Autor: Ulrich Gerke, Seniorberater, Zöller & Partner GmbH
Die Einführung einer DMS-Lösung geht an manchen Stellen über die Komplexität anderer IT-Projekte hinaus. Das Projekt erfordert ein gutes Verständnis der heutigen und zukünftigen Arbeitsabläufe und Ablagestrukturen bei den Anwendern, den IT-Rahmenbedingungen (Integration in Infrastruktur und Fachverfahren) sowie den regulatorischen Anforderungen.
Ebenso wichtig ist aber auch die Berücksichtigung der Bereitschaft (oder dem Mangel an solcher) der Anwender zur Umstellung ihrer gewohnten Arbeitsweisen, Berechtigungen und Zuständigkeiten (Stichwort: Change-Management). Die Projektleitung bzw. das Projektteam muss daher die Fähigkeit besitzen, ein solches Projekt mit unterschiedlichen Teilprojekten und personellen Ressourcen zu managen (klassisches Projektmanagement). Um konkreter zu veranschaulichen, welche Aufgaben auf das Projektteam zukommen, nachfolgend einige Bespiele:
- Analyse bestehender Ablagestrukturen (Papier, Gruppenlaufwerk etc.) und Erarbeitung neuer, digitaler Ablage- und Ordnungssysteme für digitale Akten, Vorgänge, Dokumente und deren Meta-Daten. In öffentlichen Verwaltungen ist häufig auch das „Wiederbeleben“ eines Aktenplans mit der Sachakte als Ersatz für die bisher genutzten Papierordner und Gruppenlaufwerke sowie die Ergänzung der Ordnungssysteme in vorhandenen Fachsystemen üblich. Wichtig: Ein DMS ist kein Ersatz für das Gruppenlaufwerk. Eine tief gestaffelte Baumstruktur, wie sie oftmals im Gruppenlaufwerk vorzufinden ist, ist in einer DMS-Lösung praktisch nie notwendig und in der Regel auch nicht zu empfehlen.
- Entwicklung der Berechtigungssteuerung auf Dokumente, Akten und Metadaten unter Berücksichtigung zentraler Rechtesysteme (AD), und der fachlich-funktionalen oder regulatorisch definierten Berechtigungen der verschiedenen Bereiche.
- Spezifische regulatorische Anforderungen, insbesondere:
- Pflichten zur revisionssicheren Aufbewahrung von Unterlagen
- Pflichten zur zeitgerechten Datenlöschung gem. DS-GVO
- dauerhafte Aufbewahrung oder Vernichtung von Originalen (Stichwort: ersetzendes oder kopierendes Scannen, Hybridakte)
- Technischer Aufbau des DMS (u.a. Client, Server, Office/Mail Integrationen, mobiler Zugriff auf elektronische Akten und Dokumente)
- Aufbau der Entwicklungs- und Testumgebung sowie Einrichtung von Transportsystemen für das Staging Entwicklung -> Test -> Produktion und die für die Entwicklungs- und Testphase notwendigen Werkzeuge wie Testscripte, Ticketsysteme, definierte Abnahmekriterien etc.
- Integration der DMS-Lösung in Drittsysteme (in z.B. vorhandene Fachsysteme in den Fachbereichen) für die verschiedenen Integrationsanforderungen
- Ablösung papierhafter Umlaufmappen durch elektronische Umlaufmappen
- Arbeitsoptimierung mit elektronischen, regelbasierten Workflows (z.B. elektronische Eingangsrechnungsverarbeitung etc.)
- Anbindung moderner Dokumenteneingangs/-ausgangswege für elektronische Unterlagen wie z.B. Portalanwendungen, beBPo etc.
- Berücksichtigung neuer, verpflichtender Formate XRechnung, ZUGFeRD für Erfassung, Bearbeitung/Viewing und Ablage
- Gestaltung der Übernahmeprozesse von Daten aus Altsystemen oder Dateilaufwerken
- Beteiligung weiterer Organisationseinheiten (Fachbereiche, Personalrat, Rechtsstelle etc.) am Projekt zur Klärung von Fachfragen
- Steuerung der Integrationspartner (vor allem DMS-Anbieter und Fachverfahrensanbieter, ggf. Scan-Dienstleister)
- Projektcontrolling, Projektsteuerung (z.B. Vertragsüberwachung, Projektplanungen, Abstimmungen mit dem DMS-Lieferanten und bei Integrationen in Fachsysteme auch mit dem Fachverfahrensanbieter)
- Mögliche Dokumentationspflichten (Stichwort: GoBD-, TR-RESISCAN-Verfahrensdokumentation)
Speziell für die öffentliche Verwaltung kommen hinzu:
- Anforderungen an die Barrierefreiheit
- Anforderungen an die Post- bzw. Scanstelle (in der öffentlichen Verwaltung: z.B. TR-03138 / RESISCAN und deren Prüfkriterien für unterschiedliche Schutzklassen)
- Elektronische Signaturen und die Konsequenzen aus der BSI TR-03125 (TR-ESOR zur Beweiswerterhaltung kryptographisch signierter Dateien)
- Anforderungen aus der Nutzung besonderer elektronischer Behördenpostfächer wie beBPo, eBO und weitere
- Neu-Nutzung standardisierter Austauschformate wie xRechnung, xJustiz, xBau etc.
- Manchmal notwendig: Entwicklung von Akten-/Teilakten-Plänen für Sachakten und deren Abgrenzung zu Fallakten
Nachfolgende Abbildung fasst die DMS-Komponenten und die Aufgaben zum Verbinden der technischen Komponenten mit den Anforderungen aus der Organisation zusammen:
DMS-Kernteam und Projektleitung
Das DMS-Kernteam ist der Dreh- und Angelpunkt eines DMS-Projekts und sollte unterschiedliche Talente aufweisen, wie z.B.
- über IT-Know-how verfügen und aufgeschlossen sein gegenüber neuen Technologien
- Verständnis über jetzige und Konzeptionskompetenz für zukünftige elektronische Prozesse haben
- neue Ordnungssysteme und Ablagesysteme erarbeiten und den betroffenen Fachbereichen diese auch vermitteln können
- konzeptionelle Arbeiten übernehmen können (Fachkonzepte erarbeiten, abstimmen, umsetzen etc.)
- „Alte Zöpfe abschneiden“ können, also Entscheidungsbefugnisse besitzen
Ein Beispiel soll zeigen, wie die typische Organisation eines DMS-Projektteams aussehen kann:
Tipp Nr. 1 |
Suchen Sie in Ihrer Organisation diejenige Person für die Projektleitung aus, die in der Lage ist, die o.g. Aufgaben zu verstehen, zu identifizieren und zu lösen. Aufgrund der ggf. hohen Komplexität, Spezialisierung und gleichzeitig Breite der Aufgabenstellung ist Erfahrung mit vergleichbaren Projekten vorteilhaft; diese kann auch über externe Expertise hinzugezogen werden. |
Tipp Nr. 2 |
Stellen Sie sich als Projektleitung ein entscheidungsbefugtes DMS-Kernteam mit Vertretern aus unterschiedlichen Fachbereichen, IT, Post-/Scanstelle, Personalrat, Rechtsabteilung etc. zusammen. Die IT sollte über den gesamten Projektverlauf im Kernteam vertreten sein. Eine Inhouse DMS-Lösung sollte von diesen Personen selbst betrieben werden können, um späteren Dienstleistungsaufwand beim DMS-Lieferanten zu minimeren. Identifizieren Sie anhand der Aufgabenliste, über welches Know-how die am Projekt beteiligten Personen verfügen müssen. Suchen Sie sich die Key-User aus den Fachbereichen, die wissen, wie die Geschäftsprozesse ablaufen, Entscheidungskompetenz besitzen und IT-affin sind. |
Bei der Implementierung einer DMS-Lösung kommen auf die IT besondere Aufgaben zu:
- Installation aller DMS-Module (Server, Client, Scan-Anwendungen, periphere Systeme wie Stapelimporter etc.)
- Integrationen der DMS-Benutzerverwaltung in die zentralen Rechtesysteme (AD u.a.)
- Einrichten der im DMS-Umfeld häufig komplexen, Attribut-basierten Berechtigungssteuerung für Dokumente, Akten und Vorgänge
- Anbindung spezieller Speichersysteme
- Integrationen in die Office- und E-Mail-Programme
- Integrationen in ERP- und Fachsysteme
- Erstellen bzw. Konfigurieren der neuen Ordnungssysteme (Metadaten für Akten, Dokumente und Vorgänge, inkl. Aktenstrukturen, Sachakte/Fallakte etc.)
- Zugänge für ggf. Mobile oder Remote-Arbeitsplätze schaffen
- Technische Administration und Überprüfung des Systemzustands
- Performanceoptimierungen
- Importe von Daten/Dokumentenbeständen
- Backup und Restore (ggf. auch Ausfallszenario simulieren)
Tipp Nr. 3 |
Vereinbaren Sie zum Projektstart die personellen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die o.a. Projektaufgaben. Auch der DMS-Anbieter und bei Integrationen in Fachsysteme der Fachsystemanbieter sind hierbei zu berücksichtigen. |
Tipp Nr. 4 |
Eine DMS-Lösung besteht in der Regel aus einer Vielzahl von technischen Modulen. Es ist darauf zu achten, dass auch alle bestellten Module installiert wurden. Fordern Sie daher vom Lieferanten ein Protokoll über alle installierten Module mit deren Versionsnummer, und zwar für alle bestellten Systeminstanzen, also z.B. das Produktions-, Test- und Entwicklungssystem. |
Tests
Auch Tests in einem DMS-Projekt sind gegenüber anderen IT-Projekten teilweise anders geartet. Nachfolgend eine nur beispielhafte Liste von DMS-Testaufgaben:
- Bereitstellen von Testdokumenten unterschiedlicher Formate
- Bei hochvolumigen Anwendungen sollten Testdokumente in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Klärung, ob diese Testdokumente anonymisiert werden müssen oder nicht
- Durchführen von Tests in der Erfassungsstelle bzgl. Auslesen von Daten (z.B. bei der Rechnungserkennung) – „Anlernen“ der Erkennungslösung
- Überprüfen der Ordnungssysteme/Ablagestrukturen Metadaten
- Dokumentenablage und Rechercheszenarien
- Test der Berechtigungssteuerung für die verschiedenen Rollen und in arbeitsteiligen Workflows
- Test der neuen elektronischen Prozessabläufe (Workflows), ob sie funktional und technisch fehlerfrei sind und – noch wichtiger – ob End-User damit klarkommen
- Integrationen in Drittsysteme
- Speziell im Verwaltungsbereich:
- selektive Aktenexporte/-importe
- Auslagerungsszenarien
Tipp Nr. 5 |
Klären Sie frühzeitig:
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Schulungen
Schulungen sollen sicherstellen, dass alle Nutzer das neue System akzeptieren und für die tägliche Arbeit intuitiv nutzen können. DMS-Lösungen haben im Vergleich zu anderen IT-Lösungen wie MS Office oder Gruppenlaufwerk eine komplett andere Benutzerführung. Die vielleicht vorhandenen Erfahrungen in anderen Bereichen mit dem gleichen DMS hilft nur begrenzt, da Aktenstrukturen, Workflows, etc. häufig Bereichs-spezifisch gestaltet sind. Daher ist bei DMS-Projekten ein entsprechender Schulungsaufwand für unterschiedliche Benutzergruppen zu berücksichtigen, z.B.:
Benutzergruppe | Schulungsaufgaben (beispielhaft) |
End-Anwender
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Personen in der Scan-/Erfassungsstelle
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Systemverwaltung/Administration
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Tipp Nr. 6 |
Prüfen Sie, ob die Schulungen des DMS-Lösungsanbieters nicht nur die Bedienfunktionen der Anwendungsoberfläche beinhalten, sondern auch die neuen Arbeitsprozesse. Je umfangreicher die „Standard-Lösung“ angepasst wurde, desto weniger sind Standard-Schulungen sinnvoll. Daher sollen diejenigen die Schulung durchführen, die in der Implementierungs- und Testphase mitgearbeitet haben. Das können Mitarbeiter des Unternehmens sein, oder Personen des Anbieters oder Externe. Bei der Schulung ist die fachliche Perspektive der End-User unverzichtbar, da nicht nur ein Stück Software geschult wird, sondern auch immer neue Abläufe der Arbeitsprozesse. |
Tipp Nr. 7 |
Bei der Durchführung von Schulungen bietet sich heute eine Palette von Möglichkeiten. Klassische Schulungen in einem Schulungsraum können heute gut durch Online-Schulungen ergänzt werden. E-Learning Plattformen und natürlich auch Arbeitsanweisungen, die bereits in der Testphase durch das Testteam erstellt werden können, sind weitere Hilfsmittel, um das Schulungsangebot zu ergänzen. Starke Empfehlung: Erstellen Sie How-To-Videos, die von jedem User punktuell abgerufen werden können, statt aufwendige Schulungshandbücher, die niemand liest. |
Projektdokumentation
Die Dokumentation in einem DMS-Projekt ist häufig umfangreich, daher sollten folgende Dokumentationen immer Bestandteil in einem DMS-Umsetzungsprojekt sein, wie z.B.:
- System-Handbücher
- Erfassungssoftware
- Client-Anwendung
- Operating Handbücher (Betriebskonzepte)
- Administration / Konfiguration
- Server
- Client
- Programmierhandbücher
- Technische Dokumentation
- Systemparameterwerte
- Server
- Client
- Scan-Stationen/Arbeitsplätze
- Datenbankkonfiguration
- Systemparameterwerte
- Anwendungsdokumentation
- Feinkonzepte
- Bedienungshandbücher
- Arbeitsanweisungen/Dienstanweisungen
Tipp Nr. 8 |
Überlegen Sie sich, wer im Projektteam Dokumentationsaufgaben übernehmen soll bzw. was bereits Lieferverpflichtung des Anbieters ist. Auch ist festzulegen, wer für welche Dokumentationen zuständig ist, z.B. der DMS-Lösungsanbieter, die IT, der Fachbereich für Anwenderdokumentation etc.. Greifen Sie auf ggf. vorhandene Unterlagen bzw. Vorlagen zurück (z.B. über die externe Expertise), um das Rad nicht neu zu erfinden. |
Change-Management und Projektkommunikation
Von Beginn eines Projektes an muss das Thema Change-Management und Projektkommunikation vom DMS-Projektteam unbedingt aufgegriffen werden. Die Einführung einer DMS-Lösung tangiert viele Aspekte aber auch Ängste bei den Betroffenen, u.a.:
- Entwertung des bisher personen-gebundenen Know-hows
- Angst, dass das eigene Know-how ersetzbar wird
- Gefährdung der bisherigen Ressourcenallokation bzw. Verlust von Rückgriffen auf altbekannte Informationsquellen
- Gruppenträgheit, Trägheit der Organisation
- Gefährdung vorhandener Hierarchien (Zuständigkeiten, Stellung, Einfluss etc.)
Bei der Einführung einer DMS-Lösung bezieht sich das Change-Management auf die systematische Planung und Umsetzung von Veränderungen innerhalb einer Organisation. Ziel ist es, Veränderungen, wie zum Beispiel neue Prozesse, Technologien oder Strukturen, erfolgreich einzuführen und dabei die Mitarbeitenden mitzunehmen. Es geht also darum, den Wandel so zu gestalten, dass er reibungslos verläuft und die Organisation sowie die Mitarbeitenden davon profitieren.
Tipp Nr. 9 |
Binden Sie alle relevanten Stellen frühzeitig in das Projekt ein: Nutzerbereiche, Orga., Recht & Compliance, die IT, die Führungsebene: Ziel ist es, eine gute Zusammenarbeit zu fördern, Konflikte zu vermeiden und die Unterstützung der Stakeholder, also diejenigen, die von den Entscheidungen und Aktivitäten eines Unternehmens betroffen sind oder diese beeinflussen können, für das Projekt oder die Organisation zu sichern. |
Tipp Nr. 10 |
Auch eine offene Kommunikation und die Einbindung der Mitarbeitenden in den Veränderungsprozess sind entscheidend, um Akzeptanz zu schaffen und Widerstände abzubauen. Insbesondere sollte hier auch nach Abschluss eines Projekts mit den Fachbereichen gesprochen, also eine Art Projekt Review bzw. Erfahrungsaustausch durchgeführt werden, um in Folgeprojekten ggf. Fehler zu vermeiden oder um Dinge während der Projektumsetzung zu optimieren (Lessons Learned). |
Fazit
Bei der Einführung einer DMS-Lösung sind viele technische, funktionale und organisatorische Dinge, aber auch der gesamte Change-Prozess von allen Projektbeteiligten zu beachten. Der Einsatz externer Expertise kann dabei sehr hilfreich sein. Sie erhöht die Projektqualität, transferiert Praxis-Know-How aus anderen DMS-Projekten an das Projektteam, unterstützt bei Identifizierung und Durchführung der relevanten Teilaufgaben, steuert externe Dienstleister, sichert die Einhaltung von Terminen und reduziert die Arbeitsbelastung für das interne Projektteam.