Die Erfindung und Verbreitung von Smartphones haben die Welt verändert. Noch zu Beginn meines Berufslebens bedeutete eine Dienst- oder Urlaubsreise faktisch Unerreichbarkeit. Heute sind wir, privat und beruflich, zumindest gefühlt nahezu immer erreichbar, da meistens online. Und schleppte man früher noch kiloweise Papier auf Geschäftsreisen mit sich, kopierte man später große Datenvolumen auf sein Notebook, um unterwegs für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, verlässt man sich heute oft auf die Möglichkeit des Online-Zugriffs, um an alle erforderlichen Informationen zu gelangen.
Auch heute kann man sich dabei (noch?) nicht auf die stabile Verfügbarkeit eines Mobilfunknetzes oder den WLAN-Zugang verlassen. Ich möchte gar nicht an exotische Beispiele wie den Projektleiter im Anlagenbau in Entwicklungs- oder Schwellenländern denken. Schon die Arbeit während der Bahnfahrt ist manchmal eine Herausforderung – auch in der 1. Klasse. Klassiker sind ebenfalls Besprechungen in Betongebäuden und ohne WLAN-Zugang. Doch wer will schon einen Deal verlieren oder eine wichtige Verhandlung platzen lassen, weil wichtige Informationen nicht oder nicht schnell genug zur Verfügung stehen?
Also benötigt man doch Unterlagen offline. Nicht jeder und nicht immer, aber doch öfter als man zunächst vielleicht denken mag. Zumindest ist das unsere Wahrnehmung aus der Beratertätigkeit bei ganz verschiedenen Klienten unterschiedlichster Branchen. Neben Beratern, Projektleitern, Vertriebsmitarbeitern und Managern sind ebenso Monteure, Außendiensttechniker, Bauleiter, Steuerberater und Bürgermeister betroffen. Sicherlich fallen Ihnen weitere ein.
Nun mag man denken: Genau hierfür sollten Dokumenten Management Systeme (DMS) doch die geeigneten Funktionen bieten. Das ist doch bestimmt Standard? Nun ja, die Antwort lautet wie so oft: Jein.
Tatsächlich hat annähernd jedes (bessere) DMS Offline-Funktionen. Mir ist allerdings in über 20 Jahren DMS-Projektarbeit noch keines begegnet, welches wirklich alle oder auch nur die meisten Anforderungen abdecken kann. Manche Anbieter haben, aufgrund der verbesserten Online-Verfügbarkeit sowie der technischen Komplexität im Detail, im Laufe der vergangenen Jahre den Funktionsumfang ihrer Offline-Komponenten sogar reduziert. Also muss man sich Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten doch etwas genauer anschauen:
- Benötige ich „nur“ für den Notfall ausschließlich lesenden Zugriff? Falls ja, auf welche Dokumente und wie groß ist das zu synchronisierende sowie aktuell zu haltende Datenvolumen? Genügt mir eine einfache Navigation im Offline-Bestand oder benötige ich zwingend Attribut- und Volltextsuche (was in der Praxis selten verfügbar ist)?
- Reicht der Zugriff auf einzelne Dokumente aus oder benötige ich ebenso im Offline-Modus Akten- und Ordnerstrukturen für den Überblick über den Gesamtzusammenhang?
- Erfolgen Selektion und Synchronisierung benutzerfreundlich und Durchsatz-optimiert?
- Ist es erforderlich, offline Dokumente zu bearbeiten? Falls ja, können diese vorab online ausgecheckt werden oder entscheide ich mich manchmal auch spontan zur Bearbeitung? Wie sieht es dann bei gleichzeitiger Bearbeitung durch andere Benutzer aus, wie werden Synchronisierungskonflikte behandelt und aufgelöst? Falls Bearbeiten nicht unterstützt wird oder man Versionskonflikte vermeiden will: Kann man zumindest Dokumente mit DMS-Mitteln (und somit ohne Änderung des Objekts) kommentieren?
- Sollen ebenso neue Dokumente abgelegt werden? Funktionieren dann auch noch definierte Ablageregeln, Attribuierung mit Auswahllisten, Vergabe von Berechtigungen etc.?
- Soll womöglich sogar offline an Workflows teilgenommen werden? Beispiele: Freigabe von Rechnungen oder Beschaffungsanträgen im Flugzeug, Initiierung neuer Vorgänge mittels Ausfüllen eines DMS-Formulars (und ggf. Hinzufügen eines Fotos) durch den Servicetechniker mit seinem Tablet im abgeschirmten Keller.
- Kann ich Offline, mit dem gleichen aus dem Büro vertrauten DMS-Client arbeiten oder ist das eine andere Anwendungskomponente mit anderem Look & Feel? Vor allem bei den Systemen, die keinen Rich Client mehr kennen, stellt sich die Frage, wie sie in einem reinen HTML-Client Offline-Funktionen zur Verfügung stellen.
Neben Rich Clients unter Windows mit integrierter Offline-Funktionalität, dedizierten Offline-Clients oder ganz spartanisch dem Explorer-Einsatz nach Export ins Dateisystem, bieten native Apps der DMS-Anbieter für iOS- oder Android-Tablets ebenfalls vermehrt Offline-Funktionen. Aufgrund der komplett anderen Technologie und internen Archivtektur und manchmal auch aufgrund einer anderen Anwendungs-Philosophie bieten diese oftmals ganz andere Lösungen und Einsatzgebiete, während klassische Anforderungen (wie die simple Ablage einer Mail im Projektordner bei iPad-Einsatz) jedoch nicht umgesetzt werden (können).
Ein weiterer wichtiger Punkt: Woher kommt der Offline-Client? Direkt vom Hersteller oder von einem Partner, der hier eine Marktlücke entdeckt hat? Wenn Letzteres, wie ist die dauerhafte Release-Pflege sichergestellt?
Fazit: Ein Blick unter die Motorhaube lohnt sich auch beim Thema Offline-Funktionalität. Zuvor sollten die Anforderungen exakt formuliert und bewertet sein. Neben der Aufnahme der Endanwender-Anforderungen sollte auch die IT involviert werden und zum Beispiel Sicherheit, Verteilbarkeit, Ressourcenanforderungen und Administration der Lösung bewerten. Denn die mögliche Entscheidung für einen leistungsstarken Offline-Client, der in Wahrheit eine verkappte Serverinstallation mit Replikationsmodul auf dem Notebook darstellt, sollte doch zumindest bewusst und unter Kenntnis der Konsequenzen getroffen werden.