Mobile ECM als Ergänzung, Interview IT Director / Lea Sommerhäuser mit Bernhard Zöller, erschienen in IT Director 10.2014
IT-DIRECTOR: Herr Zöller, laut Bitkom sind in diesem Jahr im Bereich „ECM“ mobile Lösungen der wichtigste Branchentrend. Der „DMS/ECM Trend Report 2014“ von Softselect sagt wiederum aus, dass Cloud-Lösungen nur schleppend in Fahrt kommen. Widersprechen sich diese Aussagen nicht ein wenig?
B. Zöller: Eigentlich nicht. Das eine bedingt ja nicht das andere. Online- oder Offline-Mobile-Solutions funktionieren auch ohne Cloud-Architekturen im Hintergrund. Und daher ist es sogar logisch, wenn sich die mobilen Erweiterungen vorhandener Lösungen schneller verbreiten als die sehr viel neueren cloud-basierten Lösungen.
IT-DIRECTOR: Wie schätzen Sie selbst den aktuellen Markt im Bereich „Mobile DMS/ECM“ und insbesondere das Interesse der Großunternehmen an jenen Lösungen ein?
B. Zöller: Das Interesse ist bei allen Unternehmen da, nicht nur bei Großunternehmen. Die Mitarbeiter sind mit Notebooks oder Tablets unterwegs und wollen von unterwegs auf Dokumente und Akten zugreifen. Woran es mangelt, sind manchmal die notwendigen Bandbreiten, um das Arbeiten flüssig zu gestalten. Es ist halt schon ein Unterschied, ob man am Arbeitsplatz in der Firma eine Akte mit 200 MB Dokumenten anschaut oder diese unterwegs erst laden muss. Daher muss man in solchen Einsatzfeldern entweder die notwendigen Unterlagen vorher auf das Notebook oder situativ nur einzelne Dokumente oder Seitenansichten laden.
IT-DIRECTOR: Für welche Branchen ist Mobile ECM/DMS besonders interessant und warum?
B. Zöller: Es ist weniger ein Branchenthema, sondern eher eine Frage des Arbeitsplatztyps. Ich glaube z.B. nicht, dass der typische Sachbearbeiter – egal ob als Rechnungsprüfer bei einem Handelskonzern, Antragsprüfer bei einer Behörde, etc. – die klassische Zielgruppe ist. Vielmehr sind es die „Knowledge Worker“, die nicht immer am gleichen Arbeitsplatz sitzen, die man durch mobile Anwendungen gut unterstützen kann. Das sind Vertriebler ebenso wie Ingenieure im Außeneinsatz.
IT-DIRECTOR: Welche Funktionalitäten mobiler ECM-/DMS-Lösungen fragen die Großunternehmen besonders nach und welchen Nutzen erwarten sie von deren Einsatz?
B. Zöller: Offlinefähigkeiten (also lokal gespeicherte Unterlagen, die man nicht erst über schlechte Leitungen laden muss), eine einfache, intuitiv nutzbare Oberflächen (die Nutzungshäufigkeit bei Knowlegde Workern für DMS-Funktionen ist seltener, daher muss die Bedienung einfacher sein), Web-Oberflächen, um auch andere Client-Plattformen nutzen zu können, eine verschlüsselte Ablage, manchmal auch die Teilnahme an Dokumentenprozessen wie die Rechnungsfreigabe sowie manchmal auch die Nutzung von Tablets.
IT-DIRECTOR: Inwiefern beschäftigen sich die Anwender in diesem Zusammenhang mit dem Thema „Sicherheit“ jener Lösungen?
B. Zöller: Eigentlich immer. Es geht ja immer um wichtige oder sogar geschäftskritische Dokumente, da gibt es immer Anforderungen an Vertraulichkeit, Schutz gegen Verlust, etc. Es ist weniger das Problem der Übertragungssicherheit: Mit VPN oder verschlüsselten Übertragungen in Web-Anwendungen hat man hier eigentlich kein relevantes Problem. Die größere Gefahr wird darin gesehen, dass Endgeräte und damit auch Unterlagen verloren gehen oder dass man schlichtweg sehr sensible Dokumente nicht in einer anonymen Cloud ablegen möchte.
IT-DIRECTOR: Sind für den Bereich „Mobile ECM/DMS“ heutzutage eher native Applikationen oder Web-Apps auf HTML5-Basis sinnvoll? Woran lässt sich das festmachen?
B. Zöller: HTML5 kommt mit einer Reihe neuer Funktionen, die es möglich machen, eine Funktionalität zur Verfügung zu stellen, die der Performance eines Rich Clients nahe kommen. Daher werden sich unserer Meinung nach HTML5-basierte Anwendungen für viele klassische Web-Anwendungen durchsetzen. Aber die Besonderheiten vieler Touch-Geräte werden damit nicht ausgeschöpft. Wer also seinem Versicherungskunden eine App zur Verfügung stellen will, die mit den gewohnten Bediengesten das Einstellen einer Schadensmeldung erlaubt, wird so schnell um proprietäre Apps nicht herumkommen.
IT-DIRECTOR: Welche Faktoren sollten bei der Software-/App-Entwicklung generell im Mittelpunkt stehen?
B. Zöller: Intuitive Nutzbarkeit wird immer wichtiger. Es gibt viele Apps, bei denen man raten muss, wie sie funktionieren. Wenn wir mehr Anwender erreichen wollen, müssen die Anwendungen auch von denjenigen bedient werden können, die nur einmal in der Woche damit arbeiten. Wenn sich der Anwender dann erst wieder einlesen oder per Trial&Error herausfinden muss, wie etwas funktioniert, wird die Anwendungen nach kurzer Zeit nicht mehr genutzt werden.
IT-DIRECTOR: Welche brandneuen Features/Funktionen beinhalten mobile ECM-/DMS-Lösungen oder sind zumindest schon angedacht?
B. Zöller: Bzgl. mobiler Lösungen gibt es nichts „Brandneues“; bzgl. Collaboration-Funktionen gibt es natürlich viele Funktionen, die es in den klassischen DMS-Lösungen bisher nicht gegeben hat.
IT-DIRECTOR: Wie gestaltet sich die Einführung einer mobilen ECM-/DMS-Lösung in Großunternehmen? Mit welchem Aufwand (zeitlich, personell, finanziell) ist sie verbunden?
B. Zöller: Als Erweiterungsphase, nicht als neues Projekt. Mobile ECM ist „nur“ eine Erweiterung der vorhandenen Lösungen, nichts sensationell Neues. Der Aufwand bestimmt sich daher nach den individuellen funktionalen und technischen Anforderungen im Einzelprojekt; da kann man keine allgemeingültige Aussage machen.
IT-DIRECTOR: Wie lässt sich das mobile ECM/DMS anschließend mit dem klassischen Dokumenten Management System im Unternehmen verknüpfen – insbesondere, wenn verschiedene Systeme im Einsatz sind? Welche Herausforderungen sind hierbei zu bewältigen von Anbieter- und Anwenderseite?
B. Zöller: Es ist nicht kompliziert: Für uns bedeutet Mobile ECM nichts anderes, als dass nun endlich auch die mobilen Arbeitsplätze (Notebooks, Tablets) online oder offline mit den gleichen Unterlagen arbeiten können wie die stationären Arbeitsplätze. Das ist keine Revolution, sondern nur eine ergänzende Nutzugsmöglichkeit neuer Technologien: WLAN, DSL, LTE, neue Endgeräte, neue Oberflächenkonzepte. Aber das Problem der Inkompatibilitäten beim gleichzeitigen Betrieb mehrerer ECM-Lösungen wird dadurch in keiner Weise gelindert. Wenn Anwender die Systemvielfalt eindämmen wollen, dann führt der Weg dazu nicht über das Thema „Mobile“, sondern über die Frage, wie viel Vielfalt denn heute noch notwendig ist, um die unterschiedlichen Bereichs- und Prozessanforderungen abdecken zu können. Und meine Meinung ist: deutlich weniger als vor zehn Jahren. Anwender konsolidieren ihren ECM-Fuhrpark durch eine ECM-Strategie, die ein Zielbild enthält, mit welchen Komponenten das Unternehmen in Zukunft die verschiedenen ECM-Anforderungen abdeckt. „Mobile“ ist in diesem Zusammenhang nur ein Nebenaspekt.
IT-DIRECTOR: Könnten mobile ECM-/DMS-Lösungen die klassischen Installationen im Unternehmen auf die Dauer verdrängen? Wie schätzen Sie die zukünftigen Entwicklungen in diesem Bereich ein – insbesondere auch im Hinblick auf die stetig wachsende Dokumentenflut (Stichwort „Big Data“)?
B. Zöller: Mobile Lösungen sind eine Ergänzung für die mobilen Mitarbeiter. Die Lösungen werden aber nicht die stationären Arbeitsplätze ersetzen.