Das Thema Cloud ist allgegenwärtig und damit in der ECM-Branche natürlich auch die Frage nach der Relevanz von Cloud-Angeboten für elektronische Archivierung, DMS und andere ECM-Funktionen.
Als erste Annäherung an das Thema soll eine grundlegende Darstellung zweier populärer Kategorien sogenannter Cloud-Dienste und die Abwägung deren Relevanz für ECM-Lösungen dienen.
IaaS – Die Infrastruktur-Cloud
Cloud-Angebote wie die Amazon Elastic Computing Cloud (Amazon EC2) und deren Simple Storage Services (Amazon S3), Microsoft Azure, Google App Engine und weitere gehören der Kategorie der sogenannten Infrastructure-as-a-Service (Infrastruktur-Cloud) an, bei der diese Infrastruktur kurzfristig und in nahezu beliebiger Menge mit geringer zeitlicher Bindung abgerufen und genutzt werden kann. Anwender installieren hier auf vom Cloud-Anbieter bereitgestellten (häufig virtuellen) Systemen ihre eigenen Anwendungen, zum Beispiel um Lastspitzen abzudecken. Wer bestimmte intensive Berechnungen (Klimamodelle, Strömungsverhalten in der Aerodynamik) nur selten bzw. zu bestimmten Zeiten benötigt, greift gerne auf solche Infrastructure-as-a-Service (IaaS) Angebote zurück, bei der schiere Rechen- und Speicherkapazitäten in scheinbar beliebigem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Beide Seiten profitieren davon: der Cloud-Anbieter hat eine höhere Auslastung seiner Ressourcen und verbessert die dadurch erreichten betriebswirtschaftlichen Skaleneffekte, der Anwender kann situativ und kurzfristig seine Rechner- und Speicheranforderungen um ein Vielfaches seiner normalen Bedürfnisse hochskalieren, ohne sich um die technische Infrastruktur kümmern und Kapital durch Anlageninvestitionen binden zu müssen.
Was ist die Relevanz der IaaS-Cloud-Variante für den ECM-Markt? Rein theoretisch denkbar wäre es, wenn Anwender oder deren Service-Rechenzentren zur Lastverteilung oder Lastspitzenabdeckung solche IaaS-Dienste temporär dazukaufen, zum Beispiel um Lastspitzen bei Erfassungsprozessen (OCR-Engines, Rendition-Engines, andere Prozessor-intensive Anwendungen) besser abdecken zu können. Angebote dieser Art sind grundsätzlich seit langem verfügbar, die Angebote der „großen“ Betreiber (z.B. Amazon, Microsoft, Google) sind zudem sehr flexibel gestaltet und erlauben eine Abrechnung, die exakt auf die Nutzung der Infrastruktur ausgerichtet ist, während viele im Markt etablierten Angebote, wie z.B. von Schlund (jetzt 1&1), Hetzner, Strato und weiteren, die Bereitstellung der Infrastruktur unabhängig von der tatsächlichen Nutzung bepreisen.
Den möglichen Vorteile einer schnellen Verfügbarkeit der externen Ressourcen stehen jedoch häufig erhöhte Aufwendungen bei der Einbindung dieser Ressourcen in das Netzwerk und somit in den gesamten Lösungsbetrieb und in die Systemüberwachung gegenüber, was die Attraktivität dieser Cloud-Variante deutlich verringert.
PaaS – Die Plattform-Cloud
Die zweite Cloud-Kategorie ist die Plattform-Cloud (Platform-as-a-Service – PaaS). Anbieter wie Microsoft (mit Windows Life und Office 360 inkl. SharePoint), Salesforce.com (ERP- und CRM-Funktionalität), Google (Google Apps for Business) und viele Weitere bieten in dieser Variante nicht nur die technische Infrastruktur, sondern die komplette Anwendungsplattform. Solche Angebote müssen extrem mandantenfähig sein, weil hier zig-Tausende von Kunden ihre individuellen Anforderungen implementieren wollen. Daher gehören Customizing-Werkzeuge und häufig sogar Programmierschnittstellen zum Bestandteil solcher Platform-as-a-Service Lösungen.
Wie sieht es mit der ECM-Relevanz dieser Cloud-Variante aus?
Für einzelne ECM-Funktionskategorien wie z.B. Collaboration-Lösungen sehen wir eine sehr hohe Relevanz, weil diese häufig ohne Integration mit anderen Fachanwendungen auskommen. Beispiele sind die zahlreichen SharePoint Hosting-Angebote, Google Apps, Google iDocs, WebEx, Teamspace, Projectplace, Zimbra und viele viele andere.
Auch für die scheinbar einfache Aufgabe der reinen E-Mail-Archivierung finden sich einige Plattform-10Serviceangebote, doch bereits dort zeigen sich für einige Kunden die Schwierigkeiten zur Integration in die eigene RZ-Infrastruktur.
Und für „klassische DMS/Archivlösungen“? Uns ist derzeit keine DMS-Lösung bekannt, die die besonderen Anforderungen der Cloud-Fähigkeit heute bereits abdeckt: Welcher DMS-Anbieter hat nicht nur eine Cloud-Ankündigung veröffentlicht, sondern die zwingend dazu gehörende Ankündigung, in welcher Rechenzentrums-Umgebung er dieses Cloud-Angebot implementieren will und wann der Produktionsbetrieb starten soll? Welche Cloud-Angebote gibt es denn bereits, auf die Kunden schnell und einfach zugreifen können? Hier ist das konkret verfügbare Angebotsspektrum extrem dünn oder, um es deutlicher zu sagen, praktisch nicht vorhanden.
Hinzu kommt eine weitere technische Herausforderung, die eine Cloud-Lösung kaum bedienen kann: Eine normale DMS-Lösung ist bzgl. der Integrationsanforderungen mit anderen Fachanforderungen sehr viel komplexer als die bekannten „Konsumenten-Cloud-Anwendungen“ wie Flickr, YouTube oder Facebook. Wie soll die MS Office Integration via Makros, der Aufruf einer Vertiffungs-DLL, die Übergabe von Content-IDs aus Fachanwendungen und Hunderten anderer System-zu-System-Integrationsschnittstellen in der Cloud funktionieren? Die meisten Cloud-Anwendungen erfordern Anbindungen über Web-Schnittstellen, die meisten zu integrierenden Lösungen sind aber ein historisch gewachsener Mischmasch aus unterschiedlichen Client- und Server-Technologien, die ohne tiefgreifenden, umfassenden und teuren Architekturwechsel der unterschiedlichen Nicht-Cloud-fähigen Plattformen in einer Plattform-Cloud so gar nicht lauffähig wären. Der Teufel steckt – wie immer – im Detail und die manchmal doch sehr detailbefreiten Hype-Aussagen zum Thema Cloud-Computing suggerieren dem Anwender das Ende der Komplexität wo faktisch und bis auf Weiteres das genaue Gegenteil droht.
Hype-Thema Cloud
Seien wir ehrlich: die CeBIT 2011 war Cloud-dominiert (und Tablets. Das ist zugegebenermaßen ein weiteres spannendes Thema) und wir verstehen, dass sich die DMS-Anbieter dazu positionieren wollen. Was mir zu kurz kam: eine vernünftige, für den Einsteiger verständliche Darstellung, was eine Cloud ist, die Abgrenzung zu bereits vorhandenen Handlungsoptionen wie ASP- und externe Hoster sowie eine konkrete Nutzendarstellung, was der DMS-Anwender im Unterschied zu diesen Handlungsoptionen für Vorteile hat, wenn er stattdessen sein DMS in der Cloud betreibt.
Status heute (März 2011): Für den Anwender ändert sich aktuell relativ wenig: Wenn er, aus welchen Gründen auch immer, eine ECM-Lösung nicht selbst betreiben, sondern nur nutzen möchte, hatte er bisher schon die Möglichkeit, externe Dienstleister in Anspruch zu nehmen, die ihm entweder „nur“ die Infrastruktur stellen oder sogar den kompletten Anwendungs-Stack für bestimmte ECM-Lösungen betreiben. Das Thema Cloud-Computing definiert keine neuen Spielregeln. Zwei Dinge werden sich ändern: Kurzfristig werden die Betreiber von Infrastruktur eine weitere Optimierungsmöglichkeit für Systeme und Speicher haben, weil sie auf die IaaS-Angebote zurückgreifen können. Bereits heute verfügbar sind Collaboration-Lösungen in der Cloud. Diese werden ergänzt durch echte Archiv- und DMS-Plattformangebote. Hier haben kleine innovative Softwarehäuser ebenso Chancen wie die etablierten Softwarehäuser. Letztere kennen sich vielleicht besser aus mit RZ-Betrieb, Skalierbarkeit, Hochverfügbarkeit. Gleichzeitig schleppen sie aber auch historische Altlasten mit, die nicht wirklich Cloud-fähig sind. Das wäre der Vorteil der kleineren und der Neueinsteiger.
Rechtlichen Bedenken begegnen
Das in der öffentlichen Diskussion so häufig strapazierte Argument der rechtlichen Restriktionen – weil man ja bei Cloud-Computing nicht genau wisse, wo die Daten und Dokumente liegen – ist eigentlich nicht stichhaltig. Wie bei anderen Dienstleistern muss man auch bei Cloud-Anbietern sicherstellen, dass die jeweils geltenden regulatorischen Anforderungen für Lokalität der Daten, Datenschutz etc. eingehalten werden. Die vertragliche Gestaltung dieser Themen liegt aber im Einflussbereich des Anwenders. Man ist nicht gezwungen, Cloud-Angebote zu nutzen, bei denen diese Themen nicht im Sinne des Gesetzgebers regelbar sind. Es gibt mittlerweile Cloud-Anbieter wie bei IBM (SmartArchivingCloud), die die Speicherung der Daten in Deutschland vertraglich zusichern. Auch hier gibt es keine neuen Sachverhalte, die nicht bereits vorher mit externen Dienstleistern geregelt waren. Cloud ist keine neue rechtliche Herausforderung, sondern eine architektonische Handlungsoption, für die alle bisher bekannten rechtlichen Rahmenbedingungen ebenso gelten wie für alle anderen Auftragsdatenverarbeitungslösungen (vulgo outgesourcte Anwendungen). Tipp zum Abschluss: natürlich sollte man vor einer Betriebsprüfung beim Ausfüllen der Fragebögen der Finanzämter auf die Frage, in welchen Systemen und wo die Daten gespeichert sind, nicht einfach mit „in der Cloud, mehr weiß ich nicht“ antworten. Das könnte die so wichtige „Prüfatmosphäre“ nachhaltig schädigen.