SAP hat es vorgemacht: Mit der ArchiveLink Spezifikation bietet die Walldorfer Softwareschmiede eine standardisierte Schnittstelle seiner ERP-Umgebung zu ECM-Systemen.
Wie sieht dies aber bei anderen ebenfalls im Markt weit verbreiteten ERP-Systemen aus? Gibt es dort eigene Archivlösungen, Standard-Schnittstellen oder müssen die Anwender sich selbst darum kümmern?
Betrachten wir zuerst Baan mit seiner aktuellen Produktlinie iBaan, eines der am weitesten verbreiteten ERP-Systeme im Mittelstand mit Schwerpunkt im produzierenden Gewerbe.
Datenarchivierung
Für den Bereich der Datenarchivierung stellt Baan eigene Lösungen zur Verfügung. Einerseits besteht für Baan-Kunden die Möglichkeit, sog. „Archiv-Firmen“ anzulegen und zu archivierende Bestände in dieses System auszulagern, das anschließend rein für Recherchezwecke zur Verfügung steht. Andererseits wurde vor kurzem eine GDPdU-konforme Archivierungslösung gemeinsam mit Audicon entwickelt, dem deutschen Anbieter der von den Finanzbehörden verwendeten Prüfungssoftware IDEA. Damit sollen die Anforderungen der neuen Abgabenordnung mit herstellereigenen Werkzeugen abgedeckt werden können.
Baan meets documents
Seit Mai 2003 bietet Baan ein eigenes, Web-basiertes Zusatzmodul Baan ECM für die Verknüpfung von Dokumenten mit beliebigen Baan-Objekten als eigenständige Lösung an. Ausgangspunkt für die Konzeption waren aber typische Anforderungen aus dem Product Lifecycle Management für die integrierte Verwaltung von technischen Produktdokumentationen oder Unterlagen zur Qualitätssicherung. Für „Massenablagen“, die vornehmlich im kaufmännischen Bereich anzutreffen sind, ist Baan ECM nicht gebaut worden. Gerade dort finden sich Anwendungsbereiche, die eine Integration marktgängiger ECM-Systeme in die Baan-Umgebung benötigen. Eine einheitliche Schnittstelle oder Verfahren seitens Baan gibt es nicht und ist auch nicht geplant. Hier haben unterschiedliche ECM-Hersteller bzw. deren Partner Lösungen geschaffen, die zumeist auf Basis eines konkreten Integrationsprojekts erwachsen sind.
Navision
Im Mai 2002 hat Microsoft das dänische Unternehmen Navision übernommen und in den Unternehmensbereich Business Solutions integriert. Das gleichnamige Produkt Navision ist ebenfalls weit verbreitet und zielt mit seinen Standard-Funktionen für den klassischen Bereich Finanzmanagement und weiteren integrierten Modulen für Supply Chain Management (SCM) sowie Customer Relationship Management (CRM) ebenfalls auf den Mittelstand.
Daten aufbewahren
Für den Bereich der (GDPdU-konformen) Datenarchivierung hat Microsoft Business Solutions bisher keine eigene Lösung entwickelt. Das mag an den im Vergleich zu SAP-Systemen relativ kleinen Datenbanken und damit fehlenden Problemen auf der Kundenseite liegen, steuerrelevante Daten über den gesamten Aufbewahrungszeitraum hinweg online im System halten zu können. In Fällen, bei denen eine Auslagerung von Daten aus dem Online-Bestand notwendig ist, gibt es nur die Möglichkeit eine Kopie der produktiven Navision-Datenbank für den zu archivierenden Zeitraum zu erzeugen, um die Daten für einen späteren Zugriff zur Verfügung zu stellen. Anders sieht das im Bereich der Datenträgerüberlassung aus. Dort wird eine integrierte Lösung angeboten, bei der ein Anwender unter Nutzung vordefinierter Templates steuerrelevante Daten exportieren kann.
Dokumentenverwaltung
Bis auf eine Art „Klammerfunktion“ für die Verknüpfung von Desktop-Dateien zu Aktivitäten im CRM-Anwendungsmodul bietet Navision keinen eigenen Lösungsansatz zur Dokumentenverwaltung an. Es gibt von Microsoft Business Solutions auch keine Planungen eine eigene Schnittstelle zu entwickeln oder dazu Vorgaben zu machen.Daher haben ECM-Hersteller in Zusammenarbeit mit Navision-Partnern individuelle Lösungen geschaffen, meist aufgrund konkreter Projektsituationen.
Paisy
„PAISY“ stammt von der ADP Employer Services GmbH und ist in Deutschland eines der bekanntesten Personalverwaltungs-Systeme. In der Produktlinie finden sich Module für Personalmanagement, -planung und -abrechnung sowie für das Reisemanagement und die Reisekostenabrechnung. Die Änderungen in der neuen AO betreffen auch PAISY-Anwender, da steuerrelevante Daten aus der Lohnbuchhaltung maschinell auswertbar über den Aufbewahrungszeitraum auf Anforderung zur Verfügung gestellt werden müssen. Neben der Möglichkeit Daten zu archivieren, bietet PAISY eine kostenpflichtige Zusatzkomponente „AO-Datei“, die IDEA-konforme Dateien erzeugt. Voraussetzung ist allerdings der Einsatz der PAISY-Archiv-Schnittstelle
Personalakten online
ADP hat sich bereits im Jahre 1997 entschlossen, eine Standardschnittstelle für ECM-Lösungen mit einer Zertifizierung anzubieten. Im Gegensatz zur ArchiveLink-Methodik müssen bei einem PAISY-Archiv alle fallbezogenen Indexdaten wie z.B. Personalnummer, Dokumentenart etc. zu jedem Dokument mit verwaltet werden. Der Zugriff erfolgt über eine PAISY-gesteuerte ECM-Client-Anwendung, auf die sich die Zertifizierung hauptsächlich bezieht.
Auswahl: Zertifizierung nicht ausreichend
PAISY-Anwender, die eine integrierte ECM-Lösung suchen, sollten sich sicherlich zuerst bei den zertifizierten Herstellern umschauen. Ähnlich wie die für ArchiveLink zertifizierten Lösungen verhalten sich diese gegenüber der Schnittstelle immer gleich, unterscheiden sich aber teilweise technisch und funktional in wesentlichen Bereichen. Beispielhaft sind hier die Komponenten für die Erfassung (Capture) von eingehenden oder von ausgehenden Dokumenten (COLD) zu nennen.
Zusammenfassung
Neben SAP ist PAISY zurzeit das einzige System, das eine Integration über eine vom Hersteller definierte und gepflegte Funktionalität anbietet. Unabhängig vom Vorhandensein einer „Standard“-Schnittstelle oder „Standard“-Projektlösungen gilt jedoch: Möchte ein Anwender eine ECM-Lösung in Kombination mit ERP-System einsetzen, sollten zunächst alle wichtigen Funktions- und Integrationsanforderungen ermittelt und anschließend eine kritische Beurteilung entsprechender Produktangebote vorgenommen werden. In der Praxis hat sich ein strukturiertes Auswahlverfahren bewährt, das die technischen, funktionalen und strategischen Unterschiede der Produktangebote vergleichbar macht und für den konkreten Kundeneinsatz bewertet. Solche Verfahren führen, entsprechende Werkzeuge vorausgesetzt, innerhalb weniger Tage zu einer gesicherten, tragfähigen und begründbaren ECM-Systemauswahl.