Der Umfang aufbewahrungswürdiger Daten und Dokumente steigt ständig an, ebenso die Zahl der eingesetzten Verwaltungssysteme. Anwender beklagen die schlechte Auffindbarkeit wertvoller Informationen in diesem Content-Chaos. ECM-Strategien helfen, die Content-Verwaltung kostengünstiger zu gestalten und hierbei zusätzlich einen besseren Zugang zu Inhalten zu erzielen.
Das organisierte Content-Chaos
Unternehmen in allen Branchen setzen immer mehr Systeme für die Verwaltung und Bereitstellung von Content ein. Längst gibt es in Unternehmen nicht nur eine einzige zentrale Dateiablage, sondern eher einen Wildwuchs aus unterschiedlichen Fileservern, elektronischen Dokumenten-Datenbanken, Mail-Ablagen, Papierablagen und projektgebundenen Teamablagen. Die Aufbewahrung von Output und Daten aus fachlichen oder gesetzlich erzwungenen Gründen wird selten zentral organisiert und findet daher in ganz unterschiedlichen Systemen statt.
Selbst für gleichartige Aufgabenstellungen, wie das Digitalisieren von Dokumenten oder die Ablage von Anwendungsdaten, werden in vielen Unternehmen unterschiedliche, systemspezifische Techniken und Verfahren genutzt. Hierdurch bleiben häufig Skaleneffekte beim Personal- und Systemeinsatz nicht nutzbar.
Hinzu kommen Datenarchive von Fachanwendungen, die häufig wenig koordiniert, teils über Zusatzfunktionen der Fachanwendung selbst oder unter Verwendung individuell geschaffener Anwendungsfunktionen dezentral aufbewahrt und anwendungsspezifisch bereitgestellt sowie nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist gelöscht werden. Eine unternehmensweite partner- oder objektbezogene Aufbewahrungsrichtlinie lässt sich in derart fragmentierten Datenbeständen nur mit immens hohem Aufwand durchsetzen und wird aufgrund dieses Umstands häufig gar nicht erst erstellt, obwohl die fachlichen und rechtlichen Anforderungen an die Aufbewahrung ständig ansteigen.
Enterprise Search ist kein Allheilmittel
Einige Unternehmen haben bereits Maßnahmen ergriffen und versuchen, das in Dateien und Dokumenten enthaltene Know-how offen zu legen und einfach zugänglich zu machen. Typische Ansätze hierzu sind die Einrichtung sogenannter Enterprise Search Funktionen, häufig als Bestandteil eines Unternehmensportals. Gut integrierte Suchfunktionen bieten dem Anwender den Zugriff auf nahezu alle Datenablagen mittels einer einzigen Suchmaske.
Allerdings steigen die Kosten und die technischen Herausforderungen bei der Einrichtung solcher Suchmöglichkeiten mit der Zahl der anzuschließenden Systeme häufig proportional oder stärker an: Insbesondere für veraltete Standardsysteme und für selbst entwickelte Anwendungen gibt es keine Standard-Suchadapter; diese müssen also unternehmensindividuell entwickelt werden, sollen die Inhalte dieser Systeme über die zentrale Suchfunktion auffindbar gemacht werden.
Das Fehlen definierter Metadaten verhindert allerdings zielgerichtete Suchen – Enterprise Search erlaubt vornehmlich wortbezogene Suchen: Fehlt das Wort im Dokument oder ist es dort anders (auch: falsch) geschrieben, dann erscheint das Dokument nicht in der Trefferliste, obwohl es möglicherweise dennoch aus Anwendersicht Suchrelevanz besitzt. Umgekehrt kann es vorkommen, dass Treffer nur deshalb gelistet werden, weil sie den Suchbegriff beinhalten – fachlich jedoch überhaupt nicht in den Kontext gehören.
Als Beispiel sei die Suche nach Kündigungsdokumenten unter Verwendung des Suchbegriffs „Kündigung“ genommen. Unter diesem Stichwort finden Anwender alle Dokumente, die den Begriff „Kündigung“ beinhalten, also auch alle Verträge mit Kündigungsklauseln, Kündigungsandrohungen und nur dann auch „echte“ Kündigungen, falls dort das Wort verwendet wurde.
Content Management ist mehr als Wissensbereitstellung
Die einfach zugängliche Bereitstellung von „Wissen“ durch Enterprise Search ist jedoch noch keine ECM-Strategie, sondern eine taktische Maßnahme. Strategien sind darauf auszurichten, für eine lange Frist Rahmenbedingungen festzulegen. Eine ECM-Strategie legt unter anderem verbindlich fest, welche Content-Funktionen im Unternehmen mit welchen Werkzeugen und Systemen bereitgestellt werden sollen. Sie bildet den „ordnungspolitischen Rahmen“ für die Content-Themen innerhalb eines Unternehmens, um Vielfalt und Komplexität zu reduzieren.
Die typischen Merkmale einer ECM-Strategie:
- ECM bezieht sich gemäß der Definition der AIIM (AIIM – Association for Information and Image Management; siehe www.aiim.org) auf die Gesamtheit der Prozesse für das unternehmensweite, zielgerichtete, systematische Sammeln, Erstellen, Aufbereiten, Verwalten, Verteilen und Nutzen von Content zur Unterstützung von Unternehmens- und Kooperationsprozessen.
- Eine ECM-Strategie soll eine langfristig gültige Orientierungshilfe zur Definition übergeordneter Ziele sein. Es geht nicht um die Ausformulierung von Fachkonzepten für Einzelprojekte in den Organisationseinheiten oder um einen taktischen Maßnahmenkatalog. Diese können Folgeergebnisse einer ECM-Strategie sein.
- Die Ziele müssen innerhalb der betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen – finanzielle und personelle Ressourcen auch realistisch umsetzbar sein. Visionen ohne Bodenhaftung sind nutzlos.
ECM-Strategieziele sind daher: Abdeckung der Anforderungen der unterschiedlichen Bereiche eines Unternehmens, Konformität mit der IT-Architektur, Vermeidung einer betriebswirtschaftlich nicht sinnvollen Systemvielfalt. - Die Strategie darf anstehende Verbesserungen nicht verzögern, sondern soll eine beschleunigte Verfügbarkeit notwendiger Problemlösungen unterstützen.
Wesentliche Parameter einer ECM-Strategie sind:
- Unternehmensziele
- Regulatorische Anforderungen
- IT-Strategie
- Marktangebot, technisch-funktionale Möglichkeiten (Realisierbarkeit)
Unternehmensziele
In der ECM-Strategie sollte konkret benannt werden, welche Unternehmensziele auf welche Weise durch ECM-Prozesse unterstützt werden. Beispielhafte Ziele, die von ECM-Lösungen unterstützt werden können, sind: Dezentralisierung der
Prozesse bei Zentralisierung der Infrastruktur, Auslagerung von Prozessen auf Dritte, Prozesseinbindung Externer (Kunden, Partner) über Portalanwendungen, Kostenreduktion in operativen oder administrativen Funktionen, Dunkelverarbeitung in Massengeschäften etc.
Regulatorische Anforderungen
Je nach regionaler Aufstellung sind hier gegebenenfalls nicht nur nationale, sondern auch internationale Anforderungen zu berücksichtigen. Hinzu kommen branchenspezifische Rahmenbedingungen wie zum Beispiel im Bereich Pharma, Kernkraft, Gesundheitswesen oder bei Behörden und Ämtern.
Die ECM-Strategie identifiziert nicht nur diese Anforderungen, sondern leitet auch die daraus resultierenden Konsequenzen auf die ECM-Lösungen ab: Typische Themen hier sind Revisionssicherheit der Aufbewahrung, Versionshistorie von Dokumenten und Content-basierten Prozessen, Zugriffs- und Datenschutz, Mandantentrennung, Betriebs- und Verfahrensdokumentation usw.
IT-Strategie
Um sicherzustellen, dass heutige und zukünftige Content-Anforderungen mit den vorhandenen Ressourcen dauerhaft abdeckbar sind, hat die IT in der Regel ein Bündel an Anforderungen an die ECM-Infrastruktur: Minimierung der Anzahl von Komponenten und Lieferanten – nicht nur für ein bestimmtes Projekt, sondern unternehmensweit, Durchgängigkeit der ECM-Komponenten (unerwünscht: ein Hersteller, aber Sammelsurium an zugekauften und bisher nicht integrierten Komponenten), Individualisierbarkeit durch Customizing zur Vermeidung von Individualentwicklungen, Anwenderfreundlichkeit, Reduzierung von Schulungs- und Trainingsaufwand für Endanwender und Administratoren, Konformität mit den IT-Architekturstandards, Vermeidung proprietärer Datenbanken, Dokumentformate, Containerformate und anderer schwer oder gar nicht migrationsfähiger Elemente, Integration in zentrale Berechtigungssysteme usw.
Marktangebot, praktische Umsetzbarkeit
Es wäre illusorisch, zu hoffen, man würde einen Hersteller oder gar eine einzige Lösungsplattform finden, die alle Content-Anforderungen eines Unternehmens abdeckt. Solche Produkte existieren nicht. Ein gutes DMS ist als Web-Redaktionssystem meistens gar nicht geeignet. Ebenso wenig wird ein Anwender seine Collaboration- und Portal-Anforderungen nach dem Lieferanten seines Archivsystems ausrichten. Aber alle genannten Funktionen gehören unbestreitbar zum Generalthema „ECM“.
Eine sinnvolle und umsetzbare ECM-Strategie wird daher von vorneherein eine reduzierte Palette an ECM-Kernkomponenten definieren, die die Basis für eine ECM-Stategie bilden. Solche Basisfunktionen sind: Archiv/DMS, Web-Redaktionsfunktionen, Portal- und Collaboration-Funktionen. Für diese Kernfunktionen wird der Anwender nach Anbietern beziehungsweise Produkten suchen, die alle innerhalb der Kernkomponente notwendigen Funktionen abdecken.
Wenn der Anwender Glück hat, wird seine gesamte ECM-Strategie dann auf drei oder vier Herstellern plus einigen wenigen Drittlieferanten für Ergänzungen basieren.
Beispiel: Ein SAP-Anwender mit DMS-/Archiv-Anforderungen auch außerhalb seiner SAP-Umgebung und Collaboration-Anforderungen könnte in seiner ECM-Strategie definieren, dass SAP-nahe Content-Funktionen mit SAP-Bordmitteln (Records Manager, DVS, Content Server etc.), Collaboration-Funktionen aber zum Beispiel mit Microsofts MOSS (Microsoft Office SharePoint Server), der Web-Auftritt mit einem dafür geeigneten WCM und alle anderen Archiv- und DMS-Anforderungen mit einer DMS/ECM-Lösung abzudecken sind. Diese vier Systeme wären sowohl mit der vorhandenen Anwendungslandschaft und gegebenenfalls auch miteinander zu integrieren, beispielsweise weil Dokumente aus dem MOSS in einem dahinter liegenden revisionssicheren Archiv abzulegen sind.
Für die Bedarf anmeldenden Fachbereiche enthält eine ECM-Strategie sinnvollerweise einen Entscheidungsbaum, der es erlaubt, nach Analyse der Anforderungen zu entscheiden, welche der Content-Komponenten für welche Anforderungen in Frage kommt. Mit anderen Worten: Die ECM-Strategie hilft bei der Frage, welche Komponente aus dem ECM-Portfolio soll/darf die Abteilung für bestimmte funktional und betriebswirtschaftlich qualifizierte Anforderungen einsetzen. Damit kann das Unternehmen verhindern, dass jede Abteilung nach eigenem Gusto abteilungsoptimierte Lösungen beschafft, die aber die Beschaffung von Drittkomponenten zulässt. Drittprodukte, die für die Einzellösung nur geringe Vorteile bieten, aber nicht Bestandteil des Portfolios sind, werden nicht berücksichtigt.
Organisatorischen Rahmen nicht vernachlässigen
Wichtig ist die Festlegung einer Koordinierungsstelle, die als erste Anlaufstelle für alle Content bezogenen Anforderungen im Unternehmen dient und hierdurch eine Übersicht über alle Content Verwaltungsanforderungen besitzt. Die Ausstattung dieser Koordinierungsstelle mit Entscheidungsbefugnis bietet zudem verbesserte Steuerungsmöglichkeiten bei der Auswahl aus verschiedenen Lösungsalternativen für konkrete Fachanforderungen.
Diese Koordinierungsstelle ist typischerweise in der IT angesiedelt, weil hier die technischen Kompetenzen und die zur Umsetzung notwendige Infrastruktur vorhanden sind und betrieben werden müssen. Die nachfolgende Implementierung wird dann von den Produktspezialisten (interne oder externe) wiederum durchgeführt, aber auch hier ist, wie in jedem ECM-Projekt, Fachbereich und Betriebsorganisation involviert.
In der Praxis hat sich bewährt, die ECM-Strategie nicht allein auf systemtechnische Parameter zu begrenzen, sondern überdies weitere relevante Fragestellungen zu beantworten, wie die Wahl von Archivformaten.
Nutzen einer Content-Strategie
Eine ECM-Strategie, die die unterschiedlichen Anforderungen berücksichtigt und die als realistisch umsetzbarer Orientierungsrahmen dienen kann, hat zahlreiche Vorteile:
- Reduktion technischer Komplexitäten der Gesamtlandschaft und Kostenreduktion durch Konsolidierung der Vielfalt
- Reduzierung der Vielzahl unterschiedlicher Support-Ansprechpartner
- Nutzung Synergieeffekte für Implementierung, Integration, Betrieb, Ausbildung etc.
- Standardisierung von Dokumentformaten, Ablagestrukturen, Client-Umgebungen, Verwaltungswerkzeugen
- Richtlinie für aktuelle und zukünftige Anforderungen
- Unterstützung bei der Schaffung von IT-Architektur-Standards
- Sicherstellung der dauerhaften Kommunikationsfähigkeit (Schnittstellen) der ECM-Lösungen mit anderen relevanten Anwendungen
- Reduktion Schulungsaufwand durch einheitliche Oberflächen, Services und Funktionalitäten
– Synergie- und Kosteneinsparungseffekte durch zentral genutzte ECM-Komponenten (Enterprise-Lizenzen) - Senkung von Entwicklungsaufwendungen durch Mehrfachnutzung von Services