Mehr und mehr Organisationen und Unternehmen planen die Einführung einer elektronischen Posteingangsbearbeitung. Der Zwang zur immer schnelleren Bearbeitung von Vorgängen, eine geänderte Arbeitswelt mit deutlich dezentraleren Strukturen sowie enormer Zeit- und Kostendruck legen dies nahe. Es sind jedoch auch Herausforderungen und Fallstricke zu beachten.Die elektronische Posteingangsbearbeitung beschleunigt den Transport von Vorgängen in die Sachbearbeitung und ermöglicht hierbei zugleich eine erhöhte räumliche Unabhängigkeit durch die Nutzung elektronischer Übertragungswege. Es ergeben sich zudem weitere Vorteile, auch aufgrund der Möglichkeiten zur Automatisierung.
Triebfedern der automatisierten Posteingangsbearbeitung
Manuelle Tätigkeiten wie Sortierung, Klassifizierung und Datenerfassung können reduziert, Verarbeitungs- und Korrekturregeln vereinheitlicht und zentralisiert werden. Durch das „frühe“ Scannen der Eingangspost erhalten Anwender außerdem früher Kontrolle über den ausgelösten Geschäftsprozess, sind somit jederzeit auskunftsfähig, können besser steuern und notfalls eskalieren.
Waren bis vor einigen Jahren Lösungen zur automatischen Posteingangsverarbeitung nur bei enorm hohem zu verarbeitenden Postaufkommen rentabel, rechnen sich heute aufgrund von technologischem Fortschritt (und damit einhergehender Standardisierung und Reduzierung der Implementierungsaufwände) sowie gesunkenen Lizenzpreisen Lösungen auch bereits bei mittlerem Belegvolumen.
Dunkelverarbeitung
Bei Standardvorgängen ist das Ziel oftmals eine vollständige automatische Verarbeitung, die sogenannte Dunkelverarbeitung. Diese kann zum Beispiel bei einfachen Bestellvorgängen, Adress-/Stammdatenänderungen, sowie Rechnungen mit passendem Bestellbezug und Wareneingang erfolgen. Aber auch die Optimierung von einzelnen Prozessschritten wie die automatisierte Verteilung von Eingangspost, die Weiterleitung zum richtigen Sachbearbeiter, die automatische Datenübernahme sowie die automatisierte Zuordnung von Dokumenten zu Akten oder Vorgängen, liefern wesentliche Vorteile, die eine Investition bereits rechtfertigen können.
Komplexität der Eingangspost
Einzelne Anwender überlegen, jeglichen Posteingang über eine digitale Poststelle zu steuern, von Papierdokumenten, Fax und E-Mail bis zu elektronischen Daten wie EDIFACT- und SEPA-Austausch. Jede diese Ausprägungen hat jedoch seine eigenen technischen und organisatorischen Besonderheiten, die zu beachten sind.
So ist das Scannen sämtlicher eingehender (Papier-) Post weder möglich noch sinnvoll. Sensible Dokumente (z.B. an Vorstand, Betriebsrat oder Personalabteilung), als persönlich gekennzeichnete Dokumente sowie nicht scanbare Eingänge (Zeitungen, Werbung, Kataloge) werden üblicherweise vorab aussortiert.
Abb.: Verarbeitungsschritte bei der automatisierten Posteingangsbearbeitung
Viele Anbieter teilen Eingangspost in drei Kategorien auf:
- Strukturierte Dokumente mit festen Strukturen und identischem Layout (Formulare, Fragebögen, Umfragen, etc.)
- Semi-strukturierte Dokumente mit ähnlichen Daten aber unterschiedlichen Layouts (Rechnungen, Frachtpapiere, Lieferscheine, etc.)
- Unstrukturierte Dokumente mit unregelmäßigem Aufbau (freie Korrespondenz, Verträge, etc.)
Empfehlenswert ist mit ausgewählten Dokumentarten innerhalb einer Kategorie zu starten, die zum einen nicht zu komplex bzgl. Struktur und Verteilregeln sind, gleichzeitig aber ein hohes Optimierungspotenzial haben. Nach erfolgreicher Umsetzung können dann nach und nach weitere Dokumentarten hinzukommen.
Sollte man sich jedoch dafür entscheiden den gesamten Posteingang zu digitalisieren, so ist sicherzustellen, dass alle Sonderfälle abgedeckt sowie durch entsprechende organisatorische Maßnahmen unterstützt werden.
Automatische Klassifizierung
Im Anschluss an das Scannen von Papierdokumenten sowie der Übernahme elektronisch eingegangener Dokumente erfolgt oftmals eine automatische Klassifizierung der Eingangspost. Ziel ist die Vorsortierung in Dokumentklassen (wie z.B. Anträge, Schriftverkehr, Schadensmeldungen, Rechnungen mit / ohne Bestellbezug, Mahnungen, Bestellungen, …), um die Art der nachgelagerten Bearbeitung zu ermitteln.
Produkte unterscheiden zwischen inhaltlicher, regelbasierter und formularbasierter Klassifizierung. Die inhaltlichen Verfahren suchen in dem Dokument nach Begriffen, Nummern, Kennzeichen, etc. Bei regelbasierten Verfahren werden einfache bis komplexe Regeln definiert, nach denen ein Dokument eindeutig klassifiziert werden kann. Dazu gehören auch Positionen, Abstände zwischen Begriffen und Phrasen. Die formularbasierten Erkennungsmethoden wiederum erkennen Dokumentarten basierend auf fixer Geometrie über Methoden wie Kennfeldlesen oder Formularstruktur-Matching. Üblicherweise müssen die Dokumenttypen und Varianten trainiert werden, d.h. basierend auf einer repräsentativen Anzahl von Formularen werden dem System die Spezifika „beigebracht“.
Herausforderungen sind z.B. Anschreiben mit mehreren (fachlich nicht zusammengehörenden) Anlagen. Neben der Mehrfachklassifikation der Dokumente und Zuordnung zu verschiedenen Geschäftsfällen ist zu entscheiden, wie das Anschreiben zu behandeln ist und ob der Kuvertzusammenhang zu bewahren ist. Neben technischen Möglichkeiten sind organisatorische Überlegungen und Anweisungen gefragt.
Genau solche nicht triviale Beispiele sollte man sich bei der Auswahl einer Lösung von den Anbietern erläutern und mit eigenen Belegen aus der Praxis demonstrieren lassen.
Datenextraktion
Im Anschluss an die Klassifikation erfolgt die inhaltliche Erschließung der Dokumente mit der Ermittlung von Metadaten (wie zum Beispiel Absender, Empfänger, Datum, Vorgangsnummer, Rechnungsnummer). Dies kann bis hin zur Auslesung kompletter Tabellen gehen.
Die Datenauslesung erfolgt bei strukturierten Dokumenten (Formularen) basierend auf festgelegten Positionen auf dem Dokument. Während ansonsten Handschrift nur sehr schlecht ausgelesen werden kann, ist es bei formularbasierten Anwendungsfällen für Text in Feldern mit Rahmen durchaus üblich.
Bei semi- und unstrukturierten Dokumenten erfolgt die Auslesung auf Basis vordefinierter Regeln. Ein einfaches Beispiel ist die Ermittlung der Kundennummer. Diese steht üblicherweise in räumlicher Nähe zu dem Begriff Kundennummer (oder Kd.-Nr. usw.) und weist eine fest vorgegebene Struktur auf. Eine weitere Methode ist die Freiform-Erkennung. Mit ihr werden unstrukturierte Dokumente ohne vorherige Kenntnis von Struktur oder Layout verarbeitet.
Da eine hundertprozentige Erkennung eher nicht möglich sein wird, ist die Validierung der Leseergebnisse von enormer Bedeutung. Neben den in den meisten Produkten vorhandenen Prüfverfahren (wie Plausibilitätsprüfungen, Mehrfachlesung mit verschiedenen OCR-Engines und anschließendem sog. Voting) sind weitere Verfahren anzuwenden, um die korrekte Erfassung sicherzustellen. Besonders effektiv ist die Validierung gegen vorhandene Stamm- oder Bewegungsdaten.
Aufwändig ist die nachträgliche Korrektur falsch erfasster und abgelegter Dokumente. Nur als sicher erkannte Daten dürfen für Dunkelverarbeitungen zugelassen sein. Bei „unsicheren“ Leseergebnissen sollte eine manuelle Nachbearbeitung erfolgen.
Manuelle Nachbearbeitung
Auch wenn man so viel wie möglich automatisieren möchte, ganz ohne manuelle Verifizierung und Korrektur wird es nicht gehen. Über die Definition von Schwellwerten und Regeln wird dem System vorgegeben, ab wann gelesene Felder als „sicher erkannt“ gelten. Alle nicht sicher erkannten Daten müssen manuell nachbearbeitet werden.
Da die Nachbearbeitung ein sehr wichtiger und unter Umständen zeitaufwändiger Arbeitsschritt ist, sind Ergonomie und Effizienz der Validierungsanwendung näher zu betrachten. Eine automatische Positionierung auf die zu bearbeitenden Daten im Dokument und gleichzeitige Ausschnittvergrößerung, Darstellung von Tabellenstrukturen sowie Visualisierungshilfen sollten vorhanden sein.
Manche Anwender führen bei besonders kritischen Daten eine Doppelerfassung durch zwei Benutzer durch. Nur wenn beide unabhängig voneinander die identischen Werte erfasst haben, kann in diesem Fall die Weiterverarbeitung erfolgen.
Überlegungen zur Poststelle
Ganz generell sind Überlegungen zu Zeitpunkt und Ort der Erfassung anzustellen: Vor oder nach der Sachbearbeitung, Inhouse oder bei einem Dienstleister, zentral oder dezentral?
Mit der Einführung einer Lösung zur automatisierten Posteingangsbearbeitung gehen Änderungen in der Poststelle einher. Abhängig vom Mitarbeiter-Profil in der Poststelle kann dies sowohl eine Aufwertung der Tätigkeit bedeuten als auch eine Überforderung der Mitarbeiter. Eine sorgfältige Betrachtung und Abwägung unter Einbeziehung der Betroffenen sowie ggfs. des Personalrates sollte frühzeitig erfolgen; es geht schließlich um Veränderungsmanagement.
Wenn entsprechendes Knowhow vorhanden (oder aufgebaut) ist, können evtl. auch Customer Service Aufgaben übernommen werden. Umgekehrt könnte auch der Customer Service Aufgaben der Poststelle übernehmen, da dort bereits andere Eingänge wie Telefonate und E-Mails behandelt werden.
Wichtig ist, dass – unabhängig von den angesprochenen Entscheidungen – die regulatorischen Anforderungen erfüllt werden und die Ordnungsmäßigkeit der Poststelle sichergestellt ist.
Warum E-Mails sich der automatischen Erkennung wiedersetzen
Mehr und mehr Dokumente erreichen uns direkt elektronisch per E-Mail. Somit ist kein aufwändiges Erfassen von Papier mehr erforderlich. Wer meint, das macht es einfacher, irrt leider. E-Mails sind oftmals das reinste Chaos, sämtliche Regeln der Kommunikation bleiben unberücksichtigt: sie sind oftmals vollkommen unstrukturiert, teilweise ohne Betreff, eine Antwort auf eine alte Mail zu einem anderen Sachverhalt mit somit „falschem“ Betreff und (weiter unten) alten Inhalten. Selbst die beste Analysesoftware kann mit solchen Mails überfordert sein.
Das soll natürlich nicht heißen, dass E-Mails nicht mit in den Prozess integriert werden sollen. Im Gegenteil: E-Mails müssen mit berücksichtigt werden, da ansonsten die Bearbeitung von Geschäftsfällen oftmals gar nicht mehr möglich ist (und auch keine vollständig auskunftsfähigen Akten erreicht werden können). Die Aufgabenstellung sollte jedoch auf keinen Fall unterschätzt werden, entsprechende Aufmerksamkeit ist gefordert.
Erfordernis: Postkorbanwendung
Unabhängig vom Grad der Automatisierung bei der Erfassung ist in jedem Fall für die nachfolgende Verteilung der Dokumente eine „Postkorbanwendung“ erforderlich. Dies kann von der einfachen Verteilung in Gruppenpostkörbe bis zur komplexen Workflow-Lösung inkl. Verteil- und Vertreterregelungen, Lastverteilung, Eskalationsmechanismen und Simulations-Möglichkeiten gehen. Die Auswahl dieser Lösung sollte gut durchdacht werden, da es erhebliche Unterschiede gibt, nicht nur bzgl. der Lizenzpreise und (typischerweise wesentlich höheren) Einführungsaufwendungen, sondern auch im Hinblick auf Benutzerfreundlichkeit, Wartbarkeit und Ausbaubarkeit.
„Standardlösung“ Rechnungseingangsbearbeitung
Die meisten Implementierungen von automatisierten Posteingangsbearbeitungen sind projektindividuelle Lösungen. Lediglich für die Rechnungsbearbeitung gibt es mittlerweile Standardlösungen. Die elektronische Rechnungseingangsbearbeitung ist gleichzeitig die in der Praxis am häufigsten vorkommende Workflow-Anwendung in Verbindung mit einem Dokumenten-Management-System (DMS) oder einem elektronischen Archiv. Die Besonderheiten liegen in der Integration mit der jeweils verwendeten ERP-Lösung zur Validierung und Vorkontierung bis zur Dunkelverbuchung sowie komfortablen Rechnungseingangsbuchfunktionalitäten.
Abb.: Komponenten der Rechnungseingangsbearbeitung
Bei der Bewertung der Lösungen ist zwingend zu beachten, dass es sich bei der Rechnungseingangsbearbeitung nicht um eine Einzeldisziplin handelt, sondern um ein Zusammenspiel verschiedener Komponenten, die oftmals von verschiedenen Herstellern stammen.
Fazit
Die Nutzung einer Lösung zur elektronischen Posteingangsbearbeitung bietet zahlreiche Vorteile, ein ausreichendes Dokumentvolumen vorausgesetzt.
Die Verbreitung bei Anwendern steigt. Bei sinkenden Produktpreisen und steigender Leistung werden die Systeme zunehmend auch für mittelgroße Anwender interessant. Typische Einsatzfelder bleiben jedoch die Bereiche, in denen häufig Dokumente gleicher oder ähnlicher Art vorkommen. Häufig unterschätzt wird die Erfordernis der Integration mit nachgelagerten Systemen, sei es bzgl. Plausibilitätsprüfung oder als Zielsystem.
Die Auswahl der richtigen Lösung stellt jedoch eine Herausforderung dar, denn nicht jeder Lösungsansatz ist für jeden Einsatzzweck geeignet. Neben den Herstellern von Capture-Systemen bieten auch die klassischen DMS-Anbieter Lösungen an. Hinzu kommen (ehemalige) Systemintegratoren mit spezialisierten Lösungen oder Erweiterungen. Eine gründliche Analyse der Anforderungen mit anschließendem strukturiertem Auswahlverfahren wird empfohlen.