Der folgende Artikel ist zuerst erschienen in der BIT 1-2017 zum Thema „Arbeitsplatz im Wandel“
BIT: Zukunftsorientierte Arbeitsplatzkonzepte rücken in den Fokus vieler Unternehmen. Der moderne Arbeitsplatz bringt zugleich Herausforderungen und Umwälzungen mit sich. Wie sehen Sie diese Entwicklung im Rahmen der Digitalisierung, vor allem im Hinblick auf neue Technologien?
B. Zöller: Technologien zur Digitalisierung der Verfahren haben erhebliche Auswirkungen sowohl auf die Kommunikation nach außen als auch auf interne Prozesse.
Beispiel: die neue EIDAS-VO (Verordnung zur Elektronischen Identifikation und Authentifizierung). Die „Generation Smartphone“, die ein „Telefon“ für alles Mögliche außer Telefonieren einsetzt, wird zu demjenigen Dienstleister gehen, der die Kommunikation komplett Smartphone-basiert abwickelt, inklusive rechtsgültiger Unterschrift. Mit der EIDAS-VO, den UMTS- und LTE-Netzen und Flatrate-Tarifen sind hierfür die Weichen gestellt. Viele Unternehmen untersuchen die neuen Möglichkeiten (oder die Abwanderungsrisiken der Kundschaft, denen man noch alte analoge Verfahren zumutet) sehr genau.
Auch für interne Abläufe lösen die neuen Technologien irreversible Änderungen aus. Partielle Home-Office-Konzepte statt der bisherigen Standortbindung, das Zuordnen von Know-how-Trägern zu Projekten aufgrund von Fachwissen und nicht mehr aufgrund des Wohnortes, die komplette Offline-Nutzung von Akten und Unterlagen auf Notebooks oder Tablets sind nur wenige Beispiele.
Viele unserer Kunden starten ECM-Projekte daher nicht mehr nur wegen den (auch zukünftig wichtigen) Themen Archivierung und Dokumenten Management, sondern weil die Notwendigkeit besteht, alte Prozesse grundsätzlich in Frage zu stellen. Komplette Branchen stehen in ihren jahrzehntealten Prozessmustern für Marktansprache und Abwicklung zur Disposition.
Aber mit den neuen Technologien kommen natürlich auch Diskussionen: Datenschutz und Sicherheit bremsen allzu häufig: Wo soll man die Grenze ziehen? Manche Mitarbeiter mit geringer IT-Affinität sind heute schon teilweise überfordert, wie kommen die mit den neuen Werkzeugen klar? Digitalisierung ist daher nicht nur eine Aufgabe zu Auswahl und Beschaffung geeigneter Technologien, sondern muss durch Qualifizierungsmaßnahmen begleitet werden.
BIT: Erhöhung der Mitarbeiterproduktivität, Freisetzung von Potenzialen durch Automatisierung, Einsparung von Kosten, Steigerung der Attraktivität für technologieaffine Young Professionals – Welche Vorteile versprechen sich Unternehmen, Ihrer Ansicht nach, in erster Linie von einer Workplace-Modernisierung?
B. Zöller: Betriebswirtschaftliche Nutzenkriterien sind nach unserer Wahrnehmung fast immer nur ein Teilaspekt. Die Ortsabhängigkeit der Büroarbeitsplätze war bisher fast immer begründet durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bereich in der Organisation. Was aber, wenn man Fachwissen bereichsübergreifend und situativ zur Verfügung stellen möchte? Wenn ein Mitarbeiter sowohl einen wertvollen Beitrag zum Thema A leisten kann, aber zum Bereich B gehört? Was, wenn Zeitzonenunterschiede und Reisekosten eine gleichzeitige physische Anwesenheit nicht ermöglichen? Mit den neuen Technologien sind sowohl synchrone als auch asynchrone Teamarbeitsfunktionen möglich, die komplett neue Team- und Projektstrukturen erlauben, die bisher so gar nicht möglich waren; auch dann nicht, wenn es keine Kostenrestriktionen geben würde. Ob die technische Antwort auf solche Anforderungen Collaboration-Funktionen sind wie Wikis, Blogs oder virtuelle Teamräume oder einfach nur eine gemeinsam nutzbare elektronische Akte sei erstmal dahingestellt.
Daneben ist eine häufige Triebfeder, dass sich manche Unternehmen schon lange nicht mehr auf „digitaler Augenhöhe“ mit ihren Kunden befinden und befürchten, dass ihnen Neueinsteiger die IT-affinen Kunden abspenstig machen. Paradebeispiele sind die FinTechs die den alteingesessenen Banken das Leben schwer machen oder Online-Druckereien wie Flyeralarm oder Vistaprint, die den Markt der Offsetdruckereien in wenigen Jahren komplett auf den Kopf gestellt haben. Die junge Generation, die das normale Fernsehen „wie kaputtes YouTube“ empfindet, hat kaum eine Bindung zu alteingesessenen Anbietern mit Uralt-Systemen: Sie werden dahin gehen, wo ihre Bedürfnisse mit zeitgemäßen Werkzeugen und akzeptablen Konditionen befriedigt werden.
BIT: Smartphones und Tablets werden immer leistungsfähiger und ergänzen bereits heute den stationären Arbeitsplatz in vielen Bereichen. Ganze IT-Arbeitsplätze werden zudem in die Cloud verlegt, um den Arbeitsplatz der Zukunft örtlich und zeitlich flexibel zu machen. Denken Sie, dass im Zuge des digitalen Wandels das ortsgebundene Büro künftig überflüssig wird?
B. Zöller: Das ist ja eher ein schleichender Trend, den man schon seit Jahren beobachten kann; aber komplett überflüssig? Das glaube ich nicht. Wo es die Arbeitsinhalte und die Infrastruktur-Rahmenbedingungen (Leitungen) erlauben, wird sicherlich zunehmend die Handlungsoption geschaffen, standortunabhängig zu arbeiten. Das kann Zuhause, direkt beim Kunden/Partner oder an anderen Standorten des Unternehmens sein. Man sollte aber nicht vergessen, dass das Büro auch ein Ort der spontanen und situativen Kommunikation mit Kollegen ist und Know-how transferiert dann manchmal einfacher und spontaner als in geplanten Telkos oder Video-Sessions. Ich denke, wir werden sehen, dass neuen Formen der Büroarbeit eine unverzichtbare Ergänzung werden, deren Arbeitszeitanteil je nach Arbeitsinhalt unterschiedlich groß sein wird.
BIT: Wenn man von zukunftsweisenden Workplace-Strategien liest, fällt auch vermehrt der Ausdruck „Revolution der Arbeitswelt“. Inwieweit kann/muss man hier von einer „Revolution“ sprechen, und wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Work-Life-Balance?
B. Zöller: Kommt auf die Perspektive der Betroffenen an. Für manche ist der Verzicht auf handschriftliche Paraphierungen auf Papier ein Kulturschock. Für jüngere Mitarbeiter ist es dagegen unverständlich, wieso man E-Mails ausdrucken und zu den Akten ablegen soll. Wer mit WhatsApp und DropBox in der Schule oder Studium Arbeitsgruppen organisiert und Klausuren im Team vorbereitet hat, wird einen Kulturschock erleben, wenn er in der Büroarbeitswelt ankommt und sieht, was ihm an Werkzeugen zugemutet wird.
Es gibt auch hier keine Lösung ohne Kompromisse: Wir müssen diejenigen mitnehmen, die aus falschen Gründen Angst vor neuen Technologien haben, sollten aber auch alte Zöpfe abschneiden, wenn sie für das Unternehmen schädlich sind. Gleichzeitig hat man das Problem, dass die neuen Arbeitsformen wie beispielsweise Home-Office-Konzepte den Mitarbeitern ein höheres Maß an Selbstdisziplinierung erfordern: Die Schere reicht von der vermeintlichen Verpflichtung immer online sein zu müssen und andererseits der Verlockung, jetzt doch mal auf die Kinder aufzupassen oder den Rasen zu mähen.
Nicht alle Tätigkeiten lassen sich in ihrer Produktivität messen (wie „Umsatz“ im Vertrieb, „Anzahl“ vergleichbarer bearbeiteter Vorgänge bei Finanzdienstleistern usw.), sodass eine Mitarbeiterbeurteilung bei den weniger quantifizierbaren Tätigkeitsbeiträgen deutlich schwieriger ist, weil man den Mitarbeiter auch nicht mehr täglich agieren sieht.