Das dezentrale Arbeiten – bis vor ein paar Jahren auf einzelne Berufsgruppen beschränkt – ist spätestens seit der Corona-Zeit in vielen Branchen, Unternehmen und Teams etabliert. Die Arbeitsweisen und Werkzeuge, die zum Teil gezwungenermaßen eingeführt werden mussten, haben neben einer Reihe von (offenen) Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung (z. B. Zugriff auf Inhalte aus Papierakten) auch etliche Vorteile und Nutzenpotenziale offengelegt.
Damit Abstimmungen und gemeinsame Arbeitstermine möglich bleiben, wurden in vielen Unternehmen Videokonferenzlösungen eingeführt. Microsoft Teams ist eine der Lösungen, der man mittlerweile häufig begegnet. Wurde das Tool zunächst nur als Ersatz für Präsenztermine mit Beamer genutzt, bei denen man sich gegenseitig sehen und Inhalte und Anwendungen präsentieren kann, haben Anwender entdeckt, dass Teams mehr kann als nur Videokonferenzen: Chats, Umfragen, redaktioneller Inhalt oder auch eine einfache Dokumentenverwaltung gehören beispielsweise dazu.
Hintergründe und Herausforderungen
Auf der einen Seite werden durch Werkzeuge wie MS Teams neue Möglichkeiten geschaffen, auf der anderen Seite aber auch neue, bereits altbekannte Probleme, wie die unkoordinierte Vielfalt der Ablagesysteme (Content-Biotope) verstärkt. Während auf der Arbeitsebene zum Teil bereits Fakten geschaffen wurden, die Teams „Dateiablage“ in Teams als weitere Alternative zum Filesystem oder sogar als DMS light zu nutzen, beginnen Unternehmen erst nach und nach Use-Cases, Anforderungen, Chancen und Risiken strukturierter zu bewerten. Dabei fehlen in vielen Unternehmen bisher die Leitplanken, wodurch nicht nur fachlich neue Herausforderungen entstehen (z. B. weil Abteilungen und Teams zum Teil unterschiedlich arbeiten oder sogar unterschiedliche Tools anwenden), sondern auch neue Risiken, z.B. bzgl. der Einhaltung interner und externer regulatorischer Vorgaben (z.B. IT-Security, Datenschutz, Compliance, …). Um auf der einen Seite neue Möglichkeiten nicht zu verhindern, auf der anderen Seite aber auch keinen Wildwuchs entstehen zu lassen, benötigen die Anwender einen klaren und sinnvollen Handlungsrahmen.
Neben typischen Collaboration-Funktionen wie Teamräume, Chats, Whiteboard, Teamkalender, Desktop-Sharing oder Echtzeit-Videokommunikation stehen in den Projekten schnell die Dokumentenbibliotheken im Fokus, nicht zuletzt, weil sie es in manchen Unternehmen ermöglichen, Dokumente einfach mit externen Dritten zu teilen. Was zunächst positiv und wie die Lösung eines bestehenden Problems klingt, birgt jedoch auch Herausforderungen. Die beginnen bereits beim Wording. So ist oft nicht klar, was genau gemeint ist, wenn über Teams gesprochen wird: Videokonferenzen und Chats? Dokumentenaustausch in internen oder externen Teams? Oder sogar eine alternative DMS-Lösung?
Noch undifferenzierter wird es, weil oft nur von M365 (Microsoft 365) gesprochen wird: Darunter verbergen sich neben Teams u. a. auch die lange bekannten Office-Editoren, wie z. B. Word, Excel, PowerPoint, zusätzlich die browserbasierten Varianten (wie z.B. Word Online) oder auch Outlook. Es sollte daher frühzeitig ein Konsens darüber erzielt werden, über welche Funktionen gesprochen wird – und über welche nicht.
Unkoordinierte Vielfalt verhindern
Noch wichtiger ist es zu verhindern, dass ohne Konzept ein weiteres Ablagesystem entsteht und das ohnehin oft massive Problem der Vielfalt an Content-Biotopen verschärft wird. Dabei ist nicht allein die Anzahl der Systeme, die auch gemanaged und betrieben werden müssen, das Problem, sondern auch zum Beispiel der Wildwuchs, das heißt der unterschiedliche Einsatz der Systeme von verschiedenen Mitarbeitern, Teams oder Abteilungen. Wenn jeder die Ablage gestaltet wie er will, und die Tools nutzt, die am einfachsten erscheinen, dann erwachsen schnell Unternehmensrisiken, weil es keine Kontrolle mehr über die Einhaltung regulatorischer Vorgaben gibt. In der Folge wird unter anderem das Schaffen oder Führen einer vollständigen, elektronischen Akte erschwert und auch die Nachvollziehbarkeit im Kontext der ordnungsgemäßen Ablage von Dokumenten wird schwierig: Wo zum Beispiel liegt zukünftig das Bearbeitungsprotokoll, wenn die erste Version eines Dokumentes in Teams erstellt wurde und das Dokument später ins DMS überführt wird? In welchen Systemen werden Freigabeworkflows durchgeführt und wie werden diese dokumentiert? Am Ende werden die Nutzeneffekte (wie beispielsweise die einfachere Zusammenarbeit mit Externen) wieder eliminiert, weil es sehr viele unterschiedliche Arbeitsweisen pro Mitarbeiter, Team oder Abteilung gibt und die vermeintlich eingesparten Aufwände an anderen Stellen neu entstehen.
Die Entscheidung, welches Dokument wo abgelegt wird, sollte also nicht allein in der Verantwortung der einzelnen Mitarbeiter stehen. Wichtig sind klare, beherrschbare und verbindliche Regeln. Ein solches Set an Leitplanken, die den Anwendern zur Orientierung dienen, ist ein typisches Ergebnis einer ECM-Strategie. Dabei werden mit geeigneten Werkzeugen nicht nur die fachlich-funktionalen Anforderungen im Kontext der verschiedenen Prozesse erhoben und analysiert, sondern auch IT-Rahmenbedingungen, interne und externe (regulatorische) Vorgaben, sowie die Marktverfügbarkeit berücksichtigt.
Weil es keine ECM-Lösung gibt, die alle Anforderungen abdecken kann, muss definiert werden, welche ECM-Plattform für welche Anforderungen eingesetzt werden soll. Wir sprechen dabei auch von Anwendungssäulen: Werden z. B. die Anforderungen für DMS, Akte und Archivierung von einer modernen ECM-Plattform A und die Collaboration-Anforderungen von Plattform B abgedeckt, so sprechen wir von einer 2-Säulen-Strategie: Beide Säulen unterscheiden sich erheblich in ihrer Kernfunktionalität, die Überlappungen sind minimal (vgl. Abbildungen 1 und 2). In der Praxis kann es auch weitere Säulen geben, wenn Anforderungen wie Output Management, Web Content Management oder Enterprise Search ein hohes Gewicht zugemessen wird. Grundsätzliches Ziel ist aber in den meisten Fällen auch, die Anzahl der eingesetzten Anwendungskomponenten und der involvierten Anbieter zu minimieren.
Konnte man früher häufiger 1:1-Zuordnungen zwischen Unternehmensbereichen und Strategiesäulen treffen, verschwimmen die Grenzen gerade zwischen DMS- und Collaboration-Funktionen und -Anforderungen zunehmend. Dokumenten oder Prozessen sollte daher eine Hauptanwendung zugewiesen werden, die den Ablageort vorgibt. Zwar kann sich diese je nach Prozess und Phase im Lebenszyklus auch verändern, die Anzahl der Hoheitswechsel zwischen den Säulen sollte aber so gering wie möglich definiert sein und die Wechsel sollten nicht beliebig stattfinden.
Nebeneinander oder Integration?
Ein diskutierter Lösungsansatz, um das Beste aus verschiedenen Säulen zu nutzen, sind technische Integrationen, z. B. zwischen DMS-Lösung und MS Teams. Solche Integrationen sind an sich nichts Neues. Es gibt bzw. gab sie bereits zahlreich zu SharePoint (der auch die technische Basis für die Dokumentenablage in Teams ist), aber in der produktiven Anwendung haben sie nur eine sehr geringe Verbreitung, und mache Marktangebote sind mittlerweile wieder von der Bildfläche verschwunden. Oft haben die technisch möglichen Integrationen keinen wirklichen Nutzen gebracht oder die wirklich sinnvollen Integrationen wären nur mit sehr hohem, individuellen Projektaufwand realisierbar gewesen. So bringt es praktisch kaum Nutzen, wenn SharePoint einfach das Frontend für ein DMS sein soll, weil unter anderem die Anwenderfunktionen für Attribuierung, Versionierung, Suche, Trefferliste, etc. im „DMS-Backend“ definiert sind und man allenfalls mehrere Anwendungsoberflächen ineinander schachtelt.
Etwas anders sieht es aus, wenn es beispielsweise Anforderungen zum gleichzeitigen Bearbeiten von Dokumenten, dem sogenannten Co-Authoring, gibt. Ein mögliches Einsatzgebiet dafür ist die gemeinsame Erstellung oder Korrektur von Dokumenten, wie z. B. komplexen Konzeptdokumenten, die über einen längeren Zeitabschnitt von unterschiedlichen Autoren bearbeitet oder geprüft werden. Hier kann durch den Einsatz von geeigneten Schnittstellen beides erreicht werden: Das Dokument bleibt weiter in der Hoheit der DMS-Lösung, d. h. es wird auch dort ein Änderungsprotokoll bzw. eine Versionshistorie erzeugt, aber neben der Standard-Bearbeitungsfunktion aus dem DMS heraus kann der Anwender ein Dokument nun zusätzlich nach SharePoint (respektive Teams) auschecken. Das Dokument kann dort dann gemeinsam bearbeitet werden und der neue Dokumentenstand wird zu Meilensteinen oder nach dem Abschluss des Co-Authorings als neue Version ins DMS zurückgeholt. Selbst wenn eine solche Schnittstelle (als Komfortfunktion für die Anwender) nicht verfügbar ist, kann man eine vergleichbare Arbeitsweise mit wenigen manuellen Schritten etablieren. Wichtig dabei ist, dass nicht in zwei Systemen neue Versionen erzeugt oder Freigaben durchgeführt werden, sondern dass die Systemhoheit für das Dokument erhalten bleibt (im Beispiel also das Dokument im DMS verortet ist).
Andere technisch mögliche Integrationen erscheinen dagegen als weniger sinnvoll: So wird in Projekten zum Teil gefordert, dass man Dokumente aus dem DMS nach Teams übergeben kann, weil die Anwender dort die Möglichkeit haben, beliebige andere interne und externe Anwender auf die Dokumente zugreifen zu lassen: Was hier attraktiv klingt, schafft in manchen Umgebungen aber eher offenen Flanken im Berechtigungssystem, denn auch mit vielen DMS-Lösungen wäre durchaus auch ein Zugriff für Externe realisierbar, der aber oft nicht gewünscht bzw. aufgrund von Compliance- oder Governance-Regeln nicht erlaubt ist.
In unseren Projekten sehen wir immer wieder, dass es nicht das nur ein einziges Set an Unternehmensanforderungen gibt: Genauso, wie es nicht die eine „E-Akte“ für alle Bereiche und Abteilungen gibt, existiert auch kein unternehmensweites Set an Anforderungen, um die erforderliche Kombination aus DMS- und Collaboration-Funktionen zu definieren. Funktionale Anforderungen, organisatorische Rahmenbedingungen, Aktenstrukturen oder die erforderlichen Integrationen zu Fachanwendungen müssen immer bereichsweise erhoben werden. Im Zusammenhang mit einer ECM-Strategie bedeutet das, dass es eine Koordinierungsfunktion geben muss, die bei der Anwendung der strategischen Leitplanken im Bereich unterstützt. Dabei müssen die tatsächlichen Anforderungen erhoben und analysiert werden. In der Praxis haben Anwender und Bereiche zwar häufig konkrete Vorstellungen, mit welcher Anwendung sie arbeiten wollen. Dabei fehlt allerdings oft das Wissen zu Alternativen und der Kenntnis der Nachteile unkoordinierter Vorgehensweise. Da sowohl moderne DMS-Lösungen als auch Collaboration-Lösungen wie z.B. MS Teams in Verbindung mit Microsoft SharePoint einen Werkzeugcharakter mit umfangreichen Anpassungsmöglichkeiten mitbringen, stößt man eher selten an die Grenzen technischer Machbarkeit, und die Anbieter sind sicherlich nicht die beste Quellen für diese Information. Vielmehr ist das Problem, dass Produkte vom Standard „wegentwickelt“ werden, was zu höheren Betriebsaufwänden führt und die Releasefähigkeit, z. B. durch umfangreiches und häufig undokumentiertes Skripting gefährdet ist.
Fazit
„Digital Workplace“ (und seine Begriffsfacetten) ist letztlich keine neue Anwendungskategorie, sondern nur eine neue Worthülse, die u. a. auch DMS und ECM mit umfasst, diese aber nicht überflüssig macht oder ersetzt. Je größer das Marktangebot für Content- und Dokumentenfunktionen und je diffuser die Begrifflichkeiten werden, desto mehr muss eine Organisation durch eine umsetzbare Handlungsleitlinie (bei uns ECM-Strategie genannt) dafür sorgen, dass die Komponentenvielfalt nicht ausufert.