In den letzten Jahren hat sich in vielen DMS-Projekten ein Anforderungswandel vollzogen: weg von einer einfachen transaktionsbezogenen Dokumentenverwaltung, hin zu einer komplexen aktenbezogenen Contentverwaltung. Hierbei sind vielfältige fachliche und technische Herausforderungen zu meistern, die nicht nur die Produktauswahl betreffen, sondern auch das Vorgehen innerhalb des Umsetzungsprojekts. Der folgende Beitrag hebt typische Anforderungen moderner DMS-Anwendungen hervor und zeigt Möglichkeiten und Grenzen der am Markt verfügbaren Produkte auf.
Von der transaktionsbezogenen Dokumentenverwaltung zur aktenbezogenen Contentverwaltung
Unter transaktionsbezogener Dokumentenverwaltung verstehen wir DMS-Anwendungen, die darauf optimiert sind, Dokumente für gleichartige Prozesse (Transaktionen) zu verwalten. Klassische Anwendungen in diesem Bereich sind Querschnittsprozesse, die in nahezu allen Unternehmen vorzufinden sind wie Rechnungseingangsprüfung, Antragsbearbeitung, Reklamationsbearbeitung etc. sowie branchenbezogene Kernprozesse wie Schadensbearbeitung in Versicherungen, Kreditprüfung bei Banken usw. Ein wesentliches Merkmal dieser Prozesse und der zugehörigen Dokumentenablagen ist, dass je Vorgang eine relativ geringe Anzahl von Dokumenten zu verwalten ist und dass jeder Vorgang über eine eindeutige Transaktionskennung (Rechnungsnummer, Antragsnummer / Bestellnummer, Reklamationsnummer) einfach zu identifizieren ist.
In zahlreichen Kundenumgebungen sind transaktionsbezogene DMS-Anwendungen mit zusätzlichen Prozesssteuerungsfunktionen (Postkorb / Workflow) ausgestattet, in denen klare Verarbeitungsregeln und -sequenzen hinterlegt sind. Der Aufwand für die Einrichtung der Prozesssteuerungsfunktionen liegt umso geringer, je gleichartiger die Prozessvarianten (Rechnungsprüfungsabläufe, Bestellvarianten, Reklamationsgründe) sind. Die Amortisation tritt umso schneller ein, je mehr Prozesse im Zeitablauf aktiv gesteuert werden. Die Bearbeitung eines einzelnen Vorgangs erstreckt sich hierbei in der Regel über einen überschaubaren Zeitraum von wenigen Stunden, Tagen oder Wochen.
Einzelvorgang vs. elektronische Akte
Immer mehr Unternehmen erkennen jedoch einen Mehrwert darin, die einzelne Kunden-, Lieferanten- oder sonstige Partner betreffenden Vorgänge nicht nur als Einzelvorgang zu betrachten, sondern zusätzlich in übergeordneten Kontexten zugänglich zu machen, typischerweise in Kunden-, Lieferanten- bzw. Partnerakten sowie Projektakten. Die Ablagestrukturen in solchen Umgebungen sind in der Regel erheblich komplexer als die einfachen Ablagestrukturen in transaktionsbezogenen DMS-Anwendungen.
Auch ist zu beobachten, dass die Vielzahl der Dokumentenquellen sowie die benötigten Bearbeitungsfunktionen zunehmen: In transaktionsbezogenen DMS-Anwendungen sind in der überwiegenden Zahl der Projekte vornehmlich gescannte Papierdokumente und aus Massenverfahren stammende, zentral bereitgestellte elektronische Dokumente (z.B. Ausgangspost) zu verwalten. In diesen Prozessen besteht keine Notwendigkeit, Überarbeitungsfunktionen für Dokumente oder Dateiarchivierungsfunktionen anzubieten.
Vielzahl an Dokumentenquellen
In modernen, aktenbezogenen Contentverwaltungssystemen finden sich neben den gescannten und zentral bereitgestellten Unterlagen vermehrt Dokumente, die vom Anwender aus seiner Arbeitsumgebung „ad-hoc“ dem Vorgang hinzugefügt werden. Hierbei handelt es sich vornehmlich um E-Mails – mit und ohne Anhänge – und Dateien, die der Anwender aus seiner Laufwerksumgebung in das DMS überführt. Vermehrt finden sich auch Anforderungen, Dateien nicht erst nach Abschluss der Erstellung im DMS ablegen zu können, sondern überdies den Erstellungsprozess, die Inhaltsentwicklung (Versionierung) und ggf. auch Dokumentenfreigabeprozesse mit DMS-Mitteln zu unterstützen.
Insofern löst die aktenbezogene Contentverwaltung (einfach: Aktenverwaltung) die etablierte transaktionsbezogene Dokumentenverwaltung nicht ab, sondern stellt ein erweitertes Einsatzspektrum von ECM-Systemen dar. Für zahlreiche Unternehmen, die „klassische“ DMS-Verfahren bereits etabliert haben und umfangreiche Daten verwalten, besteht die Herausforderung, diese Daten innerhalb einer funktional reichhaltigeren Verwaltungsoberfläche nutzbar zu machen.
Der Trend, neben der rein transaktionsbezogenen Dokumentenverwaltung zusätzliche Aktenverwaltungsfunktionen anzubieten, ist bei den DMS-Herstellern angekommen – allerdings mit deutlichen Unterschieden in der Funktionsunterstützung innerhalb der einzelnen Produkte.
Typische fachliche Anforderungen an Aktenverwaltung
Im Bereich Aktenverwaltung benötigen Anwender weitergehende Funktionen im Vergleich zur transaktionsbezogenen Dokumentenverwaltung, müssen doch Dokumente und Vorgänge innerhalb von Akten bereitgestellt werden.
Die wesentliche Grundanforderung an elektronische Aktenverwaltung ist, dass das DMS überhaupt ein „Aktenobjekt“ kennt. Ein Aktenobjekt zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus, die allerdings nicht in jedem für die Aktenverwaltung angebotenen System vorzufinden sind:
- Das Aktenobjekt kann eigene Metadaten besitzen (z.B. Aktenname, Aktenstatus, Aktentyp).
- Das Aktenobjekt kann Unterordner / Ordnerstrukturen enthalten.
- Das Aktenobjekt kann (Unter-) Akten enthalten.
- Das Aktenobjekt kann Dokumente und sonstige Objekteinträge (z.B. Link-Einträge, Workflows, etc.) enthalten.
- Das Aktenobjekt kann mittels Aktenplan von Akte zu Akte einheitlich strukturiert sein (z.B. einheitliche Unterordnerstruktur).
- Das Aktenobjekt kann eigene Zugriffsrechte besitzen.
- Das Aktenobjekt kann eigene Löschregeln und Verweildauern besitzen.
Deutlich unterscheiden sich die einschlägigen Produktangebote der DMS-Hersteller bezüglich der im Produkt enthaltenen Aktenfunktionen. Inzwischen hat sich überdies ein (kleiner) Markt für dedizierte Aktenverwaltungsprodukte etabliert, um auch in solchen DMS-Umgebungen eine Aktenanwendung implementieren zu können, in denen keine DMS-eigenen oder nur unzureichende Aktenfunktionen vorliegen. Allerdings sind diese spezifischen Aktenverwaltungsprodukte nur mit ausgewählten DMS-Produkten integrierbar.
Die Renaissance des Aktenplans
Eine Kernanforderung an DMS-Produkte mit Aktenfunktionen bildet die Möglichkeit zur Hinterlegung sogenannter Aktenpläne: Einheitliche Aktenstrukturen sollen Anwender dabei unterstützen, eine gemeinsame Ordnung in Akten zu halten und auf diese Weise die Übersichtlichkeit der Akteninhalte zu wahren.
Längst nicht jedes DMS bietet eine grafische Bedienoberfläche zur Definition eines Aktenplans; hier ist häufig noch projektspezifische Programmierarbeit notwendig, um eine einheitliche Aktensicht zu gewährleisten. Programmierung ist in diesen Umgebungen überdies zumeist auch dann erforderlich, wenn Änderungen am Aktenplan vorgenommen werden müssen, beispielsweise weil neue gesetzliche Anforderungen eine Strukturergänzung in der elektronischen Akte begründen. Diese Änderungen sind in der Regel nicht nur auf neue Akten anzuwenden, sondern auch auf den Aktenbestand. Hilfreich sind solche Verwaltungsfunktionen, die es dem Anwendungsadministrator erlauben festzulegen, auf welche bestehenden oder künftigen Akten die geänderten Aktenplanstrukturen anzuwenden sind.
Dabei ist die Festlegung und Verwaltung von Aktenplänen eine Tätigkeit, die nur von speziell berechtigten Anwendern geleistet werden darf: Nicht jeder Anwender soll in der Lage sein, das Ablageschema bzw. die Struktur von Aktenplänen zu verändern. Die Pflegeberechtigung muss wiederum für jede DMS-Anwendung innerhalb eines Systems separat gewährt werden können – ein Anwender mit Pflegerecht für Projektaktenpläne soll beispielsweise in der Regel nicht berechtigt sein, den Aktenplan für Personalakten zu verändern.
Unterscheidungsmerkmal: Aktenfunktionen
Die Arbeit mit der Akte erfordert spezifische Anwendungsfunktionen, die dem Endanwender zur Verfügung zu stellen sind. So muss dieser in die Lage versetzt werden, auf einfachem Wege die notwendigen Dokumente in die Akte einzupflegen. Die Dokumente können hierbei aus anderen Anwendungen stammen, vor allem E-Mails und Office-Dokumente, sie können aber bereits im DMS abgelegt sein und sind vom Anwender (lediglich) noch der Akte zuzuordnen. Da der Zugriff auf Dokumente aus unterschiedlichen Sichten erforderlich sein kann, z.B. soll der Zugriff auf eine Baurechnung sowohl über die Bauakte als auch über die Lieferantenakte ermöglicht werden, besteht die Notwendigkeit, Dokumente mehrfach Akten und Ordnern zuordnen zu können, sowohl direkt (als unmittelbarer Dokumenten-Linkeintrag) als auch indirekt (als Linkeintrag zum Ordner, der das Dokument beinhaltet).
Die Vielzahl unterschiedlicher Dateiformate innerhalb einer einzigen elektronischen Akte erfordert in vielen Anwenderumgebungen den Einsatz besonders formatflexibler Dokumentenanzeigefunktionen, um möglichst alle Dokumententypen schnell in einem einzigen Anzeigefenster präsentieren zu können. Die Anzeige der einzelnen Dokumente in der jeweiligen Quellanwendung (Word für .doc, Excel für .xls etc.) ist zwar für gelegentliche Dokumentenzugriffe ausreichend, jedoch für solche Anwender eher hinderlich, die einen schnellen Überblick über alle Dokumenteninhalte benötigen und schnell in der Akte blättern müssen.
Um sich schnell innerhalb der Akte bewegen zu können, greifen Kernanwender gerne auf eine intuitive Tastaturbedienung zurück; mit den vertikalen Pfeiltasten soll beispielsweise in der Trefferliste auf und ab navigiert und mit Pfeiltaste rechts eine Ordnerebene tiefer bzw. mit Pfeiltaste links eine Ordnerebene zurück verzweigt werden, die Dokumentenanzeige ist dann über die Eingabetaste (Return) gewünscht.
Insbesondere browserbasierte DMS-Oberflächen weisen bezüglich der Navigationsunterstützung häufig noch Defizite gegenüber direkt unter Windows ablaufenden DMS-Anwendungen auf, auch wenn die Browser-Oberflächen zwischenzeitlich bei vielen Systemen deutlich an Ergonomie gewonnen haben.
Die hierarchische Aktensicht soll allerdings typischerweise nur einen von mehreren Zugängen zum Dokument bilden, da die hierarchische Navigation von der Akte zum Ordner und zu dessen Unterordner in solchen Fällen ineffizient ist, in denen ein punktgenauer Zugriff auf ein einzelnes Dokument, etwa über die Buchungsnummer, gewünscht ist. Neben dem hierarchischen Dokumentenzugang (klassische Aktensicht mit Ordnerhierarchie) wird daher häufig die gezielte Dokumentensuche benötigt.
Gesteigerte Suchanforderungen
Innerhalb der Dokumentensuche kann es wiederum hilfreich sein, nicht nur auf die Verwendung von Dokumentenattributen, sondern auch auf Aktenattribute zurückgreifen zu können. So wäre beispielsweise der Zugriff auf die Monatsabrechnung eines Lieferanten durch die Verwendung des Lieferantennamens (Aktenattribut) und des Rechnungsbezugsmonats (Dokumentenattribut) hilfreich.
Anwender von DMS-Systemen, die eine Dokumentensuche unter Verwendung von Aktenattributen nicht unterstützen, müssen stattdessen häufig Datenbank-Designkompromisse eingehen und Aktenattribute (in unserem Beispiel den Lieferantennamen) bei jedem Dokument redundant speichern. Dies erhöht den Verwaltungsaufwand, der bei Stammdatenänderungen notwendig wird, und zugleich den Indexdatenbestand, der mittels der DMS-Anwendung verwaltet werden muss.
Automatisierte Aktenanlage
In jeder Aktenanwendung ist festzulegen, welche Aktionen das Anlegen einer neuen Akte auslösen können, insbesondere ob Anwender Akten manuell anlegen und auch wieder auflösen können. Nicht wenige Aktenanwendungen beziehen ihre Akteninformationen aus führenden Fachanwendungen, deren Stammdaten beispielsweise täglich mit dem DMS abgeglichen werden: Befinden sich neue Stammdaten in der Lieferung, so wird eine neue Akte gemäß Aktenplan angelegt.
Ebenso stellt sich die Frage, wie eine Scannstelle möglichst effizient in den Erfassungsprozess eingebunden werden kann. Hierbei ergibt sich häufig die Erkenntnis, dass die Scannstelle mit der Aufgabenstellung einer vollständigen Indexierung und Aktenzuordnung der Dokumente fachlich überfordert ist. Ein Zusammenspiel zwischen Fachbereich und Scannstelle ist vonnöten, um jedes einzelne Dokument in der richtigen Akte am korrekten Ort abzulegen. Hier haben sich in verschiedenen Projekten Barcode unterstützte Verfahren etabliert, die es dem Anwender erlauben, Dokumente bereits vor dem Scannvorgang innerhalb der Akte zuzuordnen; im Anschluss an den Scannvorgang wird der so gebildete Warteposten mit dem gescannten Abbild vervollständigt.
Die Umsetzung von Löschregeln stellt sich in Aktenanwendungen komplexer dar als in einfachen Dokumentenablagen: In Aktenanwendungen sind immer mindestens zwei Elemente, die Akte und das darin enthaltene Dokument, zu betrachten, bevor eine Löschung ausgeführt werden darf. Zudem ist es nicht unüblich, dass ein Dokument aufgrund fachlicher Anforderungen in mehreren Akten abgelegt ist und entsprechend unterschiedlichen Aufbewahrungspflichten unterliegt, etwa aus buchhalterischer Sicht und aus Sicht der Produkthaftung / Gewährleistung. Die Verwaltungsmöglichkeit derart komplexer Aufbewahrungsregeln ist nach unserer Beobachtung jedoch eher selten in Aktenanwendungen vorzufinden, sondern eher in speziellen Records Management-Modulen oder sogar über projektindividuelle Erweiterungen implementiert.
Insgesamt ist zu beobachten, dass die Abstimmungsnotwendigkeiten zur Gestaltung aktenbasierter DMS-Lösungen erheblich höher liegen als die „einfacher“ transaktionsbezogener DMS-Lösungen. Um die richtige Lösung, die passenden Abläufe, die geeigneten Dokumenten- und Akten-Indexstrukturen sowie das benötigte Berechtigungskonzept festlegen zu können, ist viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl notwendig. Es geht ja vielfach nicht um eine 1:1-Umsetzung eines Status quo, sondern darum, eine zur bestehenden Papierablage kompatible DMS-Ablage aufzubauen, die allerdings einfacher und effizienter zu bedienen und zu pflegen ist als die herkömmliche Ablage.
Fazit
Immer mehr Kunden benötigen Aktenfunktionen, um die gesteigerten DMS-Verwaltungs- und Zugriffsanforderungen ihrer Anwender zu bedienen. Hierbei entstehen deutlich komplexere DMS-Anwendungen als in der Vergangenheit. Kunden sollten ihre Abläufe und ihre funktionalen Anforderungen frühzeitig festlegen, um das geeignete DMS-Produkt auswählen zu können.
Bei der Produktauswahl ist insbesondere auf Ergonomie und effiziente Bedienbarkeit der Anwendung zu achten: Komplizierte, langwierige Anwendungsfunktionen werden von Anwendern nicht genutzt und führen zu Unzufriedenheit über den gewählten Produktansatz.
Die Lösung verlangt zudem nach organisatorischen Festlegungen über das Zusammenspiel zwischen Fachbereich und Erfassungsstelle (Scannstelle), um die korrekte Ablage aller Dokumente zu gewährleisten. Zudem ist konzeptionelle Arbeit in die Zuordnung der benötigten Metadaten zu den Akten-, Register-, Vorgangs- und Dokumentobjekten festzulegen.
Gelingen diese Vorarbeiten, so eröffnen sich besonders leistungsfähige und ganzheitliche DMS-Lösungsansätze, die sowohl eine integrierte Sicht auf alle objektbezogenen Dokumente als auch eine transaktionsbasierte Sicht auf Einzelunterlagen gewährleisten. Dass dies möglich ist, zeigen die vielen in der Praxis etablierten Aktenanwendungen, die in immer mehr Unternehmen vorzufinden sind.