Im April 2013 erschien der erste Entwurf der Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff oder kurz GoBD. Diese neuen Grundsätze sollen die bereits 1995 erschienenen Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS) und die im Jahre 2001 für den elektronischen Datenzugriff hinzugekommenen Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) ablösen.Nach dem Erscheinen war die Kritik groß. Die Vertreter mehrerer Verbände kritisierten die deutliche Ausweitung an Anforderungen gegenüber der heute geltenden Praxis. Kritikpunkte waren:
- Das Ziel des Bürokratieabbaus wird durch umfangreiche neue Anforderungen nicht erreicht.
- Die GoBS galten für das gesamte kaufmännische Aufbewahrungsrecht, vor allem inkl. Steuerrecht (AO) und Handelsrecht (HGB). Das lieferte allen Anwendern – kleine und große Unternehmen – einen verlässlichen Handlungsrahmen. Die neuen GoBD stellen als BMF-Schreiben nur die steuerliche Sicht dar.
- Formulierungen aus dem Fragen- und Antwortenkatalog der GDPdU werden durch ein BMF-Schreiben auf eine neue rechtliche Ebene gehoben.
- Teilweise wurde die verbindliche Definition der steuerrelevanten Daten oder eine Checkliste für die Inhalte einer Verfahrensdokumentation gefordert, was aber kaum realistisch erscheint, da dies von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein kann
- Unverändert unrealistische Forderung bezüglich Auswertungsmöglichkeiten nach Systemumstellung oder –stilllegung
Der im Juni 2013 erschienene zweite Entwurf brachte an den Kritikpunkten keine signifikante Änderung. Seitdem ist Funkstille, es wird aber an einer weiteren neuen Version gearbeitet, die noch Mitte 2014 erscheinen sollen.
Aus DMS-Sicht, also mit Fokus auf elektronische ordnungsgemäße Aufbewahrung (in der Branche als „Archivierung“ bezeichnet) waren die GoBS wie auch die GDPdU immer nur teilweise passend, da mit beiden Veröffentlichungen immer alle steuerrelevanten Systeme adressiert wurden, also nicht nur DMS-Lösungen. Mit dem vorliegenden Entwurf der GoBD verhält es sich ebenso. Im Fokus sind wieder Buchhaltungsanwendungen und ERP-Produkte, wie SAP oder Dynamics NAV. Es werden aber deutlich mehr Anforderungen definiert, die die elektronische Belegaufbewahrung betreffen.
An vielen Stellen im BMF-Schreiben werden Anforderungen an die Aufbewahrung von Daten und Dokumenten detailliert beschrieben, so dass weniger Analogieschlüsse erforderlich sind. Begriffe, wie Scannen, Barcode, Dokumenten-ID, OCR und PDF kommen im Entwurf vor. Anderseits ist man sich der raschen technischen Entwicklung auch bewusst: „Im Zweifel ist über einen Analogieschluss festzustellen, ob die Ordnungsvorschriften eingehalten wurden, z.B. bei einem Vergleich zwischen handschriftlich geführten Handelsbüchern, die in einem verschlossenen Schrank aufbewahrt werden, und elektronischen Handelsunterlagen, die mit einem elektronischen Zugriffschutz gespeichert werden.“
Fokus Aufbewahrung
Für DMS-Hersteller und Anwender sind diejenigen Abschnitte relevant, bei denen es um die Aufbewahrungsanforderungen geht, also hauptsächlich Abschnitt 9. Aber auch in den Definitionen der Ordnungsmäßigkeitsgrundsätze oder den Anforderungen an die maschinelle Auswertbarkeit sind Formulierungen enthalten, die Auswirkungen auf die Aufbewahrung besitzen. Hier einige Beispiele:
Grundsatz der Nachvollziehbarkeit
- Belegprinzip gilt immer, egal ob Papier oder elektronisches Dokument in einem DMS. Angaben zur Kontierung, zur Ordnung (dem Ordnungssystem) und zum Buchungsdatum sind erforderlich.
- Bei Papierbelegen sind die o.a. Angaben zur Kontierung auf dem Papierbeleg zu machen (bzw. „am Papierbeleg“). Bei elektronischen Belegen muss diese nicht elektronisch „auf“ dem Beleg erfolgen. Ein Datensatz mit Angaben zur Kontierung und eine elektronische Verknüpfung (z.B. Index, Paginiernummer, Barcode, Dokumenten-ID) ist ausreichend.
- Aus der Verfahrensdokumentation muss ersichtlich sein, wie die elektronischen Belege erfasst, empfangen, verarbeitet, ausgegeben, aufbewahrt und geschützt werden.
Grundsatz der Vollständigkeit
- Maschinelle, organisatorische und programmierte Kontrollen erforderlich (z.B. Erfassungskontrollen, Plausibilitätskontrollen bei Dateneingaben, automatisierte Vergabe von Datensatznummern)
Grundsatz der Ordnung
- Aufzeichnungen müssen nach Ordnungsprinzipien geführt, einzeln und sachlich geordnet sein.
- Beispiele für Ordnung sind: Zeitfolge, Sachgruppen, Kontenklassen, Belegnummer oder alphabetisch.
- Beispiele für keine ausreichende Ordnung: nur Beleg- oder Buchungsdatum, nur Kontoauszugsnummer, nur Name
Grundsatz der Unveränderbarkeit
- Klarstellung: Es geht um Nachvollziehbarkeit, nicht um Unveränderbarkeit: „Eine Buchung oder eine Aufzeichnung darf nicht in einer Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist.“
- Änderungen sind sehr wohl zulässig: „Veränderungen und Löschungen von und an Daten, Datensätzen, elektronischen Dokumenten und anderen Unterlagen müssen protokolliert werden.“
- Technische Umsetzung kann hardwaremäßig (z.B. unveränderbare Datenträger) oder softwaremäßig (z.B. mittels Zugriffsberechtigungskonzepten, Sicherungen, Sperren, Protokollierung) erfolgen.
- Klare Aussage zur Ablage im Dateisystem: „Die Ablage im Dateisystem erfüllt die Anforderungen regelmäßig nicht, soweit nicht zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, die eine Unveränderbarkeit gewährleisten.“
Es sind Formulierungen im Entwurf vorhanden, die aus DMS-Sicht klar zu begrüßen sind:
- Bildliche Aufbewahrung für eingehende Handelsbriefe ist wie bisher erforderlich. Für alle anderen Unterlange ist weiterhin die inhaltliche Aufbewahrung ausreichend.
- Eine vollständige Farbwiedergabe ist nur dann erforderlich, wenn der Farbe Beweisfunktion zukommt (z.B. Bearbeitungs- und Zeichnungsvermerke in unterschiedlichen Farben).
- Hinweis, dass eine E-Mail durchaus ein Handelsbrief sein kann, aber ggf. trotzdem nur die Funktion eines „Umschlags“ besitzt, bspw. wenn eine Rechnung als Attachment enthalten ist.
- Signaturkarten oder Zeitstempel sind beim Scannen oder bei der Aufbewahrung nicht erforderlich (Bsp. TR-RESISCAN).
- Auch ist die Vernichtung der Papierdokumente nach dem Scannen weiterhin zulässig.
Es gibt aber auch einige problematische Aussagen, die sich in der Praxis wohl nicht immer sinnvoll umsetzen lassen:
- Im Anschluss an den Scanvorgang darf die weitere Bearbeitung nur mit dem elektronischen Dokument erfolgen. Die Papierbelege sind dem weiteren Bearbeitungsgang zu entziehen, damit auf diesen keine Bemerkungen, Ergänzungen usw. vermerkt werden können, die auf dem elektronischen Dokument nicht enthalten sind. Dies wird in der Praxis manchmal anders gehandhabt, da bspw. eine Rechnung zwar früh gescannt wird, um allgemein verfügbar zu sein, aber eine (meist komplexe) Rechnungsprüfung trotzdem in Papier erfolgt. Hier sollte es genügen, wenn der Anwender durch entsprechende Maßnahmen sicherstellt, dass durch solche Hybrid-Dokumente die Ordnungsmäßigkeit nicht beeinflusst wird. Wenn das nicht möglich wäre, hätte man in der Vergangenheit auch Papier-Rechnungskopien verbieten müssen, die aber in manchen Fällen zur gleichzeitigen Bearbeitung notwendig waren.
- Die Unveränderbarkeit von Daten und somit auch von Dokumenten muss bereits vom Zeitpunkt der ersten Speicherung an gewährleistet sein und nicht erst nach durchgeführter Verarbeitung. In einem DMS sind aber Formatumwandlung oder PDF-Kompression gängige Prozessschritte, die sehr wohl zu einer Änderung der Dokumente führen, allerdings nicht deren Richtigkeit und Lesbarkeit beeinflussen. Diese Forderung ist nach unserer Meinung gar nicht abdeckbar, widerspricht allen gängigen Verfahren und kann die Ordnungsmäßigkeit sogar gefährden, weil dann auch die Möglichkeiten einer Irrtumskorrektur beschnitten werden.
- Temporäre Daten einer OCR-Lesung, bspw. im Rahmen der Rechnungslesung sind steuerrelevante Daten und müssen aufbewahrt werden. Das ist oft so in den Produkten nicht vorgesehen. Relevante Werte bleiben erhalten, der Rest wird verworfen.
- Im DV-System erzeugte Dokumente (z.B. als Textdokumente erstellte Ausgangsrechnungen oder Verträge) sind im Ursprungsformat aufzubewahren, unabhängig davon, ob diese strukturiert oder unstrukturiert sind oder bspw. erst durch Unterschrift rechtsgültig werden.
Ausweitung der maschinellen Auswertbarkeit
Mit Fokus auf steuerrelevante Daten (nicht Dokumente!), die ja auch manchmal in einem DMS abgelegt werden (Bsp. DART-Extrakte im SAP-Umfeld) sind einige knackige Konkretisierungen enthalten.
Um von vorneherein allen Argumenten nach Unverhältnismäßigkeit den Wind aus den Segeln zu nehmen findet man diesen Satz: „Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit rechtfertigt es nicht, dass Grundprinzipien der Ordnungsmäßigkeit verletzt und die Zwecke der Buchführung erheblich gefährdet werden. Die zur Vermeidung einer solchen Gefährdung erforderlichen Kosten muss der Steuerpflichtige genauso in Kauf nehmen wie alle anderen Aufwendungen, die die Art seines Betriebes mit sich bringt (BFH-Urteil vom 26.3.1968, BStBl II S. 527).“
Die Anforderungen der GDPdU sind größtenteils in den GoBD enthalten. Steuerrelevanten Daten müssen in maschinell auswertbarer Form und nicht nur in ausgedruckter Form aufbewahrt werden. Auch müssen die Auswertungsmöglichkeiten Z1 (unmittelbarer Datenzugriff) bis Z3 (Datenträgerüberlassung) dauerhaft sichergestellt werden. Soweit – so gut!
Das häufig in der Praxis der elektronischen Betriebsprüfung vorhandene Problem der Nachvollziehbarkeit von Stammdaten (Bsp. Datensatzbeschreibungen, Abkürzungs- oder Schlüsselverzeichnisse, Organisationspläne, Umsatzsteuerschlüssel, Währungseinheit, Kontoeigenschaften) und technische Systemeinstellung wird konkret adressiert. Diese müssen mit Gültigkeitszeiträumen historisiert werden, um mehrdeutige Verknüpfungen zu verhindern. Die Änderungshistorie darf natürlich nicht nachträglich veränderbar sein. Dies betrifft alle steuerrelevanten Systeme und somit auch eine DMS-Umgebung.
Auch andere Praxisprobleme wurden aufgegriffen: Volltextsuche wurde kurzerhand als maschinelle Auswertbarkeit definiert und kann somit beim Z1-Zugriff auf DMS-Systeme mit genutzt werden. Auch die Suche im E-Mail-Server (mit Handelsbriefen) wird so interessanter. Der Z3-Zugriff für DMS-Umgebungen (Prüfer nimmt exportierte Dokumente mit) wurde als zulässige Möglichkeit der maschinellen Auswertung klargestellt.
Zum Thema Systemwechsel / Auslagerung aus Produktivumgebung gibt es weiterhin die Anforderungen, dass dies nur zulässig ist, wenn quantitativ und qualitativ die gleichen Auswertungsmöglichkeiten vorhanden sind. Was für eine Migration DMS –zu-DMS in der Regel kein Problem darstellt, ist aber bei der Abschaltung von Altsystemen mit großen steuerrelevanten Datenbeständen nicht umsetzbar. Auch wenn alle Daten mit passenden Strukturbeschreibungen im DMS abgelegt werden und problemlos in die Auswertungssoftware (IDEA) geladen werden können, stehen so bei weitem nicht die Auswertungsmöglichkeiten einer ERP-Anwendung zur Verfügung. Hier hätte man einige praxisnähere Anforderungen definieren sollen.
Dokumentation ist langweilig – nicht bei den GoBD
Einen besonderen Stellenwert im Schreiben nimmt das Thema Verfahrensdokumentation ein. Die Volltextsuche bringt satte 21 Treffer. Eine Checkliste oder einen Gliederungsvorschlag sucht man aber vergeblich. Stattdessen findet man wieder die Standard-Floskel „was zum Verständnis … notwendig ist“. Das ist schade, da sich viele Anwender hier über eine höhere Konkretisierung gefreut hätten. Immerhin gibt es den Hinweis, dass eine Verfahrensdokumentation in der Regel aus einer allgemeinen Beschreibung, einer Anwenderdokumentation, einer technischen Systemdokumentation und einer Betriebsdokumentation besteht.
Aber eines wird auch klar: Die DMS-Lösungen gehören auch in den Fokus der Verfahrensdokumentation: „Aus der Verfahrensdokumentation muss ersichtlich sein, wie die elektronischen Belege erfasst, empfangen, verarbeitet, ausgegeben und aufbewahrt werden.“
Die Pflicht zur Erstellung bleibt beim Steuerpflichtigen, auch wenn an externe Dienstleister ausgelagert wird. Der Einsatz von Scan-Dienstleistern und Cloud-Archiven entbindet den DMS-Anwender nicht von der Pflicht, einem Dritten klarzumachen, warum in der Verarbeitung keine Dokumente verloren gehen können. Und der nette Nachsatz „Eine fehlende Verfahrensdokumentation ist ein formaler Mangel der Buchführung“ dürfte eine ausreichende Projektpriorität sicherstellen.
Zertifizierung
Wenn ein DMS-Kunde dann mit mehr oder weniger Aufwand eine entsprechende Dokumentation erstellt hat, liegt nichts näher, als sich die ordentliche Arbeit von dem sachverständigen Dritten noch bestätigen zu lassen. Auch hierzu nehmen die GoBD Stellung. Vom Gesetzgeber gibt es keine Zertifizierungsmöglichkeiten und eine Bindungswirkung für Testate von Dritten gibt es auch nicht. Das war schon immer so und bleibt auch so, wird aber den „Markt der Zertifizierer“ nicht schwächen.
Fazit
Auch wenn umfangreiche Kritik am neuen Entwurf geübt wurde, gibt es aus Sicht eines DMS-Anwenders erfreuliche Konkretisierungen. Leider wurde der bislang von der AWV e.V. vorliegende Entwurf für eine neue Version der GoBS – die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beim IT-Einsatz (GoBIT) ignoriert, die bereits einen mit vielen Verbänden und Industrieunternehmen abgestimmten Reifegrad besitzen und auch den Fokus auf Bürokratieabbau legt.