Autoren: Bernhard Zöller, Volker Halstenbach
Im Titel steht aus unserer Sicht eine Selbstverständlichkeit, aber trotzdem diskutieren wir in vielen Projekten die Erwartungshaltung, dass mit der Einführung der DMS-Lösung die Netzlaufwerke abgeschaltet werden können.
Viele DMS-Anwender, vor allem solche, die ein DMS nicht nur in Archivlösungen, sondern für Knowledge Worker und damit für alle Arten von Dateien und Dokumenten zur Verfügung stellen, legen in einem DMS Dateien und Dokumente ab, die vorher auf den Gruppenlaufwerken abgelegt wurden mit all den Vorteilen, die ein DMS dafür bietet:
- Dokumentierbare Unveränderbarkeit
- Attributbasierte Suche und Berechtigungssteuerung für Dokumente und Akten
- Versionierung
- Dok-ID und Folder-ID als dauerhaft stabile Verknüpfungen zur Integration mit externen Anwendungen
- Integration mit Scan- und Indexierverfahren (manuell oder maschinell)
- Organisation der Dokumente in bereichs- oder prozessspezifischen Aktenstrukturen
- Dokumentenworkflows
- Und viele mehr
Warum also nicht einfach ALLE Dateien aus dem Gruppenlaufwerk ins DMS?
- Ein DMS ist eine Datenbankanwendung mit Datenmodellen für Dokumente, Akten und Vorgänge. Das muss für jede Lösung, jeden Bereich, jede Akten- und Dokumentart eingerichtet werden. Diese Disziplinierung sorgt dafür, dass Mensch oder Maschine Unterlagen sicher wiederfinden. Der Preis dafür ist eine Erhöhung des Ablageaufwandes, je nach Komplexität des Ordnungssystems. Wird die „freie“ Ablage aber trotzdem gewünscht, besteht das Risiko, dass man einfach nur eine Fileshare-Simulation baut und die gleichen Probleme wie vorher hat (“wir finden nix”), nur teurer, manchmal langsamer und für den Anwender immer mit einer neuen Lernkurve verbunden.
- Im Gruppenlaufwerk funktioniert die Ablage einer Datei immer gleich, egal zu welchem Bereich der Ordner gehört. Jeder Drag&Drop-Vorgang, jeder Speichern-unter …-Vorgang ruft den immer gleichen Windows-Ablagedialog auf. Außer technischen Attributen (Dateiname, Einstelldatum etc.) werden keine Attribute, geschweige denn Pflichtattribute, erfasst. In einem DMS ist das komplett anders: Für jede Akte, jede Dokumentart werden angepasste Ablagedialoge eingerichtet, die zum Beispiel sicherstellen, dass nur relevante Attribute ausgefüllt werden, dass Pflichtfelder ausgefüllt werden müssen, dass ggf. Daten aus anderen Anwendungen zur Indexierung genutzt werden, dass Metadaten aus einer Mail oder einem Word-Objekt ausgelesen und zur Indexierung genutzt werden. Mit anderen Worten: Mal eben so irgendwo ablegen, ist genau das, was ein DMS vermeidet, um die Unterlagen auch zuverlässig wiederzufinden.
Und was für die Ablage gilt, gilt auch für die Suche. Die Suchdialoge sind fast immer den spezifischen Bereichsanforderungen angepasst. Es gibt eigentlich keine generische Suche, die immer passt. - Ein DMS ist als Datenbankanwendung langsamer als ein File-System. Das merkt man als User immer dann, wenn ein Ordner mit Unterordnern per Drag&Drop verschoben werden muss. Das geht im Fileshare in wenigen Sekunden. Würde man das in einem DMS machen, dauert es i. d. R. ein Mehrfaches der Zeit und wird dann besonders kritisch, wenn mit der Verschiebeaktion auch gleichzeitig Vererbungsprozesse angestoßen werden, da die Berechtigungen hier häufig auf Akten- oder Dokumentklassen oder Attributen basieren. Das führt häufig zu Inkonsistenzen, wenn der Vererbungsprozess bei Stapelverschiebungen noch nicht abgeschlossen ist, die Endanwender die Dokumente oder Akten/Unterakten aber bereits wieder in andere Bereiche verschieben. Das Verschieben von Ordnern und Dokumenten in andere Archivbereiche hat zudem häufig zur Folge, dass für die Ordner und Dokumente im Zielbereich andere Attributsets zu pflegen sind als im Quellbereich. Das häufige Verschieben von Ordern durch Endanwender sollte daher in einem DMS vermieden werden.
- Absolute und relative Links in Altdateien. Wer kennt nicht die Word- und Excel-Dokumente, die in sich Verweise auf andere Dateien tragen? Wenn also das Jahres-Excel auf 12 verschiedene Monats-Excel-Dateien per absoluter oder relativer Pfadangaben zeigt. Diese Links können nicht automatisch durch die neuen Dok-IDs ersetzt werden, der Aufruf führt zur Fehlermeldung.
- Manchmal finden wir Datenbankdateien (z. B. MS Access) auf den Fileshares. Diese können in einem DMS häufig nur in „eingefrorenem“ Zustand bereitgestellt werden, nicht jedoch zur weiteren Datenpflege. Für die Datenpflege muss die Datenbank zunächst in das Dateisystem exportiert und im Anschluss an die Pflege erneut vom Anwender in das DMS überführt werden.
- Anwendungen, die zeitgleich mehrere Dateien öffnen (z. B. CAD-Systeme, die neben den Planzeichnungen auch Ressourcen-Dateien im Zugriff verwenden), erwarten diese Zusatzdateien in einem Dateilaufwerk.
- Wenn die Motivation sein sollte, dass der Speicher für die Gruppenlaufwerke zu teuer sei (das hören wir tatsächlich ab und zu mal als Begründung für die Migration von Unterlagen in ein DMS): Überraschung, ein DMS benötigt ebenfalls Speicher. Vielleicht weniger, weil man mehr Ordnung hält, aber die Größenordnung ist ähnlich. Also nein: keine Kostenersparnis bei Verwendung eines DMS-Speichers.
In diesem Zusammenhang: Was wir auch häufig hören ist, dass mit der Einführung von Microsoft 365 die Gruppenlaufwerke endlich abgeschafft werden können. Nein, werden sie nicht. Sie heißen dann nur anders, nämlich OneDrive. Und da droht exakt das gleiche Chaos wie im lokalen Fileshare, wenn man den Anwendern keine Handreichung gibt, wie sie Dokumente und Unterlagen sinnvoll ablegen und verwalten sollen.
Wie so häufig ist die Ursache von Dokumenten-Management-Problemen nicht der Mangel an Technik oder Lizenzen, sondern der fehlende organisatorische Unterbau: Zu empfehlen ist, die Vielfalt der Ablagen zu begrenzen und zugleich klare und im täglichen Betrieb einfach anwendbare Vereinbarungen zur Nutzung der unterschiedlichen Ablagesysteme bereitzustellen; ein vollständiger Verzicht auf klassische Dateiablagen ist unserer Beobachtung nach jedoch nicht sinnvoll möglich.