Geschrieben von Marc-Björn Seidel und Bernhard Zöller
Im Zuge der Digitalisierung ist die Posteingangsbearbeitung eine typische Teilaufgabe in ECM-Projekten. Planen Unternehmen (oder einzelne Bereiche) Unterlagen und Vorgänge digital zu bearbeiten und zu verwalten, gibt es viele Bausteine und Fragen, die zu bedenken sind.
Unterschiedliche Eingangskanäle
Eingehende Dokumente und Unterlagen kommen schon lange nicht mehr ausschließlich per Briefpost oder Fax an. Neben E-Mail-Eingängen spielen auch Portale und andere Austauschkanäle eine größer werdende Rolle.
Wenn es darum geht, eine digitale, ggf. sogar zentrale Posteingangsverarbeitung zu etablieren führt genau diese größer werdende Vielfalt an Eingangskanälen, aber auch die vielfältigen potentiellen Verteilziele (also sowohl persönliche Empfänger, als auch Gruppen und letztlich auch Ablagesysteme) zu einer größeren Komplexität. Und obwohl die klassischen Eingänge, wie Papierpost oder Fax, tendenziell vom Gesamtvolumen her rückläufig sind, stellen sie immer noch eine Aufgabe mit hohem Anteil manueller Tätigkeiten dar, unabhängig von der Einsatzmöglichkeit von Software zur Dokumentenklassifikation und Datenextraktion. Zusätzlich bekommen digitale eine größere Bedeutung, bis hin zur gesetzlichen Verpflichtung zur Verarbeitung strukturierter elektronischer Formate (z. B. Vorgaben aus dem Wachstumschancengesetz für Rechnungen ab dem 01.01.2025). Die Aufgaben der analogen Zugänge sind somit nicht entfallen, jedoch neue durch digitale Kanäle hinzugekommen.
In diesem Artikel stehen insbesondere die organisatorischen Herausforderungen für die Posteingangsverarbeitung im Fokus.
Formelle und organisatorische Hürden – insbesondere bei zentral eingehenden Dokumenten
Oft wird eine zentrale Eingangsorganisation („zentrale Post- und Scanstelle“) gewünscht. Dabei müssen Pro und Contra abgewogen werden. Es gibt nicht die eine, allgemeingültige Best-Practice-Lösung, die für alle Unternehmenskonstellationen und Eingangsarten gilt. So kommen z. B. digital versandte Rechnungen immer häufiger bereits in einem zentralen E-Mail-Postfach (wie z. B. rechnung@unternehmen.de) oder in einem Portal an und es würde wenig Sinn machen, diese zunächst über eine zentrale „Poststelle“ zu routen, wenn der Empfängerbereich schon bekannt ist.
Sind Fachanwendungen, z. B. für Fachdienste in öffentlichen Verwaltungen, im Einsatz, so bringen diese manchmal wiederum eigene Posteingangslösungen mit, manche sogar mit eigener Scan-Anwendung, und man steht vor der Entscheidung, ob man dennoch auf zentrale Komponenten und Prozesse setzt, oder die Fachverfahrenslösungen nutzt, die ggf. fachlich sinnvolle und arbeitserleichternde Funktionen mitbringen und die Sachbearbeiter entlasten.
Der Blick sollte jedoch nicht allein auf technischen oder funktionalen Themen liegen: In der Regel gibt es eine Reihe an organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen die erfüllt oder umgesetzt werden müssen. Beispiel: Für die Frage, ob und welche persönliche Post in einer zentralen Stelle geöffnet werden darf, müssen nicht nur die Mitarbeiter geschult werden. Manchmal müssen bereits bestehende (Dienst-/Geschäfts-) Anweisungen überarbeitet werden, teilweise müssen Verträge mit Dritten angepasst oder durch Zusatzvereinbarungen erweitert werden, um z. B. Datenschutzanforderungen umzusetzen. Die erforderlichen Anpassungen und Abstimmungen kosten Zeit. Werden sie zu spät erkannt, kann sich der produktive Start einer technisch eventuell bereits fertigen Lösung verzögern.
Die folgende Aufzählung an nicht-technischen Fragestellung ist nicht abschließend, sondern nur exemplarisch und es stellt sich schnell die Frage, ob man diese Fragen einmal zentral oder für viele dezentrale Stellen klären muss:
- Gehen die Dokumente an einer zentralen Stelle oder an mehreren dezentralen Stellen ein?
- Gibt es bereits passende oder bedarfsgerecht anpassbare Räumlichkeiten (insbesondere wenn Briefpost oder Akten ersetzend gescannt werden sollen, wobei i.d.R. eine temporäre Aufbewahrung/Lagerung erfolgt) oder müssen neue gefunden werden?
- Sind die vorhandenen Mitarbeiter für die (neuen) Tätigkeiten ausreichend qualifiziert? (Wie) kann das erforderliche Know-how an (de-)zentralen Stellen bereitgestellt werden?
- Welche (fachlichen) Dokumentarten werden verarbeitet? Welche Besonderheiten gilt es dabei zu beachten?
- Welche Mengen sind zu verarbeiten, gibt es saisonale Spitzen?
- Sind unterschiedliche Prioritäten zu berücksichtigen (taggleiche Bearbeitung, saisonale Lastspitzen)?
- Insbesondere bei papierhaft eingehenden Dokumenten, z. B. Briefpost:
- Welche kuvertierten Dokumente dürfen geöffnet werden, welche nicht (z. B. private/persönliche Post, Verschlusssachen, etc.)? Woran können diese erkannt werden? Und wie werden diese Ausnahmen verarbeitet?
- Welche (Papier-)Formate und -Qualitäten sind zu berücksichtigen (von Thermo-Belegen und handschriftlichen Quittungen über beidseitig bedruckte DIN A4-Seiten bis hin zu DIN A0-Plänen)?
- Was geschieht mit den Papieroriginalen nach der Digitalisierung? Welche Dokumente dürfen ersetzend gescannt werden, welche kopierend, welche gar nicht?
- Wo und wie lange werden Originale gelagert?
- Wann und wie werden Originale vernichtet?
- Wie stellt man Transparenz her, wo welches Original ist, wenn es z. B. nachträglich zur digitalen Bereitstellung vom Fachbereich angefordert wurde?
- Was passiert mit Originalen, die (z. B. auf Grund Ihrer Maße/Formen) nicht einfach gescannt werden können?
- Reicht eine rein bildliche Digitalisierung oder sollen/müssen Informationen aus den Dokumenten erkannt und weiterverarbeitet werden (wie z. B. bei Rechnungen die Kopf- und vielleicht sogar Positionsdaten)?
- Wie wird zukünftig mit Posteingangsstempeln und Bearbeitungsvermerken umgegangen?
- Sollen/können bestimmte Eingänge dunkelverarbeitet werden, so dass nach der Erfassung kein manueller Bearbeitungsschritt mehr erfolgen muss, sondern der Eingang eine Aktion, ggf. in einem anderen System, auslöst? (Klassisches Beispiel: Rechnung mit Bestellbezug und Übereinstimmungsprüfung von Bestellung, Preisen und Mengen)
- Was geschieht mit sogenannten Post-Irrläufern?
- Was geschieht mit Dokumenten, die ggf. gescannt wurden, aber gar nicht in das DMS oder eine angeschlossene Fachanwendung gehören?
- Was geschieht mit eingehenden Dokumenten, die im digitalen Postprozess gelandet sind, aber gar nicht aufbewahrungswürdig sind? Wer darf wann erfasste Eingänge löschen?
- Welche internen oder externen (regulatorischen) Vorgaben oder Richtlinien spielen eine Rolle, mit denen ein Umgang gefunden werden muss (Nachweispflicht über Eingänge, Nachvollziehbarkeit des Posteingangs (digitaler Eingangsstempel) und der Postverteilung, TR RESISCAN, TR-ESOR etc.)
- Bedarf es Anpassungen an bestehenden, internen Regelungen?
Es ist durchaus sinnvoll, einen präferierten Weg für die Eingangsorganisation (z. B. frühe Erfassung in einer zentralen Post- und Scanstelle) zu definieren. Allerdings lässt sich das in den wenigsten Fällen ausnahmslos umsetzen und fast immer sind Kompromisslösungen erforderlich. Wichtig dabei ist, dass Ausnahmen nicht beliebig, sondern nachvollziehbar sind („Wir wollen gerne selber weiter scannen, wie bisher“ wäre keine ausreichende Begründung).
Gerade für zentrale, digitale Posteingangsstellen müssen neben den oft nicht trivialen Prozessaspekten auch personelle und räumliche Ressourcen (inkl. Ausstattungsgegenständen) bedacht und rechtzeitig bereitgestellt werden. Dies betrifft zum einen die neue Technik (z. B. Scanner-Hardware, Scansoftware, DMS-/Workflow-Lösung), die bedient werden muss. Aber auch die fachlichen und regulatorischen Aspekte (z. B. Sortieren, was geöffnet werden darf und was nicht, was kopierend und was ersetzend gescannt werden muss oder die Zuordnung zu Abteilungen, Teams oder Sachbearbeitern) setzen manchmal voraus, dass Wissen, welches zuvor nur in den Fachbereichen verfügbar war, in einer zentralen Stelle verfügbar werden muss. In der Praxis sind dieser Know-how-Verlagerung jedoch meist Grenzen gesetzt, die in der Planung berücksichtigt werden müssen.
Nicht zuletzt sollte bedacht werden, dass eine zentrale, digitale Posteingangsstelle zu einer unternehmenskritischen Komponente wird, die ausfallsicher (das gilt nicht nur für Technik) ausgelegt sein sollte.
Massentauglichkeit
Insbesondere bei hohen Eingangsvolumina sollten die technischen Herausforderungen nicht unterschätzt werden. Wenn die Posteingangsverarbeitung, mindestens an zentralen Stellen, die Verarbeitung großer Mengen erfordert, dann muss auf die Skalierbarkeit der Funktionalität geachtet werden, wie z. B. einer arbeitsteiligen Organisation der Erfassungsstrecke für Papiervorbereitung, Scannen, Qualitätskontrolle und Re-Scan oder Attribuierung. Und in der Postverteilung nach der Scanstelle sind dann Stapelfunktionen, z. B. für die Mehrfach-Weiterleitung an Gruppen oder Einzelempfänger erforderlich. Durch mangelnde Effizienz können Bedienbarkeit und Akzeptanz einer technisch funktionsfähigen Lösung leiden. Darüber sind manchmal Fristvorgaben für die Bearbeitung bestimmter Eingänge zu beachten.
Postverteilung
Eine nicht triviale Aufgabenstellung – egal über welches Medium Unterlagen angekommen sind – stellt die Verteilung der Unterlagen im Unternehmen dar. Dass die Verteilung nicht immer auf dem direkten Weg (also von der Post-/Eingangsstelle direkt zum Sachbearbeiter) stattfindet, kann unterschiedliche Gründe haben:
- Häufig entscheidet der Bereich aus fachlichen Gründen über die Verteilung an a) fachlich geeignete und b) verfügbare Personen. Dafür kommen dann entweder Gruppenpostkörbe oder eine zweistufige Verteilung (Poststelle an Bereich, Bereich an Bearbeiter) zum Einsatz.
- Selbst wenn der Bearbeiter eindeutig ermittelbar ist, gibt es manchmal Anforderungen zu Kenntnisnahmen (z. B. um Beschwerden erkennen zu können oder Bearbeitungsprioritäten manuell festzulegen) oder eine intern vorgegebene hierarchische Reihenfolge, die nicht ignoriert werden kann.
Das bedeutet jedoch nicht, dass der (alte) IST-Prozess in jedem Fall 1:1 umgesetzt werden muss. Hier sind im konkreten Einzelfall schlauere Lösungsszenarien zu prüfen, die häufig erst durch digitale Workflows möglich und denkbar werden.
So können Kenntnisnahmen beispielsweise auch parallel, statt hierarchisch sequentiell stattfinden. Letztlich geht es eigentlich immer um Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Minimierung Liege- und Durchlaufzeiten.
Da Posteingangsprozesse häufig nachfolgende Bearbeitungsprozesse initiieren, werden Eingänge/Dokumente öfters nicht nur von einem Einzelnen, sondern von mehreren Bereichen/Empfängern bearbeitet, oder im Laufe der Eingangsbearbeitung kommen weitere Informationen (z. B. interne Dokumente) hinzu. Typische Merkmale und Nachteile analoger Verteilprozesse, wie beispielsweise die sequentielle Bearbeitung oder das Anfertigen von Kopien für spätere Zugriffe, können entfallen. Da die individuellen Anforderungen und Rahmenbedingungen solcher Dokumentprozesse in vielen Details unterschiedlich sind, reicht häufig das visuelle „Zusammenklicken“ von Workflow-Bausteinen in der Umsetzungsphase nicht aus: Individuelle Anforderungen müssen dann mit client- oder serverseitige Programmierung (bzw. Skripting) realisiert werden. Im Rahmen einer Konzeption sollte daher ermittelt werden, welche Umsetzungsvariante zu einer möglichst releasefähigen und regelkonformen Lösung führt. Mit Weitblick sind oft diejenigen Lösungen besser, die sich auf die wesentlichen Anforderungen konzentrieren und die Nutzung individueller Programmierung auf ein Mindestmaß reduzieren.
Anschließende Vorgangsbearbeitung
Da ECM-/DMS-Lösungen in der Regel nicht per Big-Bang in Unternehmen und Verwaltungen eingeführt werden, sondern phasenweise, sollten bei der Konzeption von Posteingangs- oder Vorgangsbearbeitungsprozessen auch die Übergangsphasen bedacht werden, die sich nicht selten über Monate oder Jahre erstrecken können. Es ist daher empfehlenswert, sich rechtzeitig Gedanken sowohl zum Posteingang (z. B. zentrale Eingangsbearbeitung), als auch zu der sich daran anschließenden Vorgangsbearbeitung zu machen:
- Wie werden Bereiche, die noch nicht mit dem DMS arbeiten, jedoch Teilaufgaben für bereits ans DMS angeschlossene Bereiche erbringen, in die Post- und Bearbeitungsprozesse eingebunden?
- Wie können solche Bereiche auf relevante Posteingänge zugreifen?
- Wie können sie Antworten/Rückmeldungen zu offenen Fragestellungen geben?
- Wie wird deren Einbindung protokolliert?
- Wie wird verhindert, dass parallele Ablageumgebungen entstehen?
- Wie wird mit Eingängen umgegangen, die (egal ob analog oder digital) im DMS-Posteingang verarbeitet wurde, aber letztlich in andere, technisch (noch) nicht angebundene Fachsysteme gehören?
Neben der technischen Machbarkeit sollte immer auch das konkret verfügbare Know-how an den entsprechenden Stellen in die Überlegungen einbezogen werden.
Nachvollziehbarkeit
In manchen Fällen ist auch eine Protokollierung gefordert. Manchmal genügt ein einfacher Eingangsnachweis (Zeitpunkt, erfassende Person), manchmal ist dieser initiale Nachweis nur Teil der gesamten Vorgangsprotokollierung, wenn der Dokumentenzugang nur der Startpunkt für einen geschäftskritischen oder regulatorisch sensiblen Dokumentenworkflow ist.
Im letzteren Fall muss im Projekt erarbeitet werden, welche Informationen zu protokollieren sind, in welcher Form sie abgelegt, verwaltet und recherchiert werden sollen und wann sie wieder gelöscht werden müssen. Typische Zielsetzungen dabei sind regulatorische Anforderungen, manchmal aber auch Identifikation von Prozess-Schwachstellen. DMS-Lösungen schreiben im Standard oft datenbankbasierte Workflow-Protokolle. Haben die Informationen eine regulatorische Relevanz, muss sichergestellt werden, dass diese auch nach Abschluss der Workflowprozesse im Kontext der verarbeiteten Dokumente, zum Teil über Jahre hinweg, weiterhin verfügbar sind. Andere Lösungsansätze erzeugen textbasierte (PDF-)Protokolle, bei denen beispielsweise bedacht werden muss, wie diese mit den betroffenen Dokumenten verknüpft und abgelegt werden, ohne zu Unübersichtlichkeit zu führen. Bei beiden Varianten sollte (z. B. aus Gründen wie Übersichtlichkeit, Performance, etc.) geregelt werden, wann und wie (manuell oder automatisch) die Protokolle wieder entfernt werden.
Fazit
Neben den bereits diskutierten Fragestellungen, wie (zentrale vs. dezentraler Eingangsorganisation), wann und durch wen eingehende Unterlagen verarbeitet und verteilt werden sollen, ergeben sich viele Aufgabenstellungen im Projekt dadurch, dass es bei abnehmender Papierpost immer mehr alternative Eingangskanäle (allen voran E-Mail) gibt. Nicht zu unterschätzende Stolpersteine liegen häufig in den Verteilungsprozessen nach dem Erfassen/Registrieren oder der sich daran anschließenden Sachbearbeitung. Die Lösung erfordert nicht nur eine Einführung von Hard- und Software, sondern sie häufig auch räumliche, organisatorische und prozessuale Anpassungen.