Immer wieder werden wir gefragt, wie groß der DMS-Markt ist. Bereits bei einfachen Rückfragen wird die Schwierigkeit deutlich, eine vermeintlich einfache Frage auch einfach zu beantworten: meint der Frager die Anzahl Installationen? den Software-Umsatz? auch Dienstleistungen? auch die anteiligen Kosten im Rechenzentrum für Server und Speicher? Bildschirme? Trotzdem ist die Frage natürlich berechtigt. Jeder Marktteilnehmer – Anbieter, Presse, Messeveranstalter, Berater und auch mancher Anwender – würde gerne wissen, wie groß der Markt ist, auf dem er sich engagiert.
Initialzündung, eine solche Marktschätzung bei Zöller & Partner selbst durchzuführen war die Anfrage eines Messeveranstalters und die Feststellung, dass es für den deutschsprachigen Markt keine zuverlässigen Marktzahlen gibt. Vorhandene, uns bekannte Studien von Meta, Gartner, Forrester oder andere beziehen sich nur auf den US- bzw. weltweiten Markt und enthalten keine spezifischen Informationen für den deutsprachigen Markt.
Zum Verständnis der nachfolgenden Zahlen und zur Einschätzung, wie verlässlich diese Zahlen für die eigenen Zwecke sind, ist es wichtig zu verstehen, wie sie zustande gekommen sind und welche Definitionen ihnen zugrunde liegen.
Der Markt für Dokumenten Management ist kein homogener Markt mit klar definierten Grenzen und Marktteilnehmern. Die Ursache liegt in der ungenauen Definition des Begriffes „Dokumenten Management“ und in der Vielzahl von Randsegmenten, die zu diesem Markt gehören.
Dokumenten Management
Ganz allgemein umfasst der Begriff Dokumenten Management alle Funktionen, die zur geordneten Verwaltung von Dokumenten aller Art notwendig oder wenigstens vermeintlich nützlich sind. Somit gehören nicht nur die klassischen DM-Systeme, sondern alle Systeme mit Dokumentenverwaltungsfunktionen dazu. Dazu gehören dann theoretisch bereits File-Server mit hierarchisch strukturierten Dateiablagen, als auch Groupware-Lösungen wie Lotus Domino oder Novell Groupwise mit integrierten Dokumenten Management-Funktionen.
In der DMS-Branche gibt es neben diesen sehr allgemeinen Definitionen auch einen Branchenkonsens zu einer enger gefassten Definition: diese umfasst typischerweise Mehrbenutzersysteme mit spezifischen, über die Funktionen eines File-Servers hinausgehenden Anwendungsfunktionen. Hierzu gehören häufig:
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Archivierung
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Archivierung Eingangspost (Document Image Processing): Scanning und Langzeitarchivierung eingehender Papierdokumente
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Mail-Archivierung: Server-basierte oder Client-basierte Archivierung von Mail, entweder im nativen Format des Mailsystems oder nach Konvertierung (PDF, TIFF)
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PC Dokumenten-Archivierung: Archivierung von PC-Dokumenten (z.B. aus MS Office) im nativen oder konvertierten (PDF, TIFF) Format
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Der Archivierungmarkt ist gut schätzbar und fließt in die vorliegende Schätzung ein.
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COLD/OMS
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Archivierung von ERP-Daten (Bsp.: SAP Archiv-Dateien)
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COLD (alte Abkürzung für Computer Output on LaserDisk): Import und Archivierung strukturierter Daten aus Hintergrundsystemen (z.B. Mainframes): Druckspools, Listen Reports etc. Sehr häufig ergänzt um Konvertierfunktionen (AFP->PDF)
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OMS (Output Management System): Druck- und Formatiersoftware für hochvolumige Druckanwendungen auf Hintergrundsystemen. OMS-Funktionalität umfasst typischerweise Formatierung Druckoutput, Verwaltung der Druckformulare, Verwaltung der Ressourcen, Dokumentenkonvertierung.
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Der COLD-Markt ist im Rahmen der vorliegenden Schätzungen Bestandteil des Archivmarktes. Der DMS-relevante Markt der Output Management Lösungen (Anbieter sind StreamServe, LRS, ISIS, Group1 und viele andere) wurde nur grob geschätzt, da es derzeit wegen des mangelnden Organisationsgrades dieses Marktes noch keine saubere Abgrenzung zwischen den Funktionen Formatieren, Konvertieren etc. gibt. Die beiden Märkte wachsen zunehmend zusammen weil auch die Themen Input, Output und Ablage/Archivierung natürliche Schnittstellen zueinander aufweisen. Betrachtet man den Gesamtmarkt Output Management (nicht nur den DMS-relevanten Anteil, also jene Lösungen, die Dokumente FÜR ein DMS bereitstellen) dann beläuft sich der Umsatz nach Meinung von Fachleuten aus dem OMS-Markt mindestens auf ähnliche Größenordnungen wie der DMS-Markt, der allerdings in der Öffentlichkeit durch den höheren Organisationsgrad (Verband, Messe, Fachzeitschriften) sehr viel präsenter ist. Die vorliegende Schätzung beinhaltet nur den DMS-relevanten Anteil (also zum Bsp. die COLD-SW der DMS-Hersteller).
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EDM/DMS
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Unterstützung des kompletten Dokumentenlebenszyklus intern erstellter Dokumente: inkl. Versionierung, Check-out, Check-in, Inhaltssuche (erfordert Volltext-DB), Veröffentlichung, Rendition, Genehmigungsprozesse, Verbunddokumenten-Management u.a.
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Dieses Marktsegment fließt ebenfalls in die vorliegende Schätzung ein, da die Zahlen wichtiger Anbieter bekannt sind. Allerdings gibt es eine Grauzone zu „kostenloser“ DMS-Software wie zum Beispiel die Microsoft SharePoint Team Services (nicht zu verwechseln mit den kostenpflichtigen SharePoint Portal Services).
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Collaboration
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Systeme, die es Teams von Knowledge Workern erlauben standortunabhängig zusammenzuarbeiten. Funktionalität umfasst virtuelle Projekträume, Filesysteme zur gemeinsamen Ablage von Unterlagen, Team-Kalender, White-Board etc.
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Dieses Segment fließt nur teilweise in die vorliegende Schätzung ein, weil die Trennung zwischen Groupware à la IBM/Lotus Domino/Notes und Collaboration/DMS-Anbietern wie OpenText fliessend sind und die Grenzen zunehmend aufgelöst werden, da Groupware-Produkte zunehmend um DMS-Funktionen erweitert werden. Der Markt kann daher bestenfalls durch eine näherungsweise Anteilsschätzung (d.h. Anteil der „DMS-motivierten Beschaffungen von Groupware“) bestimmt werden. Für MS Exchange Umfeld dürfte dieser Anteil aufgrund fehlender Groupware-Funktionen derzeit noch signifikant geringer sein – die meisten Anwender nutzen MS Exchange als Mailsystem – als bei Lotus Domino oder Novell Grouwise, die beide traditionell Collaboration-Funktionen enthielten.
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EDM/PDM
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Engineering Data Management/ Product Data Management. Content Management. Systeme zur Speicherung, Verwaltung und Bereitstellung aller produktbeschreibenden und produktbegleitenden Daten während des gesamten betrieblichen Auftragsdurchlaufes inkl. Entwicklungsphase und danach.
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Dieses Marktsegment kann von uns nur grob bestimmt werden, da Anbieter ihre PDM-Umsätze (wie zum Beispiel bei SAP mit PLM) nicht offen legen. Generell ist der Umsatz auf diesem Markt nur ein kleiner Teil des DMS-Umsatzes (5-15%).
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Workflow/BPM
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Postkorb Workflow: Bearbeitung eingehender Dokumente aus einem elektronischen Einzel- oder Gruppen-Postkorb (andere Bezeichnungen: Task-Liste, Arbeitsliste etc.). Erfordert Scannen und Verteilen der Post vor der Sachbearbeitung. Erlaubt parallele und standortunabhängige Bearbeitung ehemals papiergebundener Prozesse.
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BPM (Business Process Management): Systeme zur Modellierung und Implementierung umfassender Geschäftsprozesse und ihrer Integration mit anderen Anwendungen.
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Der Markt für Workflow/BPM wird im Rahmen der DMS-Schätzungen berücksichtigt. Insgesamt ist dieser Markt derzeit noch geprägt von vielen kleinen und wenigen mittleren Anbietern mit steigendem Trend. Insgesamt macht dieser Markt derzeit nur einen geringen Anteil des Umsatzes auf dem DMS-Markt aus (5-10%)
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Web Publishing/WCM/Portale
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Portale: Software für den zentralisierten/vereinheitlichen Zugriff auf Informationen aus unterschiedlichen Hintergrundsystemen inkl. ERP-, CRM- und anderen Anwendungen.
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Web Content Management: Systeme zur Unterstützung bei der Erstellung und Verwaltung von Websites und deren Inhalten.
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Web Redaktionssysteme sind nicht Bestandteil der Marktschätzung.
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Records Management
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Im Zusammenhang mit Dokumenten Management bezeichnet Records Management häufig die Fähigkeit, alle relevanten Aufzeichnungen (engl. Record = Aufzeichnung) eines Unternehmens in sachlogischen Zusammenhängen zu verwalten, also zum Beispiel Kundenakten, Projektakten etc. inkl. der dafür notwendigen Aufbewahrungs– und Löschfristen.
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Records Management ist Bestandteil der Marktschätzung und wird im Rahmen der Archivierungsfunktionen abgedeckt.
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E-Forms
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Verwaltung von Abläufen auf Basis elektronischer Formulare (HTML, PDF, Mirosoft InfoPath) und deren Formularinhalte.
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Der Markt für elektronische Formulare ist nicht Bestandteil der Marktbetrachtung. Er ist derzeit aufgrund seiner Neuheit noch sehr klein, wird aber in den nächsten Jahren stetig wachsen, weil sich Firmen wie Microsoft und Adobe auf diesem Markt positionieren.
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Weitere
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Akten-Verwaltung: Software zur Organisation der Dokumente in Aktenstrukturen mit verschachtelten Unterakten, Aktenmodellen (Akten-Templates), Einbezug von kundenspezifischen Ordnungssystemen (Aktenzeichen) etc.
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Digital Asset Management: Verwaltung digitaler Multi-Media-Inhalte (Audio, Video) inkl. Streaming-Funktionen, Rechtverwaltung, Abrechnung/Billing etc.
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Diese Teilmärkte werden nicht separat betrachtet, sondern im Rahmen der anderen DMS/ECM-Segmente geschätzt.
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DMS-relevante andere Marktsegmente
In jedem DMS gehören zu den eigentlichen Kernkomponenten wie DMS-Client und Serverfunktionen noch weitere periphere oder Service-Funktionen, die häufig nicht vom DMS-Hersteller, sondern von Dritten am Markt zur Verfügung gestellt werden und daher häufig nicht in die Umsätze der DMS-Anbieter einfließen. Beispiele für solche Komponenten sind:
- Relationale Datenbanken, Volltextdatenbanken, Betriebssystemsoftware. In den meisten Fällen existiert diese Software bereits beim Anwender, aber nicht immer in den benötigten Lizenzen, sodass ein DMS häufig hier für Zusatzumsätze sorgt. Je nach Projekt macht der Anteil dieser Umsätze zwischen 0 und 5% des Gesamtprojektes aus
- Rendition-Software/Formatkonvertierer: solche Komponenten werden benötigt, um Formate in andere Formate zu konvertieren. Entweder bei der Archivierung oder während des Retrievalvorgangs. Bekannte Lieferanten sind Adobe, Compart, Maass aber auch eine Vielzahl kleinerer, unbekannter Hersteller. Je nach Projekt betragen die Kosten für derartige Komponenten zwischen 0 und 10% der Gesamtprojektkosten.
- Scan- und Indexiersoftware von Drittherstellern. Hier gibt es eine Vielzahl von Herstellern wie Kofax, Captiva, Kodak, Janich & Klass und eine Reihe anderer, die die Produkte derjenigen DMS-Hersteller ergänzen, die keine eigene Erfassungssoftware anbieten. Die Kosten für diese Komponenten machen in der Regel zwischen 5- und 10% der Software-Lizenzen eines DMS-Projektes aus.
- OCR/ICR Software zur Dokumentenklassifikation und Indexextraktion. Hier gibt es nur wenige DMS-Hersteller, die eigene Software zur Dokumentenklassifikation und Indexextraktion anbieten. Das Problem bei der Schätzung dieser Teilmärkte liegt darin, dass nicht bekannt ist (auch den Herstellern häufig nicht) ob ihre Lösung als Erfassungslösung für eine DMS-Lösung dient – und damit hier berücksichtigt werden müsste – oder ob hier reine automatisierte Datenerfassungsanwendungen betrieben werden, die dann ggf. – je nach Definition – nicht dem DMS-Markt zuzurechnen wären. Die Kosten für diese Komponenten machen in der Regel zwischen 0- und 20% der Software-Lizenzen eines DMS-Projektes aus. Die große Spanne resultiert aus dem breiten Leistungsspektrum der Systeme die von kleinen Lösungen für einfache Zeichenerkennung bis hin zu sehr skalierbaren, trainierbaren Client-Server Erkennungssystemen mit eigenen Korrekturarbeitsplätzen, Regelwerken und Datenhaltungen reicht. Um diesen noch recht jungen aber stetig wachsenden Markt zu berücksichtigen, wurde ein Anteil von 5% der DMS-Umsätze angenommen.
- Ergänzungsfunktionen wie Postkorbfunktionen für DMS-Systeme ohne eigene Postkorbfunktionen (Otris, Macros, Forcont, Pylon, Cenit u.v.a.). Spezifische Viewing Komponenten wie zum Beispiel Java-Viewer (BMS, Venetica, Stellent/Inso für In/Out-Filter usw. )
Marktschätzung, Zusammenfassung
Die Zahlen basieren aus den Umsatzangeben der Hersteller für das Geschäftsjahr 2004. Dies Marktzahlen für dieses Jahr sehen nach unseren Recherchen wie folgt aus:
Bezeichnung | Umsatz in 2004 |
Software und Services | 590 bis 712 Mio. EUR, Mittelwert: 650 Mio. EUR |
Hardware | 300 bis 360 Mio. EUR; Mittelwert: 330 Mio. EUR |
Summe | 890 bis 1.069 Mio. EUR; Mittelwert: 980 Mio. EUR |
Trotz der Lücken im Datenmaterial gehen wir aufgrund der gewählten Systematik und der vorhandenen gesicherten Zahlen – die die Mehrheit der relevanten Anbieter einschließt – davon aus, dass sich der DMS-Markt in Deutschland im Jahre 2004 mit hoher Sicherheit im Bereich 0,9 bis 1,1 Mrd. EURO Umsatz bewegte.
Markt in D.A.CH
Die in der IT häufig angewandte Regel, wonach der Umsatz in der Schweiz und Österreich jeweils ca. 10% des Umsatzes in Deutschland ausmacht, kann auch für den DMS gelten. Dementsprechend würde sich die folgende Umsatzschätzung für den D.A.CH-Markt ergeben.
DMS-Umsatz D.A.CH. 2004 | 1.068 bis 1.281 Mio. EUR; Mittelwert: 1.175 Mio EUR |
Ausblick
Der Markt hat sich in jüngster Vergangenheit sehr positiv weiterentwickelt. Vor allem bei kleineren und mittleren Unternehmen stellen wir ein stark gestiegenes Interesse fest. Hintergrund sind u.E. sowohl die stark gefallenen Preise für DMS-relevante Hardware (Scanner, Speicher, Bildschirme, Workstations, Server etc.) als auch die gestiegenen regulatorischen Anforderungen, die auch für KMU relevant sind.
Einige Anbieter werden kaum wachsen oder stagnieren, andere dagegen – wie bereits in 2004 – zweistellig wachsen. Wir gehen derzeit davon aus, dass der Markt mit Zuwachsraten zwischen 5% und 10% wachsen wird, basierend auf der Beobachtung des boomenden Marktes für KMU und dem dort herrschenden Nachholbedarf sowie den zunehmenden regulatorischen Anforderungen, Dokumente und andere aufbewahrungswürdige Unterlagen geordnet aufzubewahren. Da diese Unterlagen zunehmend elektronisch empfangen oder erstellt werden, kommen DMS-/ECM-Systeme für diese Aufgabe besser in Frage als File-Server oder Mailsysteme, die in den allermeisten Fällen weder die geforderte Ordnungsmäßigkeit noch die funktionalen Vorteile eines DMS/ECM zur Verfügung stellen können. 5-10% Wachstum bedeutet aber nicht automatisch, dass die klassischen DMS-Hersteller im Mittel um 5-10% wachsen werden, weil neue Anbieter mit neuen Konzepten (Stichwort: Internet-basierte Collaboration-Funktionen) auf den Markt kommen und ebenfalls einen Teil des Umsatzes für sich beanspruchen. Das bedeutet aber auch, dass es schwieriger werden wird, den Markt sauber abzugrenzen, weil die Übergänge zwischen Collaboration, Dokumenten Management, Web Redaktionsystemen und anderen Content Systemen weiter verschwimmen werden.