Im Vertrauen: Wer kümmert sich darum, dass geforderte und benötigte Dokumentationen entstehen und geordnet verwaltet werden? Wer trägt die Verantwortung, wenn Aufzeichnungen fehlen? Und wie wird auf das Fehlen reagiert? Hier setzt Records Management an.
Helfen elektronische Records Management-Lösungen doch, die Vollständigkeit der Dokumentation im Vorhinein zu vereinbaren und Regeln für die Beistellung, Verwaltung und abschließende Vernichtung von Aufzeichnungen elektronisch zu hinterlegen.
Bereits normiert!
„Records Management“ ist bereits Jahre alt – es gibt sogar eine ISO Norm hierfür. In ISO 15489-1 werden Anforderungen an den Umgang mit Aufzeichnungen festgelegt, wobei die Norm an keiner Stelle vom Einsatz einer elektronischen Records Management-Lösung ausgeht. Records Management lässt sich wohl am Besten mit „Aufzeichnungsverwaltung“ übersetzen; dies macht deutlich, dass nicht einfach einzelne Dokumente, sondern ganze Aufzeichnungen – vielfach Akten – innerhalb einer Records Management-Lösung zu verwalten sind.
Elektronisches Records Management ist zugleich eines der aktuellen Hype-Themen im Content Management Markt: Alle etablierten Hersteller bieten inzwischen „Records Management“-Produkte an. Im Detail ergeben sich jedoch deutliche Unterschiede, die einerseits aus den unterschiedlichen technologischen Ansätzen der Records Management-Produkte und andererseits aus dem unterschiedlichen Verständnis des Begriffs „Records Management“ resultieren.
Die ISO 15489-1 definiert Records Management als „Field of management responsible for the efficient and systematic control of creation, receipt, maintenance, use and disposition of records, including processes for capturing and maintaining evidence of and information about business activities and transactions in the form of records“. Einerseits erscheint diese Definition sehr allgemein gehalten, andererseits zeigt sie dennoch auf, dass die Anforderungen an elektronische Records Management-Lösungen erheblich weiter gehen als an klassische Archiv- und DMS-Lösungen: Gefordert wird eine systematische Kontrolle der Entstehung, Aufnahme und Weitergabe von Aufzeichnungen inklusive der Beweisführung über deren Verwendung innerhalb der Bearbeitung von Vorgängen und Geschäftsprozessen. Der Begriff „systematisch“ umfasst in einer elektronischen Records Management-Lösung gleichzeitig „systemgesteuert“ und „systemgestützt“.
Umgekehrt!
Institutionen, die Records Management einführen nehmen eine Umkehr der Sicht auf Dokumentation vor: Anstelle (lediglich) nachträglich vorhandene Dokumentation in ein Archiv aufzunehmen und geordnet aufzubewahren, übernimmt eine Records Management-Lösung eine erweiterte Steuerungsfunktion: Sie „weiß“, welche Aufzeichnungen zu welchem Zeitpunkt innerhalb welcher Prozesse entstehen sollten und überwacht sowohl den Entstehungs- als auch den Verwendungs- und schließlich den Aufbewahrungsprozess.
Elektronische Records Management-Lösungen setzen zunächst einen Definitionsprozess voraus: Für alle zu berücksichtigenden Geschäftsprozesse ist in einem ersten Schritt zu definieren, welche Aufzeichnungen wann entstehen. Hierbei ist zwischen „zwingend“ und „optional“ erforderlichen Aufzeichnungen zu unterscheiden. Der einzelne Geschäftsprozess ist zudem in seinen verschiedenen Varianten zu unterscheiden: Der Standard-Ablauf, verschiedene Ausnahme-Abläufe und nicht zuletzt der an beliebiger Stelle abgebrochene Ablauf.
Muss & Kann
Beispielsweise ist in einem Standard-Ablauf für Lebensversicherungsverträge das Vorliegen des vom Antragsteller unterschriebenen Antragsformulars ein in allen Varianten des Prozesses gefordertes Muss-Dokument. Das ärztliche Attest ist generell ein Kann-Dokument, das allerdings für Vorgänge mit einer Versicherungsprämie oberhalb einer definierten Prämie zu einer Muss-Unterlage wird.
Die Aufbewahrungsregeln für die langfristige Archivierung von Aufzeichnungen ist bei Versicherungsverträgen nicht abhängig vom Entstehungsdatum des Dokuments, sondern abhängig vom Zustand der Versicherung selbst: Nach Ablauf der Versicherungsleistungen können die Versicherungsunterlagen vernichtet werden – zumeist mit einer Verzögerung von 11 Jahren. Das einzelne Dokument, zum Beispiel der Vertrag, kann hierbei ein Alter von 11, 30, 50 Jahren oder gar noch mehr aufweisen. Für „stornierte“ Anträge kommt hingegen eine gänzlich andere Aufbewahrungsregel zum Tragen: Hier ist die Vernichtung der Unterlagen mit erheblich kürzeren Fristen vorzusehen, nicht zuletzt aus datenschutzrechtlichen Gründen gegenüber dem Antragsteller.
Obige Beispiele verdeutlichen, dass eine saubere Handhabung von Aufzeichnungen zu komplexen Regelwerken führen. Berücksichtigt man alle Anforderungen, die z.B. ISO 15489 1 an Records Management stellen, so erstreckt sich das Regelwerk nicht nur auf die unmittelbare Verwaltung der eigentliche Dokumentation, sondern ebenso über die Protokollierung der die Dokumentation nutzenden Prozesse.
Standards(?)
Ähnliche Forderungen erhebt auch die MoReq Spezifikation (Model Requirements for the Management of Electronic Records), die im Auftrag der Europäischen Kommission erarbeitet wurde. MoReq stellt exemplarische Anforderungen an elektronische Records Management Lösungen, die allerdings in konkreten Produkten nicht überprüft und zertifiziert werden. In Deutschland besitzt das DOMEA Konzept der KBSt (Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung) erheblich mehr Relevanz als MoReq, werden bezüglich dieser in der Version 2 vorliegenden Spezifikation auch Produkte geprüft und zertifiziert. Diese für einige öffentliche Behörden bindenden Anforderungen werden allerdings nicht unter dem Oberbegriff „Records Management“ geführt, „DOMEA® steht für Dokumentenmanagement und Archivierung im elektronisch gestützten Geschäftsgang“.
Gemischtwarenhandel
Bei Betrachtung der unterschiedlichen Konzepte wird schnell deutlich, dass eine elektronische Records Management-Lösung immer Komponenten aus mehreren „klassischen“ Content Management-Disziplinen erfordert, vor allem aus „Archivierung“, „Workflow“ und „Dokumenten Management“: Je nach Hersteller-Ansatz ist bei unterschiedlichen Records Management-Lösungsangeboten einmal die Archivkomponente, ein andermal die DMS-Komponente und beim Dritten Angebot die Workflow-Komponente stärker ausgeprägt.
Die Dokumenten Management-Funktion wird benötigt, um den Entstehungsprozess der vornehmlich intern erstellten Unterlagen (v.a. Office-Dokumente und E-Mail) zu unterstützen. Die elektronische Archivlösung soll die unveränderbare Aufbewahrung der Aufzeichnungen unterstützen und die Workflow-Komponente dient dazu, das Records Management-Regelwerk abzubilden. Aufgrund der Komplexität des Regelwerks kommt der Workflow-Komponente sicherlich eine besonders große Bedeutung zu: In ihr ist einerseits das eigentliche Aufzeichnungsregelwerk abzubilden, das besagt, wann welche Aufzeichnungen, wo und wie entstehen sollen. Zudem muss das Workflow-System Regeln für ein Eskalationsmanagement erhalten: Die Überwachung der vollständigen Dokumentation bedingt auch das Reagieren auf fehlende Aufzeichnungen: Wer ist hierfür verantwortlich, wie wird er / sie informiert und innerhalb welcher Frist sind welche Aktivitäten anzustoßen?
Eine häufig anzutreffende Schwierigkeit bei der Gestaltung von Records Management-Gesamtlösungen liegt darin, dass Teile der Regelwerke zur Verwaltung von Aufzeichnungen bereits in separaten Systemen hinterlegt sind. So „wissen“ zum Beispiel bereits heute viele Versicherungsanwendungen mit fehlenden ärztlichen Attesten umzugehen und versenden automatisch Erinnerungsschreiben an den Antragssteller.
Innerhalb einer umfassenden Records Management-Lösung sind diese Teillösungen derart zu integrieren, dass beispielsweise die entstehenden Dokumente und Versandprotokolle automatisch in die elektronische Kundenakten aufgenommen und Bestandteil der Gesamtdokumentation werden.
Ein bei der Aufbewahrung komplexer Dokumentation häufig anzutreffendes Detail ist die Notwendigkeit, umfangreiche und stark strukturierte Akten verwalten zu können. Immer häufiger ist in solchen Lösungen die Notwendigkeit anzutreffen, einen Aktenplan im System hinterlegen zu können.
Anwender sind häufig geneigt, diese Anforderung innerhalb der System-Standardfunktionalität von ECM-Lösungen abgebildet zu vermuten: Ein Blick hinter die Kulissen zeigt jedoch, dass Aktenplan-Verwaltungsfunktionen auch in etablierten Systemen bei weitem nicht selbstverständlich sind.
Sonderfall SAP
Eine Sonderrolle unter den Angeboten nimmt sicherlich der SAP-Ansatz ein: Tief im Kern des SAP-Systems verwurzelt findet sich „SAP Records Management“ als eigenständige Lösung, die auf bewährte Komponenten – vor allem Business Workflow und die Archivschnittstelle „HTTP Content Server Schnittstelle“ – zurückgreift. SAP Records Management bietet bereits im Standard leistungsfähige Integrations- und Anwendungsfunktionen für die Gestaltung und Bearbeitung elektronischer Akten innerhalb eines offen gestalteten Werkzeugkastens.
Allerdings gehen mit der Einrichtung der Gesamtlösung im Normalfall hohe Aufwände einher und die Lösung verlangt, dass alle Anwender mit einer (allerdings vergünstigten) SAP-Lizenz ausgestattet werden.
Wahlen …
Bei der Konzeption einer Records Management-Lösung und bei der Auswahl der geeigneten Produktbasis sind somit neben den funktionalen Anforderungen insbesondere die (EDV-) strategischen Unternehmensziele zu berücksichtigen. Anwender sollten hierbei insbesondere auf die Einrichtungs- und Pflegeaufwände der künftigen Lösung achten und gleichzeitig sicherstellen, dass die gewählte Plattformen auch die absehbaren Veränderungen des Unternehmens tragen kann.
Entgegen des von einigen Marktbeobachtern vorhergesagten Trends zur Konsolidierung ist ein starkes Wachstum an Records Management-Systemlösungen zu beobachten. Die Auswahl des geeigneten Produkts und Partners wird somit auch für potenzielle Records Management-Anwender zu einer Herausforderung.
Wie bei allen Content Management-Technologien eignet sich im Rahmen der Records Management-Produktauswahl der Einsatz strukturierter Werkzeuge; vor allem ein erprobter Anforderungskatalog mit einem leistungsfähigen Auswertungsraster kann helfen, Lösungsansätze unterschiedlicher Hersteller vergleichbar zu machen und Klarheit und Konsens bei der Produktauswahl innerhalb des Unternehmens herbeizuführen. Ähnlich der Gestaltung von Workflow-Projekten bedingen auch Records Management-Projekte die intensive Zusammenarbeit von Organisation und Technik – nur diese interdisziplinären Projektgruppen haben Aussicht auf Erfolg.
Zusätzlich zählt ein gutes Einschätzungsvermögen der Möglichkeiten und Grenzen zugrunde liegender Technologien zu den Erfolgsfaktoren eines Records Management-Projekts: Wer die typischen Probleme bei der Einführung der Einzeltechnologien (Archivierung, DMS und Workflow) kennt und auf Strategien zurückgreifen kann, diese Herausforderungen zu meistern, hat besonders gute Chancen ein Records Management-Projekt erfolgreich umzusetzen, das diese unterschiedlichen ECM-Technologien miteinander kombiniert.