DMS in Behörden und Kommunen
Überblick, aktuelle Trends & Herausforderungen
Die elektronische Aktenführung wird für Behörden und Kommunen immer bedeutender und ist für viele Städte, Landkreise, Landes- und Bundesbehörden bereits Realität. Der vorliegende Beitrag zeigt auf, worin aktuell die Herausforderungen bei der Beschaffung und Einführung liegen und welche Trends bei den Herstellern zu beobachten sind.
Begriffsverwirrung: Jeder meint etwas anderes
Die erste typische Herausforderung in DMS-Projekte besteht bereits darin, ein einheitliches Verständnis über die Möglichkeiten und damit den Zielen des DMS-Einsatzes zu erarbeiten.
Die einzelnen Fachbereiche gehen zumeist mit ihren fachlichen Herausforderungen an das Thema heran – und diese können durchaus weit auseinanderliegen. Zu berücksichtigen ist bei der Produktwahl, dass die verschiedenen Dokumenten-Funktionen in den unterschiedlichen Systemlösungen tatsächlich unterschiedlich gut bedient werden.
Dabei können bereits die Grundanforderungen an die DMS-Lösung so weit auseinanderliegen, dass, je nach Profil, völlig unterschiedliche Systemlösungen als passend und andere wiederum als unpassend bewertet werden müssen.
Im ersten Schritt der Beschaffung ist daher zunächst zu analysieren, zu welchen Zwecken die Lösung eingesetzt werden soll und welches Funktionsprofil benötigt wird:
- Soll die Systemlösung eher archivische Zwecke erfüllen und sich funktional auf die gesicherte Aufbewahrung und zeitgerechte Vernichtung von Unterlagen beschränken oder vielleicht den hausinternen Dokumentenerstellungsprozess aktiv unterstützen, z.B. mit standardisierten Freizeichnungsprozessen?
- Soll sie vielleicht als elektronischer Posteingangskorb dienen und alle eingehenden, dokumentgetriebenen Verwaltungsprozesse elektronisch unterstützen oder gar steuern, am besten tief integriert in die verschiedenen Verwaltungsfachanwendungen und mit einer funktionalen elektronischen Aktenanwendung ausgestattet?
- Soll der Zugriff über einzelne Fachverfahren unmittelbar auf die elektronische Akte ermöglicht werden?
- Welche Dokumentenquellen sind zu berücksichtigen: Papier-Posteingang, Mail-Eingang, eigen erstellte Office-Dateien, Massendrucksachen?
Häufig sind es tatsächlich mehrere der aufgeführten Grundanforderungen, die das DMS auf Dauer erfüllen können soll: Es ist somit zunächst wichtig, in einer groben Meilensteinplanung die strategische Positionierung des DMS festzulegen und die Schritte, die zur Strategieerfüllung gegangen werden sollen zu vereinbaren.
Archivierungsbegriff mit ganz unterschiedlichen Ausprägungen
Dabei bietet bereits der Begriff „Archivierung“ erstaunlich viele Blickwinkel, gerade in öffentlichen Verwaltungen: Dort besitzt er den zusätzlichen kulturhistorischen Aspekt, dass Behörden und Kommunen vor der Vernichtung veralteter Unterlagen diese dem jeweiligen Landes- oder Bundesarchiv zur dauerhaften Archivierung andienen müssen – es könnte ja ein historisch begründetes Interesse daran geben; erst nach Ablehnung durch diese Archivstellen darf eine Vernichtung der Unterlagen erfolgen. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass diese Andienungspflicht auch für elektronische Unterlagen gilt, die in einem elektronischen Dokumenten Management System aufbewahrt werden.
Hieraus erwachsen funktionale Anforderungen, insbesondere Datenexportanforderungen, an DMS-Lösungen, die lediglich in dieser Branche „öffentliche Verwaltung“ vorzufinden sind. Die Branchenausrichtung des DMS-Herstellers stellt bei der Beschaffung durchaus ein bedeutsames Auswahlkriterium dar.
Archivierung ist (lediglich) eine Teilfunktion des DMS
Die elektronische Archivierung im Verständnis der unveränderbaren, dauerhaften Aufbewahrung stellt auch heute noch eine wesentliche Teilfunktion eines DMS dar, allerdings gibt es zahlreiche weitere Anwendungsfunktionen, die in modernen DMS-Lösungen anzutreffen und für viele Kunden von ständig wachsender Bedeutung sind.
Zu diesen Funktionen gehören z.B. die elektronische Aktenführung mit Aktenplan und Aktenmodellierung, die Möglichkeit, den Dokumentenlebenszyklus zu verfolgen bzw. zu gestalten sowie die zahlreichen Integrationsfunktionen für die Ablage und den Zugriff aus verschiedenen Anwendungen, vor allem aber aus der Desktop- und Office-Umgebung.
Abbildung: Abgrenzung ECM, DMS, Archivierung, Aktenverwaltung, Postkorb
Nicht zuletzt seien offene Programmier-Schnittstellen und Standard-Funktionsschnittstellen zur Integration in verschiedene Fachanwendungen genannt, die bei der Auswahl einer DMS-Lösung immer stärker an Bedeutung gewinnen.
Häufig unterschätzt: Die Komplexität der digitalen Akte
Gerade die Aktenfunktionalität ist geeignet, exemplarisch aufzuzeigen, wie schnell einfach erscheinende Fach-Anforderungen an Komplexität gewinnen und die Auswahl der richtigen Lösung erfolgskritisch werden lässt: Aus der scheinbar einfach umzusetzenden Anforderung, Unterlagen in Akten organisiert verwalten zu können, erwachsen schnell weiterführende Funktionsanforderungen, wie z.B. die Möglichkeit, die Akten gem. Aktenplan, z.B. nach KGSt, zu organisieren. Zudem sollen gleichartige Akten, z.B. Bauakten, nach gleichartigem Muster, dem einheitlichen Aktenmodell organisiert sein.
Abbildung: Häufig unterschätzt – die Komplexität der digitalen Akte
Eine Behörde kennt natürlich viele verschiedene Aktenarten, also soll die DMS-Lösung sicherlich ganz unterschiedliche Aktenmodelle verwalten können, die im Idealfall von den einzelnen Fachbereichen selbst gepflegt werden können. Änderungen des Aktenmodells, z.B. ein neues Aktenregister, sollen sich, je nach Aktenart, auf die bereits vorliegenden, mit Dokumenten versehenen Akten auswirken, nicht nur auf neue Akten. Möglicherweise sind die Unterlagen innerhalb einer einzelnen Akte mit differenzierenden Zugriffsrechten zu versehen, um Mitarbeitern weiterer Abteilungen Aktenzugriff zwecks Selbstauskunft zu ermöglichen, ohne hierbei Datenschutzanforderungen zu verletzen.
Herausforderungen für öffentliche DMS-Beschaffungen
Das öffentliche Vergabewesen stellt für die Beschaffung einer DMS-Lösung durchaus eine große Herausforderung dar. Viele Kommunen und Behörden verwenden hier nach einer Marktsichtung und mit guter Begründung geschlossene Verfahren oder gar ein Verhandlungsverfahren in der Erkenntnis, dass sie hierdurch wesentliche Vorteile in der Beschaffung erzielen und besser die wirtschaftlichste Lösung finden können. Bei der Beschaffung verlangt das Vergaberecht die Erfüllung hoher Transparenzanforderungen und vor allem die Festlegung aller Auswahlkriterien bereits vor dem Start der Ausschreibung. Erkenntnisse, die erst in der Sichtung konkreter Angebote entstehen, dürfen hier keinen wertenden Einfluss auf die Auswahl nehmen.
Die geschickte Gestaltung der Auswahlunterlagen und die Nutzung der richtigen Auswahlkriterien unter Anwendung eines standardisierten Auswahlkataloges helfen hierbei, die Auswahl so zu gestalten, dass die Wirtschaftlichkeit und damit auch die Leistungsfähigkeit der Lösung gesichert ist.
Gewarnt sei vor „schwarzen Schafen“, die sich darauf spezialisiert haben, unter fadenscheinigen Gründen die Rechtskonformität von EU-weiten Vergabeverfahren anzuzweifeln. Auf das kurz darauf zugehende „Beratungsangebot zur rechtskonformen Auswahlgestaltung“ sollte man nicht vorschnell eingehen.
Hinweis: Dieser Artikel erschien mit ähnlichem Wortlaut in Kommune21, Heft 2/2014