manuellen Eingriff nach dem Scannen.
Durch den anhaltenden Preisverfall bei gleichzeitig leistungsfähigeren Lösungen werden die Möglichkeiten für immer mehr Unternehmen wirtschaftlich attraktiv, was den anhaltenden Boom für ECM-Lösungen insbesondere im sogenannten „Capture“-Bereich erklärt. Wir erwarten hier einen stabilen Trend zu erhöhter Automatisierung in den Erfassungsprozessen, breiteren Einsatzfeldern bis hin zu sogenannten „Mailroom-Lösungen“, die heute allerdings noch in den Kinderschuhen stecken. Frühe Erfassung kombiniert mit Dunkelverarbeitung wird somit in Zukunft nicht alleine in großen, sondern vermehrt auch in mittleren und kleineren Organisationen anzutreffen sein.