Im März 2007 hatten wir einen Beitrag veröffentlicht, der sich mit der zunehmenden Vielfalt von Content Management Systemen bei Anwendern inklusive Archiv-, DMS- und sonstiger ECM-Lösungen und den daraus entstehenden Problemen und Tipps zur Vermeidung bzw. Aufgaben zur Lösung dieser Probleme beschäftigte. Die Aussagen im damaligen Artikel sind nach wie vor gültig und daher (so meinen wir) lesenswert. Trotzdem wollten wir das Thema aktualisieren und ergänzen, weil
- neue Aspekte hinzugekommen sind, wie Web-basierte Collaboration-Lösungen, Tablets mit Nicht-Windows-Betriebssystemen, Cloud, die zunehmenden Probleme mit der Ablage auf File- und E-Mail-Systemen,
- die aktuelle Marktentwicklung auf der Anbieterseite neue Handlungsoptionen ermöglicht,
- sich aus unserer Wahrnehmung zunehmend Unternehmen und Behörden jeder Größenordnung und aus jeder Branche genau mit diesen Aspekten beschäftigen. Eine lange Historie mit Altlösungen kollidiert zunehmend mit aktuellen Anforderungen.
Bei der Erarbeitung dieses Artikels hat sich schnell die Erkenntnis eingestellt, dass die Themenfülle einen 2-teiligen Artikel sinnvoll macht. Der vorliegende Teil 1 zeigt Probleme auf, die eine ECM-Strategie adressiert und wie diese Problemen gelindert, vermieden oder beseitigt werden können. Teil 2 erläutert das Modell einer ECM-Zielarchitektur, die notwendigen Werkzeuge und begleitenden Prozesse und Vorgehensweisen zur Erarbeitung. Seit der Veröffentlichung des ersten Artikels zu diesem Thema stellen wir in vielen Projekten fest, dass die Probleme der Anwender häufig gleichartig sind. Hier einige Beispiele aus der Praxis:
1. Gewachsene Systemvielfalt
Dokumente, Unterlagen und andere wichtige Informationen liegen in einer kaum noch überschaubaren Vielfalt an Systemen und Repositories vor.
- File-Server mit Abteilungsbereichen mit spezifischen Ablagestrukturen, was die Nutzung für andere Bereiche – sofern es überhaupt gewollt ist – häufig unmöglich macht.
- E-Mail-Systeme (und von dort ggf. migriert auf dedizierte E-Mail-Archive),
- ERP- und Fachanwendungen mit eigener Dokumentenverwaltung,
- Intra- und Extranetportale für Mitarbeiter und Externe,
- Web Content Management Systeme,
- mehrere DMS- und Archivlösungen, die häufig abteilungs- oder prozessspezifisch beschafft wurden,
- sowie spezialisierte Systeme z.B. für technische Dokumente, Patente, Bild-/Audio- und Videoinhalte und viele mehr, die von den anderen Ablagesystemen nicht mit der notwendigen Funktionalität abgedeckt werden.
Offensichtliches Problem dabei: Nicht nur für kleinere und mittlere Unternehmen, auch für große und Behörden mit mehr Budget und größeren IT-Abteilungen ist das nicht mehr sinnvoll betreibbar. Für die normalen Mitarbeiter ist das häufig nicht mehr verständlich. Die vorhandenen Systeme unterscheiden sich in allem: Funktionalität, Benutzeroberfläche, Integrationsfunktionen in die Desktop- und Hintergrundsysteme, Rechteverwaltung, u.v.a.
Auch für die IT wird das zum teuren und dauerhaft nicht mehr pflegbaren Albtraum: Vielzahl an Client- und Servertechnologien, potenzierte Anforderungen an die Integration in Fachanwendungen und IT-Infrastruktur, bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Vorgaben für Plattform- und Architektursupport, Hochverfügbarkeit und Transportsysteme, um die dauerhafte Betriebsfähigkeit der geschäftskritischen Systeme gewährleisten zu können. Manche ECM-Gesamtlandschaften sind bereits so komplex geworden, dass die Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes schwierig geworden ist.
Für den Bereich Recht/Compliance/Revision ist das ebenfalls äußerst unbefriedigend, weil nun eine belastbare Auskunftsfähigkeit zu bestimmten Sachverhalten unmöglich geworden ist. DIE Akte zu Kunde X oder Vorgang X gibt es nicht. Zusammen mit den persönlichen Versionen der Dokumente auf dem File-System („Angebot_aktuell.doc“) kann man eigentlich nur hoffen, dass man die richtige Unterlage erhält.
Quelle: Zöller & Partner, ECM-Seminar 2013
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Erarbeitung eines ECM-Funktionsangebotes, Konsolidierung der Systemvielfalt, Erarbeitung Zielarchitektur. Ziel ist die Standardisierung von ECM-Komponenten für bestimmte ECM-Anforderungen zur Reduktion der Komplexität und Vereinfachung der Handhabung für alle Beteiligten inkl. Anwender und IT-Support. Erste Aufgabe ist es daher, die Anforderungen (fachlich, funktional, technisch plus Rahmenbedingungen) zu ermitteln und diese zu bewerten (Was ist üblich? Was ist sinnvoll? Was ist übertrieben?). Daraus lassen sich die Anforderungen an die zukünftige ECM-Landschaft ableiten. Besteht im ECM-Team erst einmal ein gemeinsamer Konsens um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Collaboration, DMS/Akte/Archivierung, Web Content Management, Portal Enterprise Search, dann können die Einzelthemen priorisiert und die ECM-Strategie entsprechend in „Kapitel“ gegliedert werden. Nach Identifikation der konkreten zu beschaffenden oder bereits vorhandenen Komponenten kann ein entsprechendes ECM-Dienstleistungsangebot abgeleitet werden, das dem Unternehmen zur Verfügung gestellt wird.
Es kann nach unserer Ansicht aber nicht die EINE einzige Plattform geben, die alle Probleme löst. Kein Trotz einer zunehmenden Funktionsvielfalt vieler ECM- und Collaboration-Lösungen gibt es keine ECM-Plattform am Markt, die alle Arten von Content Anforderungen aus einer homogenen Architektur abdecken kann. Grob gesagt gilt nach wie vor: Es gibt exzellente, auch für kleinere Geldbeutel attraktive DMS-/Akte-/Archivlösungen, die aber keine Collaboration-Plattform mit Wikis, Blogs, Projekträumen, SocialNet-Funktionen zur Verfügung stellen. Und umgekehrt decken die meisten Collaboration-Plattformen wichtige Anforderungen wie Skalierbarkeit für Archiv- und DMS-Anwendungen, transaktionale Workflows, „echte“ Aktenfunktionen (und nicht nur gruppierte Trefferliste) sowie fertige Verknüpfungsschnittstellen mit den gängigen ERP-Lösungen gar nicht oder nur durch erheblichen Zusatzaufwand ab.
Erarbeitung des ECM-Zielbildes: Nach unserer Einschätzung wird es immer eine Mehr-Säulen-ECM-Strategie geben. Die wesentlichen Säulen sind hierbei: DMS/Akte/Archiv, Collaboration, Web Content Management, File-und E-Mail-System, ERP-Systeme bzw. Fachanwendungen (mit eigenen Ordnungs- bzw. Aufbewahrungsfunktionen) und definierte Ausnahmen. Säulenübergreifend wären Enterprise Search und Enterprise Portal im Unterschied zu Volltextsuche und Portalanwendungen innerhalb der einzelnen Säulen. Bei der Erarbeitung des Zielbildes sollte man pragmatisch sein, wenn man für bestimmte Anforderungen von der „reinen Lehre“ abweichen muss. Wir kennen zu viele Architekturvorgaben, die an der Realität scheitern und dann konsequent umgangen werden. Dazu gehören die Komponenten auf der ECM-Anwendungsebene und die Integration zwischen den Anwendungen ebenso wie die Ebene der Infrastruktur.
2. Vielfalt an hausinternen Regelungen und Verfahren
Bei den meisten Unternehmen gibt es in der Regel keine zentrale Stelle, die sich mit geschäftskritischen Dokumenten oder Unterlagen beschäftigt. Die Anforderungen zur Bearbeitung, Aufbewahrung, Zugriffsrechten, Vernichtung etc. werden von den für den Prozess verantwortlichen federführenden Bereichen definiert. Also Rechnungswesen für kaufmännische Dokumente, Einkauf für Beschaffungsunterlagen, Vertrieb für Kundenakten etc. Das sollte auch so bleiben, weil nur in den federführenden Bereichen die entsprechende fachliche Kompetenz angesiedelt ist. So findet aber meistens auch keine sinnvolle bereichsübergreifende Koordination von Verfahren, Regeln und Ordnungssystemen statt und es fehlt auch die koordinierende Stelle, die zwischen den bereichsspezifischen Anforderungen und übergeordneten Interessen anderer Bereiche (Fachbereiche, Recht/Compliance, IT) oder des Gesamtunternehmens vermittelnd moderiert. Man muss eine solche Stelle nicht unbedingt neu schaffen: Die Aufgaben können einem ECM-Competence Team zugeordnet werden, die aus Vertretern der Orga-Bereiche als Mittler zwischen IT und Anwendern, der IT selbst, der Abteilung Recht/Compliance und situativ den Fachbereichen bestehen. Im Idealfall kommt auf Dauer nicht mehr Arbeit auf die Beteiligten zu, weil nicht jedes ECM-Rad neu erfunden werden muss.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Koordination der Verfahren und Ordnungssysteme. Kandidaten zur Abstimmung sind Regeln zur Ablage und Vernichtung, Verfahren zur Anforderungsqualifizierung der Wünsche aus den Bereichen und deren Umsetzung (ECM-Anforderungsmanagement) und der Bewertung von Anforderungen, die eine Ausnahme bedeuten würden. Um es anschaulich zu machen, vier Beispiele:
- Bei bereichsübergreifenden Ablage- und Zugriffsanforderungen wird das Ordnungssystem primär durch den federführenden Bereich bestimmt, aber in Abstimmung mit anderen Bereichen, die ebenfalls Ablegen/Finden müssen. Das ECM-Competence-Team moderiert/koordiniert diese Abstimmung und protokolliert die Ergebnisse. Diese stehen nicht zwangsläufig in der ECM-Strategie, das kann auch nachgelagerte Einzelprojektarbeit sein. Aber die Tatsache, dass ein solches Verfahren anzuwenden ist, steht in der ECM-Strategie.
- Die ECM-Strategie könnte einen Abschnitt über die Erfassung von Dokumenten via Multifunktionsgeräte enthalten, der bestimmt, dass Default-Profile für volltextrecherchierbares PDF einrichtbar sein müssen, weil sonst die Mitarbeiter in Unkenntnis der Konsequenzen jede Seite in der Auflösung „Hohe Qualität“ einscannen, was dazu führt, dass jede A4 Seite 4 MB groß ist, statt der 50 – 200 KB, die ausreichend wären.
- Man könnte Schutzklassen Dokumentarten zuordnen und dem Anwender die Konsequenzen erläutern. Wir verwenden häufig 4 unterschiedliche Schutzklassen von 1 (kann gelöscht werden) bis 4 (hohe Sicherheitsanforderungen, WORM-Speicher und Ordnungssystem zwingend). Den Schutzklassen sind dann technische Systeme zugeordnet, mit denen diese Schutzanforderungen abdeckbar sind.
- Man könnte definieren, dass eine ECM-Anforderung aus einem Bereich vom zentralen ECM-Competence Center (wie auch immer die ECM-Koordinierungsstelle bezeichnet wird) qualifiziert und dann entweder eine Lösung aus dem Standarddienste-Portfolio zur Verfügung gestellt wird oder eine Ausnahmeregel greift, wenn die Anforderung vom verfügbaren ECM-Portfolio nicht abgedeckt werden kann.
Das sind willkürlich ausgewählte Beispiele mit unterschiedlichem Detaillierungsgrad. Das Unternehmen kann natürlich selbst bestimmen, in welchem Detaillierungsgrad welche Themen in ein Strategiepapier aufzunehmen sind. Unserer Erfahrung nach wird ein Strategiepapier schneller akzeptiert, wenn es auch dauerhaft gültige, aber konkrete, d.h. vom Mitarbeiter verstandene und umsetzbare Anleitungen zur Verfügung stellt.
3. Begriffsverwirrung zu ECM generell und ECM-Einzelthemen
Enterprise Content Management stellt keinen klar definierten Funktionskatalog dar, sondern ist ein sehr allgemeiner Begriff mit vielen funktionalen Facetten. Je nach Interessenlage wird der Begriff dann auch in andere Richtungen gedehnt oder mit vermeintlich besseren Begriffen ersetzt, die aber wiederum nur die Interessenlage des Anbieters/Beraters besser abdecken kann (Knowledge Management, Enterprise Information Management, Informationslogistik usw.). Das hilft niemandem, sondern erzeugt nur weitere Verwirrung. Aus unserer Sicht ist ECM ein mittlerweile breit akzeptierter aber unspezifischer Oberbegriff der folgende sehr spezifischen Einzelthemen beinhaltet:
- Ordnungsgemäße Aufbewahrung (vulgo: Archivierung) von Daten und Dokumenten inkl. gescannte Dokumente, E-Mail, elektronische Dateien, Übernahme aufbewahrungswürdiger Unterlagen aus externen Anwendungssystemen
- Klassisches Dokumenten Management mit Versionierung, Abbildung des Redaktionsprozesses und Lebenszyklus von Dokumenten von der Entwurfserstellung bis zur Archivierung und Vernichtung
- Web Content Management
- Collaboration inkl. Wikis, Blogs, Projekträume
- Automationswerkzeuge (Workflow) innerhalb der jeweiligen Anwendungsbereiche
- PDM/PLM (Product Data Management / Product Life Cycle Management) in der produzierenden Industrie
- Enterprise Search
- Enterprise Portal
Quelle: Zöller & Partner ECM-Seminar 2013
Begriffsverwirrung zu ECM-Einzelthemen: Was wir in vielen Projekten vorfinden ist eine durch Anbieter, Berater und Presse verursachte Verwirrung zu den funktionalen ECM-Einzelthemen. Typische Beispiele sind:
- Archivierung kann ordnungsgemäße Aufbewahrung bedeuten (Sicherstellung der Reproduktionsfähigkeit geschützter Informationen über die Dauer der Aufbewahrungsfrist), aber auch „Fettabsaugung“ zur Verschlankung von E-Mail- oder ERP-Systemen und wäre dann funktional und technisch etwas komplett anderes. Der IT-Administrator kennt den Begriff aber auch im Zusammenhang mit Auslagerung und Backup. Und schließlich gibt es im öffentlichen Bereich noch die Aufgabe zur dauerhaften Archivierung zum Beispiel für kulturhistorisch wertvolle Objekte und Unterlagen: geregelt in „Archivgesetzen“, die aber funktional mit den oben genannten Bedeutungen nichts gemeinsam haben. Hier versteht ein Landesarchivar wiederum etwas komplett anderes als der SAP- oder Exchange-Systemadministrator. Diese drei „Archivanwender“ haben funktional kaum etwas gemeinsam, verwenden aber den gleichen Begriff.
- E-Mail-Archivierung Der Bereich Compliance initiiert eine Journal-basierte Mail-Archivierung weil sie meint, damit ihre Compliance-Anforderungen erfüllen zu können (was häufig nicht stimmt). IT rollt mit den Augen, weil diese Journalarchivierung die träge gewordene Exchange Datenbank cirka Null-komma-Null entlastet und kauft eine regelbasierte Archivierung, die alle Attachments älter als 3 Monate auslagert und so das Recovery verkürzt und die Quota-Regelung verkaufen hilft. Der Leiter der kaufmännischen Abteilung kann mit beiden Varianten nichts anfangen, weil damit eine vorgangsbezogene E-Mail nicht zum Vorgang abgelegt werden kann und im Gegenteil die regelbasierte E-Mail-Archivierung (Exchange-Fettabsaugung) sogar neue Probleme aufwirft, weil man unterwegs keinen Zugriff mehr auf die Attachments hat, die nun im Archiv liegen und bei der Lösungsauswahl das Thema „lokaler replizierender Offline-Cache“ nicht berücksichtigt wurde. Der Leiter Rechnungswesen benötigt also immer noch die komplette E-Akte zum Lieferanten oder Kunden und versteht, dass er eine weitere Variante der E-Mail-Archivierung benötigt (DMS-basiert), damit er die ein- und ausgehende Mail zum Kunden zusammen mit den gescannten Dokumenten und den ausgehenden Rechnungen ordnungsgemäß in einer einzigen Unterlage findet.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Herstellung Team-Konsens zu Begrifflichkeiten, Identifikation und Bewertung der Anforderungen. Die Liste dieser ECM-Themen, die mit gleicher Begrifflichkeit sehr unterschiedliche Dinge bedeuten, ließe sich beliebig fortführen mit „Workflow“, „Knowledge Management“, „Akte“, „Versionierung“ und so fort. Teilaufgabe einer ECM-Strategie ist es, Konsens im Unternehmen zu den verschiedenen Aspekten und Themen herzustellen, um auf Basis dieses Team-Konsenses eine unternehmensweit gültige Richtlinie überhaupt durchsetzen zu können.
Es geht aber nicht nur um allgemeine oder spezielle ECM-Themen und –begriffe, sondern darauf aufbauend werden die Anforderungen erhoben, bewertet und priorisiert. Anforderungen sind auch immer auf „Umsetzbarkeit“ zu prüfen: sind sie angemessen, ist die gewünschte/geforderte Lösung Best-Practice? Steht der Aufwand im sinnvollen Verhältnis zum Problem/Nutzen? Mit welchen Komponenten aus der ECM-Plattform sollen diese Anforderungen abgedeckt werden?
4. Unkenntnis der Ordnungssysteme und Ablageregeln
Es wird gefordert, dass die Mitarbeiter wissen, um welche Dokument- und Unterlagenart es sich handelt, weil sich danach regulatorische Konsequenzen zur Aufbewahrung ergeben. Diese wiederum bestimmen die Form der Aufbewahrung: E-Mail, Projektakte im Filesystem, Einkaufsakte in der ERP-Anwendung, Lieferantenakte im DMS oder Papierkorb. Häufig mangelt es aber an anwendbaren, konkreten Hilfestellungen wie zum Beispiel einer Schriftgutordnung ergänzt um bereichsspezifische Handreichungen zur Ablage.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie (für Punkte 4. bis 7.): Mit einem über die verschiedenen Bereiche abgestimmten Vorgehen für Regeln und Ordnungssysteme (siehe oben) ist dieses Problem lösbar. Wichtig ist, dass die Verfahren und Regeln auch bekannt gemacht werden und von Anwendern praktisch umsetzbar sind. Dies gilt auch für die nachfolgenden Problembeispiele: Mehrfachablage, persönliche Versionierung und „Datei-Messies“.
5. Mehrfachablage
Da jeder Bereich für sich ablegt, und man selten Zugriffsrechte (oder Kenntnisse der Ablage) über die Bereichsgrenzen hinaus hat, legt man die für den eigenen Bedarf notwendigen Dokumente halt auch bei sich ab.
6. Persönliche Versionierung
Häufige Dateibezeichnung für Excel-Dokumente? „Mappe1.xls“. Für Word-Dokumente? „Sehr geehrte Damen und Herren.doc“. Kein Witz. Nach kurzer Aufklärung, wie man dieses Problem löst folgt dann dem „Angebot_aktuell.doc“ dann „Angebot_aktuell_final.doc“ und „Angebot_aktuell_final_Überarbeitung_durch_Legal.doc“.
7. Datei-Messies
müllen die File-Systeme zu. Niemand weiß, was man wie und wo ablegen soll, also wird ALLES abgelegt und nichts gelöscht. Und bloß keine Altversion löschen. Jeder Bereich baut sich seine eigenen Ablagestrukturen, auch wenn mehrere Bereiche die Unterlagen benötigen. Dann wird eben kopiert. Selbst wenn man anderen Bereichen Zugriffsrechte geben würde, fällt es denen schwer, die Ablagestruktur eines anderen Bereiches zu verstehen.
8. „Rechteleichen“
weil der IT Administrator natürlich dafür sorgen muss, dass Unbefugte nicht auf bestimmte Dokumentarten im Dateisystem zugreifen dürfen. Häufig werden File-Systeme nach Bereichs- oder Abteilungsbezeichnungen strukturiert und dort entsprechende Rechte gegeben. Diese Pfade sind dann die Referenzen für andere Systeme. Als ob eine Firma sich nie umorganisiert und Bereichsnamen ändert.
Daraus resulierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Definition von Regeln für die Zugriffsrechte, die den Nutzen des Gesamtunternehmens höher priorisieren als die Wünsche einzelner Bereiche und Abteilungen (das Dokument gehört dem Unternehmen, nicht dem Bereich!). Hier gibt es häufig sehr viele alte Zöpfe abzuschneiden. Übertriebene Schutzbedürfnisse, die dazu führen, dass Dokumente nicht direkt eingesehen werden können und daher im Durchlauf für den eigenen Zweck kopiert werden, hebeln natürlich jede vernünftige Schutzregelung aus. In einer ECM-Lösung können Rechte an Fachlichkeiten gebunden, temporär vergeben und häufig auch von Fachadministratoren geändert werden, was die zentrale IT entlastet, die keinen Rechteverhau auf dem Netzlaufwerk pflegen muss.
9. E-Mail-Zuwachs
Wie Abschnitt „Datei-Messies“, nur mit E-Mail und dadurch mit einer um Faktoren erhöhten Anzahl. Verschärft wird die Situation, weil Anwender die Mailablagen manchmal wie Schattenablagen verwenden. Häufig findet man Verzeichnisstrukturen vor, die dem File-System ähnlich sind, durch Replikationsfunktionen der Mail-Systeme aber bequem auch offline verfügbar sind. IBM Notes-Anwender haben hier eine verschärfte Problematik, weil sich häufig eine Vielzahl von Domino Dokument-Datenbanken mit Hunderten von Eigenentwicklungen findet, die sich jeder automatischen Migration in andere Systeme entziehen.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Auch dieses Problem ist mit den oben bereits geschilderten Teilaufgaben adressiert. Wir würden vor Einführung einer dedizierten E-Mail-Archivierung zur Server-Verschlankung zuerst prüfen, ob die Ablage von E-Mails in der zugehörigen eAkte bereits ein Teil des Problems löst. Dazu gehören selbstverständlich Funktionen wie die Einmalablage von Verteiler E-Mais (das hat aber nichts mit Single-Instance zu tun, häufiges Missverständnis!) und auch hier die Überarbeitung von Rechtsinseln, weil mit der Ablage der E-Mail in die eAkte die Zugriffsrechte der eAkte gelten, nicht mehr diejenigen im E-Mail-System.
10. Begriffsverwirrung um E-Mail-Archivierung
zu obigem Abschnitt gehört das Problem, dass als Antwort auf alle E-Mail Probleme ein E-Mail-Archivsystem beschafft wird. Manchmal eine journalbasierte Archivierung (die gar keines der oben genannten Problem löst), manchmal eine regelbasierte Archivierung (die bestenfalls das Problem fett gewordener Mail-Datenbanken löst) und manchmal eine anwendergetriebene E-Mail-Ablage auf Basis einer DMS-Plattform (die tatsächlich in der Lage wäre, die o.a. Probleme wenigstens teilweise zu lindern).
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Team-Konsens zu Begrifflichkeiten, Schaffung eines ECM-Funktionsangebotes für die unterschiedlichen Anforderungen. Oben bereits erläutert.
11. Jeder ECM-Anbieter kann vermeintlich alles
Wenige ECM-Anbieter disqualifizieren auch mal eine Anfrage, weil sie nicht das passende Produkt haben. Viele wollen nicht zugeben, dass man in bestimmten ECM-Funktionsbereichen wie Collaboration, hochvolumige Akte/Archiv, transaktionales Workflow mit Arbeitslisten, klassisches DMS mit Versionierung etc. besser nicht anbieten sollten.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Auswahl und Standardisierung auf ECM-Lösungen, die nach Blick „unter die Haube“ eine dauerhaft nutzbare Plattform für heutige und zukünftige Anforderungen darstellen. Bereits vorhandene Lösungen haben sicherlich einen Bonus bei der Bewertung, wenn sie die Anforderungen der Beteiligten zur Zufriedenheit abdecken, auch wenn sie bei strenger Betrachtung vielleicht nicht in allen Aspekten den Zielvorgaben entsprechen. Da wir aber nicht erkennen, dass es eine solche idealtypische Lösung am Markt überhaupt gibt und eine Migration immer mit hohen Kosten verbunden ist, sollte man die Kirche im Dorf lassen und vorhandene Lösungen nur dann migrieren, wenn der betriebswirtschaftliche Nutzen klar ist. Häufig ergeben sich aber auch dann „Migrationsfenster“, wenn der Hersteller der nicht-strategischen Plattform eine neue Architektur einführen möchte, wenn Komponenten komplett aus der Wartung genommen werden, wenn Preiserhöhungen anstehen etc.
12. Die „großen“, internationalen ECM-Suiten sind nicht unbedingt die mit dem größten Standard-Funktionsumfang
Immer wieder überraschend: Viele ECM-Suiten – gerade auch solche der internationalen Anbieter – haben keine Standardkomponenten für einfache Anforderungen wie Multiformat-Viewer (kommt von Partner A), Aktenmodell (Partner B), Integration in Notes (Partner C), Workflow (eigenes Produkt aber andere Abteilung, d.h. Produkte sind nicht wirklich miteinander integriert), SAP-Integration (Partner D) usw. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Gleichzeitig gibt es mittlerweile mittelständische ECM-Anbieter, die eine sehr viel umfangreichere Funktionspalette im Standard mit ausliefern. Diese Intransparenz des Marktes kostet den Anwender, weil die Erkenntnis manchmal viel zu spät im Projektverlauf kommt.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Mit oben bereits erläuterter Teilaufgabe „Auswahl und Standardisierung auf ECM-Lösungen“ erledigt.
13. Unterschiede erst beim Blick unter die Haube sichtbar
Alle haben eine Antwort auf die aktuellen Schlagworte: „Cloud, E-Mail-Archivierung, Compliance, Workflow, etc.“ Die Unterschiede unter der Haube offenbaren sich erst nach Projektbeginn. Bei den Demos sind alle gleich hübsch. Man zeigt den Teil von „Akte“, „Versionierung“, „Projektraum“, „E-Mail-Integration“, der das eigene System plausibel und funktional ausreichend erscheinen lässt. Ob die Outlook-Integration das tut, was die Mitarbeiter benötigen, ist damit nicht gezeigt. Mit anderen Worten: Wer die Knackpunkte zum Thema Versionierung oder eAkte oder Integration in Fachanwendungen nicht kennt, der hat auch keine Chance die diesbezüglichen Produktunterschiede zu erkennen und zu bewerten.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Mit oben bereits erläuterter Teilaufgabe „Auswahl und Standardisierung auf ECM-Lösungen“ erledigt.
14. Eigenentwicklungen, zentrale Diensteangebote
Lösungen, die von der IT mit viel Mühe (vielleicht auf Basis der ECM-Plattform X) erstellt wurden, werden von Anwendern [ ] widerwillig genutzt [ ] ignoriert [ ] gehasst [ ] torpediert (bitte ankreuzen). Die Endanwender/Fachbereichsleiter haben irgendwo ein System Y gesehen, dessen Oberfläche schicker ist und der Anbieter hat alle Fragen mit „Ja, Standard“ beantwortet. Und dessen Kosten sind vermeintlich deutlich geringer als die internen Verrechnungskosten für die IT-Leistung aus dem eigenen Haus.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Mit oben bereits erläuterter Teilaufgabe „Auswahl und Standardisierung auf ECM-Lösungen“ erledigt, weil auch die Eigenentwicklung ergebnisoffen einer Bewertung unterzogen werden kann. Hier müssen die Vor- und Nachteile einer Eigenentwicklung fair mit denjenigen von Drittprodukten verglichen werden.
15. Altkomponenten
Manche Lösung, die vor Jahren beschafft wurde, wird anscheinend vom Anbieter nicht mehr gepflegt. Man zahlt zwar jährlich 17 bis 25% der damaligen Listenpreise für Software-Wartung, bekommt Support für Altkomponenten aber anscheinend nur noch aus „betreutem Wohnen“, weil die Komponenten eigentlich seit Jahren nicht mehr weiterentwickelt werden. Die aktuelle Mitarbeitergeneration, und die Smarten unter diesen, arbeiten logischerweise an den aktuellen Produktlinien mit Zukunftsperspektive. Man meint aber, man kann nicht migrieren, weil man eine komplexe Gesamtarchitektur hat.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Aufzeigen eines Zielbildes, Definition von Migrationskandidaten und entsprechende Zeitplanung. Siehe hierzu auch die obigen Erläuterungen zu Teilaufgabe „Auswahl und Standardisierung auf ECM-Lösungen“.
16. In der produzierenden Industrie Trennung zwischen technischen und administrativen Dokumentbereichen.
Besonders im produzierenden Gewerbe problematisch: Die Unternehmen haben eine starke Trennung zwischen den für technische Dokumente (CAD-Pläne, den zugehörigen Unterlagen wie Stücklisten etc.) notwendigen Redaktions- und Verwaltungswerkzeugen und den administrativen Dokumenten. Das führt fast immer (wir kennen kaum Ausnahmen) dazu, dass an der Schnittstelle zwischen den beiden Welten hoher manueller Aufwand notwendig wäre (und daher nicht getrieben wird), um Dokumente aus der einen Welt in die andere zu kopieren. Nur dann könnte beispielsweise der Vertrieb mit den ihm zumutbaren Werkzeugen die Unterlagen zu den Komponenten einsehen, die im Projekt seines Kunden verbaut wurden. Es ist ihm kaum zumutbar, die CAD-Werkzeuge oder CAD-Verwaltungswerkzeuge aus dem technischen Bereich zu verwenden.
Daraus resultierende Teilaufgaben der ECM-Strategie: Im Prinzip handelt es sich hierbei um die oben bereits geschilderte Aufgabe zur Standardisierung bereichsübergreifender Regeln und Verfahren. Allerdings mit dem großen Unterschied, dass hier eigentlich keine homogene Gesamtlandschaft für alle Beteiligten erreichbar ist. Zu unterschiedlich sind die funktionalen Anforderungen vor allem im technischen Bereich. Typische Themen sind daher hier weniger die Suche nach einer gemeinsamen technischen Lösung, sondern nach einer dauerhaft nutzbaren Integration beider Welten.
Das sind nur einige – wenn auch typische und häufig vorkommende – Beispiele, die wir so oder ähnlich immer wieder antreffen. Mit Hilfe einer ECM-Strategie lassen sich diese Probleme adressieren. Im Teil 2 dieses Artikels (im nächsten Newsletter) erläutern wir die Vorgehensweise bei der Erstellung, geben einen Überblick über Soll- und Muss-Inhalte, Voraussetzungen und Stolpersteine und gehen auf einzelne Aspekte besonders ein, wie die Marktentwicklung auf Anbieterseite, die aktuelle Diskussion „DMS versus Collaboration“, Plattformauswahl, echte Enterprise Anforderungen wie Hochverfügbarkeit, Transportsysteme, aber auch organisatorische Aspekte. Thematische Anregungen für Teil 2 können Sie uns gerne zumailen unter info@zoeller.de