Die aktuelle vom BITKOM herausgegebene DMS-Marktübersicht 2013 zeigt, dass der DMS-Markt den Anwendern eine wachsende Anzahl von Lösungsmöglichkeiten für die Verwaltung, Archivierung und Bearbeitung aufbewahrungswürdiger und –pflichtiger Dokumente und sonstiger Unterlagen zur Verfügung stellt. In dieser Marktübersicht werden im Segment DMS (ohne spezialisierte Web-, Redaktions- und Collaboration-Systeme) 60 Produkte aufgeführt. Die Spanne reicht von der Lösung für Kleinunternehmen bis zu den „echten“ ECM (Enterprise Content Management)-Suiten, die mit umfassender Content-Funktionalität inkl. BPM-Engine, Web-Redaktionssystem und Collaboration-Funktionen unternehmensweites Content Management ermöglichen.
Die Anwender haben ein sehr unterschiedliches Verständnis von Dokumenten und Content Management. Die Spanne reicht von der einfachen MS Office-Dateiverwaltung auf dem Server mit Volltextsuche bis hin zur Prozessunterstützung in Content-zentrischen Prozessen, die in eine heterogene Anwendungslandschaft unter Einhaltung regulatorischer Anforderungen integriert werden können. Dementsprechend vielfältig und selten direkt miteinander vergleichbar sind auch die verschiedenen Angebote der Hersteller.
Abbildung 1: ECM umfasst …
In den 80-90er Jahren gab es kaum integrierte Komplettlösungen, die alle genannten Funktionen in einem homogenen System mit einer einheitlichen Architektur abdeckten. Anwender, die in dieser Zeit Anforderungen im Bereich Archivierung, Content Management, Web Content Management oder Workflow umsetzen wollten, waren gezwungen, sich bei unterschiedlichen Herstellern zu bedienen.
Abbildung 2: Angebotsvielfalt in den 90er Jahren
Die Anwender mussten also mit Content- und Funktionsinseln leben, wenn Anforderungen der unterschiedlichen Abteilungen und Tochterunternehmen mit diesen Systemen realisiert werden mussten. Daher verfügen mittlerweile viele Unternehmen über ein umfangreiches ECM-Biotop aus Einzellösungen mit komplexen Abhängigkeiten zwischen Einzelkomponenten, die kaum noch pflegbar und funktional sowie technisch veraltet sind.
Abbildung 3: ECM-Lösung in den 90er Jahren
Das hat betriebswirtschaftliche Konsequenzen: Der Betrieb dieser Vielfalt führt zu unnötig hohen IT-Kosten durch erhöhten Aufwand in Wartung, Betrieb und Schnittstellenpflege unterschiedlicher Systeme, die aber ähnliche Aufgaben haben und häufig individuell miteinander integriert werden müssen. Weitere Nachteile sind:
- Unterschiedliche und zum Teil überlappende Funktionalität mit jeweils individueller Benutzerführung
- Unterschiedliche Architekturen, vor allem auf der Client-Seite und in der Middle-Tier
- Notwendigkeit zur Beherrschung unterschiedlicher Entwicklungsumgebungen
- Unterschiedliche Ansprechpartner und Support-Strukturen
- Release-Abhängigkeiten durch unterschiedlichen Plattformsupport der Komponenten
So entstand der Druck auf die Anbieter, ihre ehemaligen Funktionsinseln, die häufig nur spezifische Content-Funktionen abdeckten, zu Content-Komplettlösungen für alle Anwendungsbereiche in einem Unternehmen auszubauen. Vor allem die großen Anbieter haben versucht, sich dieser Aufgabe durch Zukäufe zu entledigen. Die Folge ist ein seit Jahren zu beobachtender Reigen von Übernahmen und Fusionen, nicht immer zum Nutzen der Kunden: Diesen gingen im Zuge der personellen Konsolidierungen nicht nur vertraute Ansprechpartner verloren. Ihre Geduld wurde auch auf die Probe gestellt durch Unsicherheiten bei der Fortführung von Produktlinien, die aufgrund von Redundanzen zu bereinigen waren. Der „Broschürenintegration“ folgte daher häufig genug jahrelanges Warten, bis die Produkt-Roadmaps funktional, aber vor allem auch architektonisch synchronisiert waren.
Abbildung 4: Fusionen und Übernahmen der 4 größten ECM-Anbieter
Diese Heterogenität der Systeme ist vor allem bei jenen Anbietern typisch, deren ECM-Suiten durch Zukauf entstanden sind und die bezüglich der oben genannten Merkmale noch nicht konsolidiert sind. Kleinere Anbieter, die ihre Systeme durch Eigenentwicklung erweitert haben, können dann vielleicht in einer Ausschreibung weniger Häkchen setzen; die vorhandene Funktionalität ist aber häufig mit deutlich weniger Aufwand nutzbar, als bei den durch Akquisitionen entstandenen ECM-Suiten. Dadurch verstärkt sich aber das Problem, dass es von den großen Anbietern derzeit eigentlich keine attraktiven Komplettlösungen für kleine und mittelständische Anwender gibt, weil in der Kostenbetrachtung in den allermeisten Fällen nicht die Anschaffungskosten für Lizenzen, sondern die Kosten für Integration, Betrieb, Erweiterung sowie Wartung und Support den Löwenanteil der Gesamtprojektkosten ausmachen.
Kaum unternehmensweite Ansätze
Auch wenn kein Anbieter von sich behaupten kann, den gesamten technisch-funktionalen (und preislichen) Bereich oder das gesamte Spektrum der branchenspezifischen/fachlichen Anforderungen des ECM gleich gut und aus eigener Hand abzudecken, so ermöglichen die heute angebotenen Systeme doch unternehmensweite Lösungen. Diese technischen Möglichkeiten für ein ganzheitliches Content Management werden von Anwenderunternehmen aber nicht konsequent genutzt: suboptimale Abteilungslösungen (z.B. Rechnungseingangsbearbeitung, Antragsbearbeitung, E-Mail-Archivierung, Drucklistenarchivierung) auf Basis unterschiedlicher Systeme prägen das Bild.
Die IT-Kosten sind aber nur eine Dimension des Problems. Viel gravierender ist, dass durch die Verteilung der Inhalte und Funktionen auf verschiedene Systeme die gesamte Unternehmenseffizienz leiden kann. Nur mit abgestimmten, integrierten Infrastrukturen können Prozesse rund laufen, können Unternehmensziele erreicht werden. Erst durch Analyse der Geschäftsprozesse wird deutlich, welche Potentiale in den Unternehmen schlummern und verschenkt werden. Dann werden die Abhängigkeit der Unternehmensprozesse von betrieblichen Inhalten, die Art und Weise wie die Inhalte verwaltet werden und die Kosten dafür erst transparent.
Leitlinien
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ECM-Strategie zur Reduzierung der Komplexität
Um zu einer dem Unternehmen entsprechenden ECM-Lösung zu kommen, ist die Entwicklung einer ECM-Strategie notwendig, die sich an den Unternehmenszielen orientieren muss. Eine reine IT-Sicht führt nicht unbedingt zu einer optimalen Lösung, wenn nur Vereinheitlichungsgesichtspunkte eine Rolle spielen und die gesamt-betriebliche Sicht außer Acht gelassen wird.
Daher ist als erstes zu klären, welche Unternehmensziele durch effektives ECM unterstützt werden können. Das sind i.d.R. Ziele, die die Effizienz der Prozesse (z.B. durch Verkürzung der Durchlaufzeiten durch papierlose Vorgangsbearbeitung), die Steigerung der Kundenzufriedenheit und des Absatzes (z.B. durch Internet-Angebote, d.h. Web Content Management und automatisierte Prozesse im Back-Office), der Verbesserung der Mitarbeitereffizienz (z.B. durch Mitarbeiterportale und Wissensmanagement) und die Verbesserung der Steuerung der Prozesse bzw. der Mitarbeiter (z.B. durch Einführung von Workflow- und Collaboration-Management) betreffen.
Dazu sind beispielhaft folgende Fragenkomplexe zu analysieren:
- Welcher Content wird benötigt und welche Content-Funktionen sind heute und zukünftig für die Geschäftsprozesse notwendig?
- Welche führenden Anwendungssysteme (ERP-Systeme, Mailsysteme etc.) erzeugen Content, der im ECM-System abgelegt und verarbeitet werden muss?
- Welche Zielsysteme (abfragende Systeme) benötigen Content aus dem ECM?
- Wie kann die Anzahl der Lösungen, Komponenten und Schnittstellen reduziert werden, die diese Funktionen abdecken?
- Wie kann das ECM einem Anwender den Content zur Verfügung stellen? Wie werden Content und Anwendungssystem integriert? Welche standardisierten Spezifikationen stehen für diese Integrationsschnittstellen zur Verfügung (JSR 168 und JSR 170), die die individuelle Schnittstellenentwicklung teilweise ablösen können?
- Kann die Vielzahl der Dokumentformate reduziert werden?
- Wie viele und welche Berechtigungssysteme sollen insgesamt integriert werden?
- Sind für unterschiedliche Länder unterschiedliche Systeme notwendig (wegen mangelnder internationaler Präsenz der Hersteller)?
- Sind für alle Organisationseinheiten (von klein bis sehr groß) Lösungen auf Basis weniger Plattformen möglich oder sind manche ECM-Plattformen „zu groß, zu komplex, zu teuer“ für manche Anforderungen?
ECM als Content-Infrastruktur
Daraus ergibt sich – unterlegt mit den Anforderungen aus der IT-Strategie hinsichtlich der technischen Plattformen, Architekturen, usw. – eine Enterprise Content Infrastruktur.
Abbildung 5: Enterprise Content Infrastruktur
Die Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen (das Verkaufsargument der ECM-Anbieter schlechthin) ist auch weiterhin ein wichtiger Gesichtspunkt, wenn es um die Verwaltung von Content geht, der handels-, steuer- oder zivilrechtlich relevant ist. Um Schaden vom Unternehmen abzuwenden, muss geprüft werden, ob die gesetzlichen oder betrieblichen Vorgaben mit dem ECM-System umgesetzt werden können. Mit der zunehmenden Sensibilisierung des Gesetzgebers für die Relevanz elektronischer Dokumente bleibt das Thema Konformität der Systeme mit den geltenden regulatorischen Anforderungen (nichts anderes bedeutet der Begriff „Compliance“) nach wie vor von Bedeutung.
Strukturierte Vorgehensweise
Eine richtige ECM-Strategie kann das Unternehmen voranbringen. Der Erfolg der Strategie ist maßgeblich davon abhängig, dass die richtigen Personen im Projekt integriert sind und ein strukturiertes, transparentes Vorgehen eingehalten wird. Eine typische Vorgehensweise und unterstützende Werkzeuge sind in der nachfolgenden Abbildung dargestellt:
Abbildung 6: Vorgehensweise ECM-Strategie
Werkzeuge helfen bei der Umsetzung der einzelnen Phasen. Sie unterstützen eine systematische Vorgehensweise, verkürzen die Projektlaufzeit und stellen Vollständigkeit sicher.
Fazit
Der Markt stellt eine Vielzahl von ECM-Lösungen zur Verfügung, die alle Arten von Content-Anforderungen abdecken können. Leider gibt es aber bisher keine Produkte, die alle Anforderungen aus einem einzigen homogenen Guss abdecken. Dies gilt auch für die großen internationalen Hersteller, die ihr Produktportfolio in der Vergangenheit massiv – und zum Teil sogar redundant – erweitert haben. Hier stehen Ausdünnungen der Produktlinien an, die nur durch die recht üppigen Umsätze für Wartung und Support der „Legacy-ECM-Systeme“ in die Länge gezogen, aber sicherlich nicht dauerhaft verhindert werden können.
Die Anwender auf der anderen Seite müssen dringend die kaum noch wartbare Vielfalt ihrer historisch gewachsenen Content-Biotope reduzieren. Daher gehen viele dazu über und entwickeln einen an den Unternehmenszielen orientierten ECM-Masterplan, der sowohl die Komplexität durch Reduzierung der Komponentenvielfalt zurückschrauben soll, gleichzeitig aber die unterschiedlichen Anforderungen der Organisationseinheiten (von klein bis groß), Tochtergesellschaften und Betriebsmodelle (Thema: Eigenbetrieb zentral oder dezentral oder Sourcing) berücksichtigt.