Nicht nur im Behördenumfeld, sondern auch in kleinen und mittleren Unternehmen wird das Linux-Betriebssystem als relevante Zukunftsplattform gesehen. Aber lassen sich bereits heute durchgängige ECM-Lösungen unter Linux realisieren?
Eines vorweg: Vollständig Linux-basierte Dokumenten Management Systeme sind derzeit noch nicht verfügbar! ECM-Anbieter stellen bestenfalls Einzelkomponenten ihrer Systeme unter Linux bereit.
Gründe hierfür liegen vor allem in der Vielzahl der Komponenten, aus denen typische ECM-Softwareprodukte bestehen und dem daraus resultierenden hohen Aufwand in der Entwicklung und im Support unterschiedlicher Plattformen.
„Linux-Interessenten“ sollten daher genau hinterfragen, welche Komponenten im Produktportfolio eines ECM-Herstellers wirklich Linux-fähig sind.
Die Server-Software vieler Anbieter besteht typischerweise aus den Einzelmodulen „Objektablage“ (die Jukebox-/Speicherverwaltungssoftware), „Objektverwaltung“ (technische Dokumentenverwaltung) und „Indexverwaltung“ (fachliche Dokumentenverwaltung). Diese Komponenten stehen noch am ehesten unter Linux bereit, wenn ein Hersteller von einem Linux-basierten System spricht. Charakteristisch für solche Lösungen ist die J2EE-Architektur, die häufig eine Neuentwicklung des ECM-Produktes darstellt.
Aber auch Administrationsmodule, COLD-Funktionen, Formatkonverterkomponenten und Integrationsmodule zu SAP oder Mail-Systemen zählen zu den Backend-Funktionen. Fast kein einziger Hersteller stellt diese Funktionsmodule bereits unter Linux bereit.
Fat-Client Anwendungen mit Viewer- und Recherche-Software werden für die tägliche Arbeit mit einem Dokumenten Management System benötigt. Um eine möglichst intuitive Bedienbarkeit zu gewährleisten, sind heute viele DMS Client-Anwendungen tief in die Oberfläche des Betriebssystems integriert. Dies ist in der Regel die Windows-Umgebung.
Linux-Anwender werden zumeist auf eine Browser-basierte Client-Umgebung verwiesen. Die Browser-Umgebung ist jedoch in der Regel der „Fat“-Client Anwendung in punkto Bedienbarkeit und Benutzersteuerung deutlich unterlegen, fehlen doch häufig benötigte Integrationen in Office-, Mail- und Host-Anwendungen.
Selbst die wenigen vorhandenen „echten“ Linux-Fat-Clients – zumeist Java-Anwendungen – bieten dem Anwender deutlich geringeren Integrationssupport als die Pendants der Windows-Umgebung.
Ein Blick auf die Komponenten für Dokumentenerfassung, also Scan-Software – ggf. mit OCR/ICR, Mail- und Fax-Archivierung, Volltextrecherchemodule offenbart weitere, typische Lücken: Unter Linux stehen zwar Spezifikationen wie SANE (SANE = Scanner Access Now Easy) zur Scanner-Anbindung und Open Source-Projekte wie Lucene (Volltextdatenbank) zur Verfügung, deren Nutzung ist im ECM-Umfeld jedoch noch nicht verbreitet.
Und wie sieht es mit dem Support aus? Um die volle Programmfunktionalität und den entsprechenden Support sicherzustellen, geben ECM-Hersteller konkrete Vorgaben für unterstützte Linux-Distributionen an. Bezüglich Unterstützung nicht explizit genannter Distributionen und Plattformen sind die Aussagen zumeist sehr schwammig. Anwender sollten sich daher im Supportvertrag die Unterstützung ihrer eigenen Linux-Umgebung schriftlich zusichern lassen.
Sicher ist: wenn heute von Linux-Unterstützung gesprochen wird, muss stark differenziert werden, welche der o. g. ECM-Komponenten überhaupt gemeint sind.
Bevor die Entscheidung gefällt wird, das „System“ unter Linux zu betreiben, sollten die konkreten Auswirkungen dieser Entscheidung geordnet untersucht und bewertet werden. Stellt sich heraus, dass der Einsatz zumindest von Linux-basierten Teilkomponenten eines ECM-Systems sinnvoll ist, müssen die fachlichen und technischen Anforderungen innerhalb eines DMS-Projekts mit den Möglichkeiten der Linux-basierten Lösung am Markt überprüft und beurteilt werden.
Für die typischen Aufgabenstellungen in Rechenzentren ist die Linux-Unterstützung heute noch am ausgeprägtesten: Vor allem Web-Gateway-, aber auch vereinzelte ECM Backend-Funktionen werden bereits auf dieser Plattform angeboten und eingesetzt. Aber aufgepasst: Gerade die „anderen“ (d.h. nicht Web-) Gateway-Funktionen zu SAP, Mail, COLD etc. sind derzeit noch selten unter Linux verfügbar.
Bislang sehr selten erleben wir die Anfrage nach Linux-basierter Client-Unterstützung – hier würden Kunden derzeit wohl in den meisten Fällen auf Browser-basierte Anwendungen zurückgreifen müssen; nur wenige Anbieter unterstützen darüber hinaus bereits „echte“ Java-Clients. Dieser Markt wächst mit der Durchdringung von Linux auf dem Desktop – heute noch ein verschwindend kleines Marktsegment…
Kein einziger Archivsystem-Hersteller bietet seinen Kunden bereits heute eine integrierte, Linux-basierte Scan-Lösung als Bestandteil seines Produktportfolios an.
Wer ein „Linux-basiertes“ System sucht, sollte seine Anforderungen daher genau strukturieren, entsprechend konkrete Fragen an die Anbieter richten und sich nicht mit einer Marketing-Aussage „… läuft auch unter Linux …“ zufrieden geben.