Für einen Anwender, der sich mit der Auswahl und Einführung eines Dokumenten Management Systems (DMS) beschäftigt stellt sich der Markt erst einmal unübersichtlich dar. Schnell wird klar: Schlagwörter und Abkürzungen wie ECM, DMS, Workflow oder Records Management verwirren eher bei der Bewertung von Lösungen, weil natürlich jeder Anbieter (und Berater) seine eigenen Definitionen hat. Dazu kommt noch der Eindruck aus Sicht der Interessenten, dass viele Oberflächen in Demos immer ähnlich aussehen. Typisch ist auch die Annahme, dass „Elektronische Akten“, „Postkorb“, „Workflow“ etc. im Standard-Umfang aller Produkte bereits enthalten sind.
Die Unterschiede, vor allem in der DMS-/ECM-Funktionalität, bei Verwaltungsfunktionen, Architektur, Skalierbarkeit, Werkzeugen zur Anpassung an die individuellen Anforderungen und viele andere kritischer Merkmale, offenbaren sich dem Anwender, der unvorbereitet solche Systeme auswählt, allzu häufig erst nach Vertragsabschluss.
Wie sind aber die angebotenen Lösungen zu bewerten und deren Eignung zur Abdeckung der eigenen Anforderungen einzuschätzen?
Für ein besseres Verständnis der Unterschiede bei DMS-Produkten hilft die Betrachtung des Funktionsspektrums eines modernen DMS.
Erfassung/Capture
Ein DMS lebt von Dokumenten, die oft aus unterschiedlichen Quellen stammen. Dies sind nicht nur die klassisch gescannten Papierdokumente sondern zunehmend auch elektronische Dokumente. Beiden Dokumentengruppen ist gemein, dass zur Erfassung im DMS den funktionalen Anforderungen entsprechende Erfassungskomponenten benötigt werden. Für die Papierdokumente sind dies Scan- und Indexierkomponenten für kleine bis sehr große Papiermengen. Unterschiede bestehen hier nicht nur in der Art der Lizenzierung sondern vor allem funktional in den Möglichkeiten und der Ergonomie der Dokumentbearbeitung, in den Administrationswerkzeugen und den Protokollfunktionen.
Bei der Ablage von elektronisch erzeugte Unterlagen wie E-Mail und PC-Dateien wird von den Anwendern eine Speichern in DMS“-Funktion, direkt aus Office- und Mail-Programmen oder aus dem File-System erwartet. Da es sich hierbei typischerweise um anwendergetriebene Funktionen handelt, ist hier bei der Auswahl neben der Ergonomie (Wie viele Klicks benötigt ein Anwender zur DMS-Ablage?) auch auf Unterstützung bei der kontextbezogenen Vorbelegung von Indexfeldern zu achten.
Falls erforderlich, sollten Verarbeitungswerkzeuge für die Übernahme von Druck-Output aus führenden Anwendungen in Form von Druckspools, Listen/Reports, Einzeldateien, etc. Möglichkeiten einer konfigurierbaren Indexextraktion, optionaler Wandlung proprietärer Massenformate in vereinzelte Archiv-Dokumente (bspw. AFP in Einzel-PDFs) und der Protokollierung und Fehlerbehandlung bieten.
Wichtig in allen Erfassungsprozessen sind Möglichkeiten zur automatisierten Validierung von Indexwerten mit vorhandenen Stammdaten wie beispielsweise einer Kunden- oder Vertragsnummer und, falls erforderlich, zur Verknüpfung der Dokumente mit führenden Anwendungen.
Ablageverwaltung
Idealerweise bietet ein DMS Unterstützung für die Integration unterschiedlicher einmalbeschreibbarer Speichersysteme (WORM-Speicher). Im Gegensatz zu einer transparenten Ablage von Dokumenten als Einzel-Objekte bieten Dokumenten Management Systeme mit proprietären Objektspeichern/-containern einen verbesserten Schutz vor Dateimanipulation, diese stellen sich aber häufig als migrationsbehindernd dar.
Wichtig sind neben der grundsätzlichen Bereitstellung von Zugriffsschutzmechanismen auf Ebene von Bibliotheken und Dokumenten auch Funktionen zur LDAP/ADS-Integration (auch mit Importfähigkeit einer höheren Anzahl von Nutzern), Nutzung von Single-SignOn, etc.
Unterschiede kann man in der Homogenität der Administrationswerkzeuge (eine Oberfläche vs. unterschiedlicher Anwendungen) und Möglichkeiten zur Trennung der technischen Administration (Backup, Speicherbereiche, etc.) von der fachlichen Administration (z.B. Dokumentstrukturen, Berechtigungen) feststellen. Anwender mit Anforderungen an einen konzernweiten Einsatz sollten auf Mandantenfähigkeit achten.
Im Zusammenhang mit der langfristigen Aufbewahrung (10 Jahre und mehr) und möglicher technischer Migrationszyklen oder Systemwechsel sind Export-Werkzeuge für Dokumente und Metadaten zu fordern.
DMS-Funktionen
Die Systemunterschiede zeigen sich nicht bei der grundsätzlichen Frage, ob ein Check-In / -Out beherrscht wird, sondern bspw. in Details der Versionierung. Ist aus Anwendersicht die Verwaltung von Hauptversionen ausreichend oder werden auch Unterversionen benötigt? Nicht jedes DMS bietet die Möglichkeit ein Dokument in mehreren Formatversionen (z.B. Office-Original und konvertierte PDF-Version) als ein logisches Dokument dem Benutzer zu präsentieren.
Auch die Freigabe von Dokumentversionen und die daraus resultierende Sichtbarkeit für definierte Benutzergruppen stellen sich oftmals unterschiedlich dar. Kann bei Änderungen eine automatische Benachrichtigungsfunktion für definierte Anwender genutzt werden?
Manche Hersteller bieten bereits im Standard Funktionen zur Verwaltung von Dokument-Vorlagen, aus denen Korrespondenzschreiben im Zusammenhang mit der Sachbearbeitung erzeugt werden können.
Suchfunktionen
Eine der aus Sicht der Anwender wichtigsten Funktionen ist die Recherche nach Dokumenten. Neben der Suche nach Metadaten sollte auch eine inhaltliche Suche über Volltext verfügbar sein. Idealerweise lassen sich Metadatensuche und Volltextsuche in einer Suchabfrage kombinieren.
Weitere Unterschiede bei den DMS-Lösungen zeigen sich in der Präsentation und der Bearbeitung der Trefferliste. Können Ergebnisse neben einer Listenansicht auch hierarchisch sortiert oder als Vorschaubild (Thumbnail) angezeigt werden und werden Volltexttreffer als Ausschnitt (Snippet) in der Trefferliste bereits dargestellt? Benötigt werden oftmals Möglichkeiten Dokumente auf Wiedervorlage zu legen, an externe Personen (z.B. Kunden, Partner) per Mail zu versenden, in Akten zu verknüpfen oder damit Vorgänge zu starten.
Häufig bestehen Unterschiede bei den Möglichkeiten zur Individualisierung der DMS Client-Oberfläche durch Endbenutzer oder der kundeneigenen Maskengestaltung durch den Administrator.
Auch wenn die Browser-Oberflächen zwischenzeitlich deutlich an Ergonomie gewonnen haben, sollten Anwender hier auf mögliche Defizite gegenüber direkt unter Windows ablaufenden DMS-Anwendungen achten.
Dokumentanzeige
Gewünscht wird eine ergonomische, d.h. einfach zu bedienende und performante Anzeige für alle im DMS (z.B. in einer Akte) befindlichen Inhalte. Die am Markt verfügbaren Varianten reichen vom Aufruf eines für das Dokumentformat auf dem PC registrierten Viewers (MS Word Dokument bewirkt bspw. den Aufruf von MS Word) bis zur Bereitstellung sogenannter Multiformat-Viewer, die typischerweise neben gängigen Rasterformaten wie TIFF, JPEG auch PDF und gängige MS Office-Dokumente sowie E-Mails im reinen Viewing-Modus darstellen können.
Stolpersteine bei allen angebotenen Viewern-Varianten sind die Fähigkeiten zur Anbringung formatunabhängiger elektronischer Anmerkungen und auch die visuelle Markierung von Volltext-Treffern. Wichtig ist die Performance bei der Anzeige insbesondere beim Blättermodus in elektronischen Akten.
Aktenfunktionen
Häufig von Anwendern unterschätzt – Ich dachte das wäre Standard! – wird die Funktionalität einer elektronischen Akte, die durch die DMS-Anbieter unterschiedlich implementiert wird. Die Bandbreite bei DMS-Produkten reicht hier von einfachen hierarchisch sortierten Trefferlisten für Dokumente auf Basis der vorhandenen Indexwerte bis hin zu Lösungen mit Dokumenten-unabhängigen Akten-Datenmodellen und Berechtigungskonzepten. Bei letzteren kann typischerweise ein „elektronischer Aktendeckel“ mit Dokumentübergreifenden Ordnungsbegriffen (z.B. einem Aktenzeichen) und vom Anwender definierte Strukturen (Register/Ordner) für die Ablage von Dokumenten vorgegeben werden. Nicht alle Aktenanwendungen können Berechtigungen für einzelne Register unterscheiden, um damit bspw. den Zugriff von Mitarbeitern der Personalabteilung in Vertragsunterlagen und Abrechnungen der Geschäftsführung einzuschränken oder zuzulassen.
Unterschiede zeigen sich auch bei den Verwaltungswerkzeugen zur Erstellung und Pflege von Aktenmodellen. Können diese grafisch editiert werden oder muss programmiert werden?
Die Anforderung zur Abbildung von erweiterten Ordnerstrukturen erfordert die Fähigkeit, Akten mit anderen Akten (Beispiel: Kundenakte mit Projekt- oder Auftragsakten des Kunden) zu verknüpfen. Nicht alle DMS-Lösungen können solche rekursiven Strukturen im Standard abbilden.
Freigabe/Workflow
Die elektronische Bearbeitung von Dokumenten ist eine der großen Nutzenfaktoren für den Einsatz eines DMS. Dies können z.B. Freigabe-Verfahren (4-Augen-Prinzip) sein, für Dokumente die einem Lebenszyklus unterliegen oder auch eine elektronischen Rechnungsprüfung. Hier zeigen sich wesentliche Unterschiede bei den DMS-Produkten: Können bspw. Adhoc-Freigaben inkl. Regelwerk durch den Anwender selbst definiert werden und unterstützt die Lösung auch stark strukturierte Abläufe mit konfigurierbaren Regelwerken? Der Sachbearbeiter benötigt einen elektronischen Postkorb, der neben einer Übersicht aller Vorgänge auch Möglichkeiten zur Wiedervorlage, Weiterleitung, Zurückweisung, Eskalation, etc. bietet. Die Möglichkeit zur Nutzung von Gruppenpostkörben anstelle von persönlichen Postkörben erleichtert die Verteilung der Arbeitslast und vermeidet aufwändige Administration von Urlaub- und Krankheitssituationen.
Sollen nicht nur einzelne Dokumente sondern Vorgänge als Bündel mehrerer Dokumente bearbeitet werden, muss das Workflow-Datenmodell einen Vorgang unabhängig von einem einzelnen Dokument abbilden können.
Social Content/Collaboration
Sogenannte „Knowledge Worker“ benötigen im Vergleich zu transaktionsorientierten Sachbearbeitern (z.B. Rechnungsprüfer) auch Unterstützung für die Dokumentverwaltung. Typischerweise werden aber eine geringere Anzahl von Vorgängen (z.B. Entwicklungsprojekte) im gleichen Zeitablauf abgearbeitet, wobei der einzelne Vorgang komplexer gestaltet ist und mehr unstrukturierte, verteilt vorliegende Informationen benötigt werden. Diesbezüglich bieten heutige DMS-Produkte bereits wichtige Grundfunktionen wie Mail- und Office-Integration für die Projektzusammenarbeit.
Allerdings fehlen typischen DMS-Lösungen die stärker auf Kommunikation zielenden Anwendungsfunktionen wie Kalender- und Aufgabenverwaltung, Chat und Videokonferenz. Nur ganz wenige DMS-Lösungen enthalten bereits Wiki- und / oder Blog-Funktionen.
Fazit
Auch die heute am Markt verfügbaren DMS-Angebote unterscheiden sich in vielen Details. Kunden sollten ihre Abläufe und ihre funktionalen Anforderungen frühzeitig analysieren, um das geeignete DMS-Produkt auswählen zu können.
Bei der Produktauswahl ist neben der Funktionalität insbesondere auf Ergonomie und effiziente Bedienbarkeit der Anwendung zu achten: Komplizierte, langwierige Anwendungsfunktionen werden von Anwendern nicht genutzt und führen zu fehlender Akzeptanz des gewählten Lösungsansatzes.