Dieser Artikel ist zuerst im postmaster magazin Nr.11/2016 erschienen.
Die manuelle Bearbeitung papierbasierter Eingangsrechnungen ist ein ineffizienter und aufwendiger Prozess: Er verursacht Medienbrüche zwischen den Papierbelegen und der elektronischen Weiterverarbeitung in der Finanzbuchhaltung, erfordert großen Personalaufwand und birgt bei fehlerhafter Ausführung teure Fehlerquellen. Kurzum, dieser Prozess der sogenannten Eingangsrechnungsverarbeitung (ERV) bietet ein hohes Optimierungspotential, lässt sich gut standardisieren und eignet sich daher gut für einen Einstieg in die Digitalisierung interner Prozesse.
Dies haben auch die Softwarehersteller erkannt und bieten seit über 20 Jahren ERV-Lösungen an. Hiermit stehen dann Funktionen wie beispielweise das elektronische Auslesen von Rechnungsdaten, ein elektronisches Rechnungseingangsbuch, eine Rechnungsprüfung, das Durchreichen von Daten in nachgelagerte ERP/FiBu-Anwendungen und die Ablage der Rechnungsdokumente in einem elektronischen Archiv zur Verfügung.
Wesentliche Argumente für die Anschaffung einer solchen Lösung sind beispielsweise:
- Schnellerer Durchlauf der Rechnung vom Eingang bis zur Zahlung
- Zeit- und Kostenersparnis durch bessere Einhaltung von Zahlungszielen, Steigerung von Skontoerlösen
- Gleichzeitige Bearbeitungsmöglichkeiten durch alle am Prüfprozess Beteiligten statt sequentieller Abarbeitung
- Transparenz für Buchhaltung und Management über alle Eingangsrechnungen
- Steigerung der Genauigkeit Ihrer Liquiditätsplanung
- Standardisierte Abläufe für Prüfung und Freigabe von Rechnungen
- geringere Fehlerquote, leichtere Erfüllung der Audit-Pflichten aufgrund lückenloser Dokumentation der Vorgänge durch die Software
Bis vor gut einem Jahrzehnt haben sich vor allem Großunternehmen mit hohem Rechnungsaufkommen, wie zum Beispiel Handelsunternehmen, eine ERV-Lösung ins Haus geholt und dafür in der Regel größere 6-stellige Eurobeträge gezahlt. Doch inzwischen sind die Lösungen auch für kleinere und mittlere Unternehmen sowie öffentliche Einrichtungen mit vielleicht nur einigen Hundert Rechnungen pro Monat erschwinglich geworden. So hat sich mittlerweile ein sehr vielfältiger Markt entwickelt.
Verwirrende Begriffs- und Angebotsvielfalt
Diese Vielfalt kann aber auch hinderlich sein, weil sich der Anwender mit einer Fülle neuer Themen auseinandersetzen muss, um dann in einem sehr dicht besetzten Wettbewerb die für ihn geeignete Lösung zu finden. Die Anbieter kommen aus unterschiedlichen Bereichen: DMS-Hersteller, Integratoren, ERP-Anbieter, Capture- und andere ECM-Komponentenhersteller bieten solche Lösungen an. Zur weiteren Verwirrung werden in Publikationen unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet, wie beispielsweise Rechnungseingangsbearbeitung (REB), Accounts Payable (AP), Kreditorenworkflow, (Vendor) Invoice Management, Purchase-to-Pay usw. Diese Lösungen unterschieden sich voneinander bei den Basisfunktionen als auch in für den Betrieb wichtigen funktionalen Details sowie bei den Werkzeugen zum Einrichten und Pflegen der Software.
Wachsende Bedeutung elektronischer Rechnungen
Der Gesetzgeber hat mittlerweile die Hürden für den elektronischen Austausch von Rechnungen deutlich verringert. So wurde durch das Steuervereinfachungsgesetz von 2011 die Pflicht zur Verwendung qualifizierter elektronischer Signaturen (QES) für den Vorsteuerabzug aufgehoben. Seitdem können Unternehmen Rechnungen als normale E-Mail ohne Signaturen versenden. Der Empfänger muss die originale E-Mail elektronisch und ordnungsgemäß (GoBD-konform) aufbewahren: Ein Ablegen im einfachen File-System oder Ausdrucken und papierhafte Aufbewahrung ist nicht mehr zulässig!
Das ZUGFeRD-Konzept
Kommt die Rechnung per E-Mail beim Empfänger an, besteht genauso wie bei Papierrechnungen die Herausforderung, die Rechnungsinhalte in strukturierte Informationen zu überführen. Genau dieser Aufgabe hat sich das Forum elektronische Rechnung Deutschland gestellt und den „Zentraler User Guide des Forums elektronische Rechnung Deutschland“ (ZUGFeRD) herausgebracht. Das ZUGFeRD-Konzept basiert darauf, dass die Rechnung zum einen in Form einer visuellen Darstellung in einem PDF-Dokument übermittelt wird und diese Datei gleichzeitig auch strukturierte Daten (im XML-Format) mit Attributen und Rechnungsinformationen beinhaltet. Bei Anwendung dieses Standards ist es nun auch kleineren und mittleren Unternehmen einfacher möglich, den ERV-Prozess komplett papierlos zu gestalten. Die ERV-Lösungen werden dadurch aber nicht überflüssig, da der Prozess zur Prüfung und Freigabe der ZUGFeRD-Rechnungen mit dem Verarbeitungsprozess der Papierrechnungen NACH der Erkennung der Rechnungsinhalte identisch ist.
Die Trends wie Cloud, SaaS und B2B-Netzwerke, Dashboards
Seit wenigen Jahren werden ERV-Lösungen nicht mehr nur für den Inhouse-Betrieb („on-premise“), sondern auch als Software-as-a-Service (SaaS) und „aus der Cloud“ angeboten. Die Vorbehalte vieler deutscher Anwender gerade beim Thema Cloud schwinden allmählich, gibt es doch handfeste Vorteile: Standardisierte Leistungen können schneller eingeführt und günstiger offeriert werden, und statt der hohen Anfangsinvestitionen zahlt man nur die nutzungsabhängigen Kosten für den tatsächlichen Ressourcenverbrauch; in der Regel in Form eines Preises pro verarbeiteter Rechnung. Zudem lassen sich die Cloud-Services den ändernden Anforderungen an die Verarbeitungsmenge einfacher anpassen. Dies ist gerade am Monats- und Jahresende, wenn besonders viele Rechnungen zu verarbeiten sind, relevant.
Die großen Anbieter verbinden inzwischen ihre Kunden und deren Geschäftspartner in B2B-Netzwerken untereinander und können so den Austausch von Rechnungen, Bestell- und Lieferantendaten beschleunigen sowie die Datenqualität durch einen zentralen Stammdatenbestand erhöhen.
Aussagekräftigen Visualisierungen von ausbereiteten Analysedaten wie Finanz- und Leistungskennzahlen mittels farbiger Dashboards sind Beispiele für die im Vergleich zu früher sehr viel intuitiver nutzbaren Oberflächen.
Ein Zusammenspiel verschiedener Komponenten
Bei der ERV spielen mehrere Komponenten zusammen, die oftmals von verschiedenen Herstellern stammen. In der nachfolgenden Abbildung sind die typischen Prozessschritte dargestellt und den zwei großen Funktionsblöcken Rechnungslesung und Rechnungsverarbeitung zugeordnet. Beide Funktionsblöcke kommen in der Praxis zum Einsatz und werden häufig auch getrennt angeboten und beschafft. Daher kann es sinnvoll sein, dass der Rechnungsleser des Anbieters A mit der Rechnungsverarbeitung des Anbieters B kombiniert verwendet wird. Für kleinere Anwender ist es aber praktisch, beide Komponenten aus einer Hand zu beschaffen (auch wenn sie von unterschiedlichen Herstellern stammen), um die Projektarbeit nur mit einem Ansprechpartner koordinieren zu müssen.
Der Funktionsblock „Rechnungslesung“
Hier findet die Erfassung von Rechnungen und deren Bereitstellung als elektronisches Abbild inkl. der darin enthaltenen Rechnungsdaten wie folgt statt:
- Beim „Digitalisieren / Scannen“ können oftmals bereits vorhandene Scanfunktionen genutzt werden, z.B. eine Scanner-Software, die mti einer ERV- oder einer DMS-Lösung gelieferten Scanfunktionen oder auch vorhandene Multifunktionsgeräte (MFP).
- Im Prozessschritt „Importieren und Konvertieren“ können Rechnungen aus elektronischen Empfangskanälen in die Verarbeitung integriert werden Hierzu werden typischerweise Werkzeuge für die Übernahme von Rechnungen aus E-Mails, von elektronischen Dokumenten eines externen Scan-Dienstleisters, oder elektronisch übermittelten Rechnungsdaten (z.B. EDIFACT, ZUGFeRD) benötigt.
- Im Schritt „Auslesen“ werden mittels optischer/intelligenter Zeichenerkennung (OCR/ICR) aus den Bildinformationen die Ziffer- und Zeichendaten gewonnen. Typischerweise ist diese Funktion als OEM-Produkt in die ERV-Lösung eingebunden. Die Lesequalität variiert hier stark je nach eingesetztem OCR/ICR-Produkt, Komplexität der Rechnung und weiterer Parameter. Gibt es viele unterschiedliche, ständig wechselnde Lieferanten oder komplexe Rechnungslayouts, lässt sich i.d.R. keine guten Erkennungsraten beim Auslesen erreichen. Achtung: Einzelne Lösungen verlangen von den Anwendern den Ausdruck und das erneute Einscannen einer per E-Mail erhaltenen PDF-Rechnung, weil die Erkennungslösung nur Rasterformate erkennt und noch nicht auf zeichenkodierte PDFs aufgerüstet ist. Das ist nicht nur skurril, es ist auch nicht GoBD konform.
- Der Prozessschritt „Interpretation“ stellt die Kernfunktionalität des Rechnungslesers dar: die Extraktion der fachlich qualifizierten Rechnungsdaten aus den ausgelesenen Ziffern und Zeichen. In dieser Komponente steckt die „Erkennungslogik“, anhand derer z.B. Beträge als Nettobetrag, Mehrwertsteuer etc. bestimmt werden. Zur Minimierung der Fehlerrate wird häufig auf vorhandene Stammdaten zurückgegriffen. Ein Beispiel hierfür ist die Kreditorenerkennung, bei der die Daten, die einen Rechnungssteller identifizieren, wie Name, Anschrift, Bankverbindungen, USt-ID etc. mit den vorhandenen Kreditorenstammdaten verglichen werden. Hierbei hat eine schlechte Stammdatenqualität in der Vergangenheit schon oft zu großem Verdruss im Einführungsprojekt geführt.
Bei der „Prüfung und Korrektur“ der erkannten Daten werden diejenigen Felder, die nicht bzw. nicht ausreichend sicher erkannt wurden, dem Anwender zur manuellen Nachbearbeitung angezeigt. Dieser sogenannte Validierungsclient muss eine schnelle Abarbeitung der Rechnungen ermöglichen. Hier unterscheiden sich die Produkte insbesondere erheblich in ihrer Ergonomie für den Anwender. Trotz aller Maßnahmen zur systemgestützten Fehlerreduzierung: es gibt keine 100%ige Erfassungsgenauigkeit, man muss von Anfang an entsprechende manuelle Fehlerkorrekturmaßnahmen im Prozess einplanen.
Der Funktionsblock „Rechnungsverarbeitung“
Aus den ausgelesenen Rechnungsinformationen werden nun elektronische Vorgänge generiert, die in mehreren automatisierten Arbeitsschritten („Rechnungs-Workflow“) nach einem definierten Regelwerk geprüft, freigegeben und für die Buchung im ERP/FiBu-System vorbereitet werden. In der Praxis kommen zwei Ausprägungen vor:
- Rechnungsprüfungsprozess innerhalb der ERP/FiBu-Umgebung.
So stellt bspw. die SAP ERP – Umgebung bereits im Basissystem alle wesentlichen Workflow-Funktionen zur Verfügung und unterstützt eine solche Variante. Anbieter von SAP-basierten ERV-Lösungen stellen häufig „ihren“ vorkonfigurierten Rechnungsprüfungsprozess in Form eines auslieferbaren SAP-Transports als eine Template-Lösung zur Verfügung, auf der die Anwender aufsetzen können. - Rechnungsprüfungsprozess außerhalb der ERP/FiBu-Umgebung:
Hierbei nutzen die Anwender eine von der ERP-Umgebung abweichende Oberfläche für die Teilnahme am Rechnungsprüfungsprozess. Oftmals kommen hier Komponenten eines DMS oder auch Eigenentwicklungen der ERV-Anbieter zum Einsatz. Erst ganz am Ende des Prüfungsprozesses werden die Rechnungsdaten dann in die Buchhaltungsanwendung übertragen.
„Ich dachte, das ist Standard“
Die Berater im ERV-Markt hören wiederkehrend folgende Kundenaussage: “Wir sind doch nicht die Ersten, die Rechnungen verarbeiten, wir machen doch nichts Anderes als alle Anderen“. Hieran ist meistens die Erwartungshaltung gekoppelt, dass es eine ERV-Lösung gibt, die nur installiert wird und dann out-of-the-box produktiv genutzt werden kann. Die Praxis zeigt jedoch, dass es nicht DIE eine Art der Rechnungsverarbeitung gibt, die für alle Unternehmen gleich funktioniert. Die angebotenen Produkte unterscheiden sich daher je nach bspw. Branchenfocus trotz scheinbar ähnlicher Funktionalität in wesentlichen Details. Daher lohnt es sich auf jeden Fall, mit vom Anbieter vorgeschlagenen Referenzkunden aus der gleichen Branche über deren Praxiserfahrungen mit der ERV-Lösung zu sprechen.
Viele weitere Detailanforderungen zu berücksichtigen
Typischerweise werden in Auswahlprojekten potentiell geeignete Hersteller aufgrund architektonischer, funktionaler und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen betrachtet. Es gibt jedoch weitere Themen, die praktisch nur im konkreten Auswahlprojekt bewertet werden, wie beispielsweise:
- Ist die Oberfläche für alle Zielgruppen akzeptabel (Ergonomie)?
- Wie viel Aufwand benötigt es, eine neue Rechnungsart zu definieren und zu trainieren oder den Prüfablauf fachlich anzupassen?
- Sind selbstlernende Funktionen ein Segen oder Fluch, weil die Klassifizierung und Extraktion aufgrund „falsch gelernter“ Merkmale öfter korrigiert werden muss?
- Kann das System für unterschiedliche Töchter, Mandanten oder für eine zentrale oder verteilte internationale Nutzung ausgebaut werden?
Übersicht bekannter ERV Anbieter am deutschsprachigen Markt
Um die Auswahl eines geeigneten ERV-Systems zu vereinfachen, haben wir eine alphabetisch sortierte Übersicht bekannter ERV-Anbieter am deutschsprachigen Markt zusammengestellt. Diese Tabelle erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit.
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